In Antonín Dvořáks Oper zerbricht die schöne Meerjungfrau an der Hässlichkeit der menschlichen Welt.
Rusalka (Bild: HANS JOERG MICHEL)
Es war einmal eine kleine Meerjungfrau, Rusalka. Ihre Welt war das Wasser, ihr Herz aber gehörte einem schönen Prinzen. Kam er an den Strand, umarmte sie ihn als Welle, unfähig, sich ihm zu zeigen. Sie flehte die Hexe Ježibaba an, «Ježibaba, Ježibaba, sie haben Seelen, die wir nicht haben, gib mir eine solche Seele!». Die Hexe gab und nahm ihre Stimme als Pfand. Stumm trat die Meerjungfrau vor den Prinzen. Er verliebte sich, gelobte, sie zu heiraten, doch zweifelte er ob ihrer Stummheit. Eine andere, die fremde Fürstin, bemächtigte sich des Prinzen. Die Meerjungfrau erkannte: «In ihren Augen brennt Begierde, die verdammte, menschliche Gier; ich bin ein Kind des kühlen Wassers und habe keine Leidenschaften!» Müde vom Menschsein will sie ins Wasser zurückkehren, doch es nimmt sie nicht mehr auf. Der Prinz eilt ihr nach, küsst sie, und stirbt an ihrem Fluch. Sie bleibt zurück, zum ewigen Sein verdammt.
Eine Geschichte um Liebe und Tod, wie gemacht für die Opernbühne, und doch so heikel. «Rusalka», Antonín Dvořáks erfolgreichste Oper, basiert auf einem Märchen, und wie jedes Märchen hat auch diese Geschichte einen doppelten Boden, den es auf der Bühne behutsam zu zeigen und auszudeuten gilt. Keine einfache Aufgabe für die junge litauische Regisseurin Jurate Vansk. Sie übersetzt den märchenhaften Gegensatz von Menschen und Wasserwesen in eine Milieu-Studie, zeigt die Fischschwänzigen als arme Zugewanderte, die Zweibeinigen als reiche Yuppies. Auf deren Partys vor der Fotostrandtapete (Bühne: Martina Segna) geht es nur um Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll, in freizügigen Hochglanzkleidern (Kostüme: Ingo Krügler) vergewaltigen sie einander, und Rusalka gleich mit.
Diese gegenwartsbezogenen, gleichsam überzeichneten Bilder bergen ein produktives Irritationspotenzial, riskieren aber einen offenkundigen Widerspruch zum musikalischen Geschehen. Dvořák komponierte wunderbar satte romantische Melodien, ein an Wagners Rheingold gemahnendes Nixenterzett, Wasserwogen und Träumerauschen mit tschechischem Kolorit. Die Musik ist denn auch das tragende Element dieser dreistündigen Produktion: Das organisch und kräftig aufspielende, sich aber zu selten ins Leise wagende Sinfonieorchester Basel unter Giuliano Betta, der klangwuchtige – von der Regie etwas plump auf die Bühne gestellte – Chor des Theaters Basel und das überwiegend junge, sängerisch hervorragend aufgestellte Ensemble erhielten warmen Premierenapplaus. Zu recht: Mit welch wandlungsfähigem Mezzosopran etwa Khatuna Mikaberidze die genüsslich quälende Hexe interpretiert, mit welch schlankem Tenor Maxim Aksenov den wechselmütigen Prinzen zeigt und mit welch dunklem, das naive junge Mädchen nie verleugnenden Sopran Svetlana Ignatovich die Rusalka darstellt, ist sehens- und hörenswert.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26/10/11