Wochenstopp: Kummerbuben

Die Kummerbuben haben das Schweizer Volkslied vom Landi-Geist befreit. Zu hören auf dem Floss.

Machen dem alten Volkslied Feuer unter dem Hintern: Die Berner Kummerbuben. (Bild: zVg)

Die Kummerbuben haben das Schweizer Volkslied vom Landi-Geist befreit. Zu hören auf dem Floss.

Was ist das für eine Band, deren Sänger in rauchigem Berner Dialekt von Verlierern singt, von Stadtberner Quartieren und dem Fussballclub Young Boys, während hinter ihm erstklassige Musiker klopfen, und die man diesen Sommer auf nahezu allen Deutschschweizer Festivalbühnen sieht – aber ihr Sänger heisst nicht Kuno?

Im Berner Rock, dieser Heimstätte des Mundart-Rock, muss man sich seine Nische erkämpfen, denn die Logenplätze sind seit Langem besetzt. Züri West, Patent Ochsner, Stiller Has – die Grandseigneurs der bundesstädtischen Rockszene verteidigen ihre führenden Positionen staatsmännisch mit regelmässigen neuen Platten, die sofort nach oben auf die Eins der Charts klettern.

Wer sich da hinzudrängeln will, muss mit guten Ideen kommen, und die Kummerbuben hatten sie. Sie begannen als Erneuerer des Schweizer Volkslieds, holten «Es wott es Froueli z Märit ga», «Mys Müeti» oder das Guggisberglied aus dem Fundus des traditionellen Schweizer Liedgutes hervor, entstaubten die alten Lappen und wurden sofort erfolgreich damit. Sie klopften die teilweise Hunderte Jahre alten Lieder so lange aus, bis der letzte Rest an geistiger Landesverteidigung von ihnen abgefallen und nichts mehr von den «Liedli» übrig war als die Geschichten, die sie erzählten, und die manchmal lakonische, manchmal spirituell-hoffnungsvolle, manchmal bitterböse Moral, von der sie berichten.

Damit unterschieden sie sich höchstens im Idiom vom kruden Storytelling amerikanischer Prägung, wie es etwa Tom Waits in Meisterschaft pflegt. In der Schweiz waren sie mit diesem Zugang konkurrenzlos, aber auch eingeschränkt mit ihren Möglichkeiten und unterschätzt in ihrem Können: Das grossartige musikalische Handwerk der Band und der charismatische, rohe Auftritt von Sänger Simon Jäggi wurde von ihrem Liedmaterial, das doch nicht das ihre war, überblendet. Anstelle des Landi-Geistes holte sie die Swissness-Laune ein, wieder ging es weniger um die Archetypen in den Liedern und mehr um einen modernisierten Patriotismus light. Der Geist war aus der Flasche. Und die Kummerbuben konnten nur ihn abschütteln, wenn sie mit ihrer Geschichte brachen.

Mit ihrem dritten Album «Weidwund» haben sie die Kehre vollzogen: Nicht nur trennten sie sich von ihrem stilprägenden Akkordeonisten und haben ihre musikalische Landschaft neu vermessen, anstelle ­alten Volksguts schreiben sie nun ihre eigenen Lieder. Was auffällt: Die kuriosen bis mystisch verfremdeten Geschichten, die Sänger Jäggi nun aus der Feder tropfen, unterschieden sich im Vokabular zwar von der Folklore, nicht jedoch in den Topoi. Noch immer scheitern die Figuren an den Frauen, am Suff oder einfach an sich selber. Die ­alten Lumpeliedli waren auf eine zeitlose Form immer modern, könnte man nun einwenden, oder aber: Geschichten fallen aus der Zeit, wenn sie einen finden, der sie erzählen kann. Jäggi ist zwei Platten lang durch eine hohe Schule gegangen und hat sich zu behaupten gelernt. Gegen Kuno und Büne, aber vor allem gegen die namenlosen Stimmen der alten Zeit.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12

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