Kino im Saal, Kino im Kopf: nach dem Filmfest «Bildrausch» ist vor dem Melodram «Enoch Arden».
Einen Einblick in eine Welt gewähren, die einem sonst verwehrt bliebe. Das ist der Reiz an Dokumentarfilmen. Die Neugier der Zuschauer nutzen, um sie mit jedem Film von Neuem zu überraschen, das machen Filmemacher wie der Österreicher Michael Glawogger. Denn mit seiner filmerischen Arbeit will er mehr über eine Welt erfahren, die vielleicht doch ganz anders ist, als man gemeinhin denkt. Und oft ist diese Welt, ob dokumentarisch oder fiktiv in bewegte Bilder gebannt, prächtiger, als man zu glauben wagt. Aber eben nicht immer.
In der Prostitution ist die Liebe ein selten gesehener Gast und verflüchtigt sich, kaum aufgetaucht, schon wieder – dieser Hypothese ging Glawogger in seinem neusten Film auf den Grund: Für «Whores’ Glory», der am Filmfest «Bildrausch» im Stadtkino gezeigt wird, filmte er in sogenannten Fishtanks in Bangkok oder einem Faridpurer Bordellhäuschenkomplex in einem Distrikt von Bangladesch. Dort suchte er nach der Liebe und ihren Ritualen in einer Umgebung, die für käufliche sexuelle Abenteuer, aber nicht unbedingt für Romantik steht. Im Rahmen der zweiten Ausgabe von «Bildrausch» liest Glawogger zudem eigene literarische Texte vor.
Insgesamt werden 12 Filme aus verschiedenen Genres präsentiert, eine Auswahl aus Festivalentdeckungen. Ein dichtes Programm mit Gesprächen von Filmemachern und Plädoyers von Journalisten ergänzt das Filmerlebnis. «Bildrausch» flimmert aber nicht nur während drei Tagen über die Leinwand des Stadtkinos, sondern setzt auch unter freiem Himmel Akzente. So findet auf dem Basler Theaterplatz ein «Angriff auf die Demokratie» statt: Reden werden die Philosophin Annemarie Pieper, der Soziologe Ueli Mäder, der Ökonom Marc Chesney, Avji Sirmoglu, die Mitbegründerin des Internetcafés Planet 13, der Künstler Guido Nussbaum, der Historiker Daniele Ganser und der Journalist Daniel Binswanger.
Auf den Rausch folgt bekanntlich der anhängliche Kater. Für einmal kann man diesen mit einer bildlosen – Sie haben richtig gelesen – Vorführung kurieren. Das Melodram «Enoch Arden» ist ein «gesprochener, mit Musik unterlegter Text, eine Art Film ohne Bilder», erklärt der Sprecher, Sänger und Hörbuchproduzent Sebastian Mattmüller.
Mattmüller wird dem kaum noch aufgeführten Genre mit Musik von Richard Strauss und einem Text von Lord Alfred Tennyson neues Leben einhauchen. Unterstützt wird er dabei von Paul Suits am Pianoforte. Das Melodram handelt von einer Patchworkfamilie wider Willen. Und ebenfalls von der Liebe. Im dunklen Saal findet mit «Enoch Arden» für einmal das Kino im Kopf statt. Nur dort.
- Filmfest «Bildrausch» 2012: 1.–3. 6. 2012, Stadtkino Basel, diverse Zeiten.
- Melodram: Enoch Arden, 5. 6. 2012, Stadtkino Basel, 20.00 Uhr.
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Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.06.12