Wolkenstudien: Das Flüchtige festhalten

Das Fotomuseum Winterthur zeichnet in der Ausstellung «Wolkenstudien» anhand von Fotografien die Entwicklung der Meteorologie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nach. Für Wissenschaftler wie Künstler und Literaten war die Wolke schon immer ein besonderer Gegenstand. Ein Blick zurück.

Cumulus, Basel, um 1895. Silbergelatine-Abzug aus einem gleichnamigen Tableau. (Bild: Albert Riggenbach, © Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich)

Das Fotomuseum Winterthur zeichnet in der Ausstellung «Wolkenstudien» anhand von Fotografien die Entwicklung der Meteorologie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nach. Für Wissenschaftler wie Künstler und Literaten war die Wolke schon immer ein besonderer Gegenstand. Ein Blick zurück.

Wolken über Basel? Dieser Tage ein fast alltägliches Phänomen, im gesamtschweizerischen Vergleich aber doch ein seltenes. Jedenfalls entsteht dieser Eindruck, wenn wiederholt die winterlichen Klagen über Nebel und Dunst jenseits des Belchens hörbar werden und am Rheinknie fröhlich die Sonne scheint. Wer seinen Horizont zum Thema Wolken erweitern möchte, muss deshalb – sinnfällig genug – eine Reise ins Landesinnere unternehmen.

Das renommierte Fotomuseum Winterthur zeigt bis zum 12. Februar 2012 die kleine, aber feine Ausstellung «Wolkenstudien. Der wissenschaftliche Blick in den Himmel». Titel und Ort sind gut gewählt: Das Wissen von Wolken ist gebunden an seine Darstellung und das jeweilige Medium, das die Wetterbeobachtung übersetzt. Die Ausstellung animiert dazu, sich in einer fragmentarischen Wissensgeschichte der Wolke zu versuchen.

Ein steter Wandel

Wolkenformationen und Wetterphänomene sind besondere Gegenstände des Wissens. Obwohl sie zu den denkbar gewöhnlichsten lokalen und globalen Erscheinungen gehören, bleibt die Beschäftigung mit ihnen ein prekäres Unterfangen – nicht nur, weil damit zumeist prognostische Bemühungen verbunden sind. Die Wolke ist immer in Bewegung. Sie verändert und verflüchtigt sich ohne Unterlass. Das erschwert das Typologisieren – und sorgte für eine eher zaghafte Begründung der Meteorologie als wissenschaftliche Disziplin im Zeichen der Aufklärung.

Wie soll etwas benannt, beschrieben oder dargestellt werden, dass sich in ständigem Wandel befindet? Die Beschäftigung mit der Wolke zwingt den Wissenschaftler – und den Künstler und Literaten – deshalb zur Reflexion über die Bedingungen der Möglichkeiten und Grenzen seines Fachs.

Ein Basler Pionier

Das Medium Fotografie markierte für die Bestimmung von Wolkentypen den Durchbruch. Es vermag das Flüchtige zu fixieren. Dort setzt die Winterthurer Ausstellung an. Den Auftakt macht ein Basler: Albert Riggenbach war im Jahr 1896 Mitherausgeber des «Internationalen Wolkenatlas» – eine Pionierleistung: Es war der erste ernsthafte Versuch, einen globalen Standard der Wolkenklassifikation zu etablieren. Vom Gipfel des Säntis aus hielt der Astronom und Geophysiker idealtypische Wolkenformationen fotografisch fest. Und sah sich dabei der Klassifikation von Luke Howard verpflichtet.

Dieser britische Apotheker blickte in den Himmel und schlug 1803 in seinem Essay «On the Modifications of Clouds» die Grundformen Cirrus, Cumulus, Stratus und Nimbus vor. Diese liessen sich zu insgesamt sieben verschiedenen Wolkenformationen kombinieren. Dem Laienwissenschaftler Howard gelang nicht weniger als die Erfindung der Wolken als wissenschaftlichen Gegenstand – seine Klassifikation setzte sich durch und findet in ihren Grundsätzen bis heute Verwendung.

Goethes Blick in den Himmel

Der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe war mehr als angetan von Luke Howards Typologie. Sie war für den Dichter Anlass genug, das Studium des Wetters, das ihn Zeit seines Lebens interessierte, in hohem Alter wieder aufzunehmen. Bedingungslos einverstanden war er mit Howard deshalb nicht: In seinen versuchsartigen Naturbeobachtungen (wie «Wolkengestalt nach Howard» aus dem Jahr 1820) heisst Goethe den objektivierenden Gestus der sich etablierenden Meteorologie zwar gut, sieht aber Grenzen in der naturwissenschaftlichen Methode: In der Überzeugung, dass Idee und Anschauung zusammenzufallen haben, verteidigt Goethe die Kraft der subjektiven Beschreibung.

Erst Prosa und Lyrik vermögen für Goethe gesammeltes Wissen adäquat wiederzugeben. Nicht zuletzt führt ihn sein doppeltes Selbstverständnis als Dichter und Wissenschaftler und die Beschäftigung mit Wetter und Wolken dazu, das naturwissenschaftliche Wissenskonzept zu überdenken und die Möglichkeiten der Poesie zu reflektieren. Goethes Blick in den Himmel fand seinen Widerhall in der Literatur – aber nicht nur. Wie Howard hat auch er Zeichnungen und Malereien von Wolken angefertigt.

John Constables Malprozess

Doch damit lösten sich die für die Wolken charakteristischen Darstellungsprobleme nicht in Luft auf. Bezeichnenderweise war es die Skizze, die die Wiedergabe der Wolke als spontane Naturerfahrung am ehesten zu ermöglichen schien. Der englische Maler John Constable (1776–1837) aber verzweifelte fast an der Aufgabe, wie die unmittelbare Beobachtung draussen auf dem Land im schrittweise entstehenden, grossformatigen Atelierbild zu bewahren ist. Letztlich erkannte er, dass man den Himmel nicht naturgetreu abbilden kann, sondern diesen im Malprozess entstehen lassen sollte.

Der Versuch einer künstlerischen Darstellung von Wolken führte somit zugleich zu einer Erweiterung der Möglichkeiten der Malerei, eine sanfte Verschiebung vom Realismus hin zum Impressionismus. Das gilt auch für die Fotografie: In Alfred Stieglitz’ (1864–1946) Abzügen wurden die Wolken zu losgelösten, abstrakten Formen. Seine «Equivalents» genannten Wolkenserien waren, im Kreis weiterer Avantgardisten, eine Apologie des amerikanischen Künstlers für die Fotografie als autonome Kunstform.

Die poetologische Dimension der Wolke

Weder Goethe und Howard noch Constable oder Stieglitz spielen in der Ausstellung «Wolkenstudien» eine explizite Rolle. Als Vorbedingung für die in Winterthur gezeigten Fotografien sind sie aber unbedingt mitzudenken. Weisen sie doch darauf hin, dass sich Kunst und Wissenschaft näher sind als gedacht: Beide greifen sie auf Mittel der Gestaltung zurück, um zu Resultaten zu kommen.

Jede der sechs im Fotomuseum vertretenen Positionen steht für eine je eigene wissenschaftliche und fotografische Sichtweise auf Wolken. Der Kurator Helmut Völter weiss um die spezifische Bedeutung der Medien für die Darstellung von Wolken und Wetter. Der Leipziger stellt neben Bildern auch Filme von Masano Abe aus den 1930er Jahren aus: Um Wolkenbewegungen darstellen zu können, kombinierte der Japaner Zeichnungen, Fotografien und Filme. 

Als zusammenfassende Reflexion lässt der Künstler und Buchgestalter Völter in einem «Bücherfilm» verschiedene Medien verschmelzen: In einem Video wird durch historische Publikationen geblättert. Das dem Wissensspeicher Buch eigene filmische Element wird so sichtbar gemacht und die darin enthaltenen Fotografien werden nochmals übersetzt – eine schöne Referenz an die poetologische Dimension der Wolke.

Die letzte Position in der Ausstellung ist der Blick aus dem Weltall auf die Erde: die Wolke als Teil des globalen Klimas. Auch die grösstmögliche Perspektive ändert nichts daran: Das Wetter bleibt ein prekärer Gegenstand des Wissens. Das Flüchtige festzuhalten, ist zwar möglich. Aber ganz greifbar wird es nie sein – währenddessen hat es sich schon verändert.

 

  • Ausstellung «Wolkenstudien. Der wissenschaftliche Blick in den Himmel» im Fotomuseum Winterthur, noch bis 12.2.2012
    www.fotomuseum.ch
  • Ausstellungskatalog: Helmut Völter (Hg).: Wolkenstudien. Cloud Studies. Études des nuages, Spector Verlag Leipzig, 2011, 284 Seiten, 166 Abbildungen. Mit einem Essay von Marcel Beyer. Preis: 49 Franken.

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