Wooooaaahhh, was für ein mutiger Macbeth!

Das Vorstadttheater zeigt einen Macbeth, wie wir ihn uns wünschen: Stürmisch, irrwitzig, gesetzlos.

AHHHHH!, AHHHH! und nochmals AHHHH!: Macbeth in Aktion.

(Bild: Xenia Häberli)

Stürmisch, irrwitzig, gesetzlos: Das Vorstadttheater zeigt einen Macbeth, wie wir ihn uns wünschen.

Keine zwei Minuten und schon regiert das Chaos: «Sie hören jetzt … ein Stück nach meiner wahren Geschichte!» – «Nein, nach meiner!» – «Nein nach meiner!». Die vier Figuren stehen auf der dunklen Bühne, recken ihre grotesk geschminkten Gesichter ins Licht und zanken sich um die richtige Story. Und die steht eigentlich schon fest, schliesslich befinden wir uns hier im Theater und auf dem Programm steht «Macbeth».  

Was bedeutet:

Macbeth erhält Prophezeiung, Macbeth will Königskrone, Macbeth tötet König, Macbeth tötet noch ein paar andere, Macbeth wird getötet. Dazwischen Auftritte von Gierhals Lady Macbeth, Skeptiker Banquo und Mutprotz Macduff (wovon die ersten beiden auch sterben), viel Blut, viel Wahn und viel Dunkelheit. Und drei irre Hexen. Eigentlich alles schön vorgelegt von Shakespeare.

Nur befinden wir uns in einem Theater, das sich eben nicht auf die vorgetrampelten Pfade begibt, das bekannt ist für seine wilden Produktionen, die sich kaum um Konventionen scheren. Im Vorstadttheater wird der gestiefelte Kater zum Tom-Waits-Verschnitt, Peter Munk zum Slampoeten und Shakespeare zur Pop-Figur:



Gute Kombo: Shakespeare mit Vorstadt-Auge.

Gute Kombo: Shakespeare mit Vorstadt-Auge.

Im Foyer hängt das grosse Porträt des Dramatikers, in quietschbunter Andy-Warhol-Ästhetik, mit dem Augenlogo des Theaters im Nacken. Es schreit: Shakespeare, du bist ein grosser Mann, aber wir machen uns dich widde widde wie es uns gefällt

Angefangen bei den gruseligen Figuren, die sich auf der Bühne um die Story streiten: Es handelt sich um die drei Hexen, die zu vier Hexen geworden sind. Weils grad besser passt und sich die Zuschauer so auch gleich an den inbrünstigen Duktus gewöhnen können, den diese Interpretation mit sich bringt: Man mengt und mischt, die Kessel brodeln und das Feuer zischt. 

Und das mit einer Gesamtbesetzung von gerade mal vier Schauspielern, die sich die Seele aus dem Leib spielen. Mit weit aufgerissenen Augen und Schlunden – eben so, wie wir uns den Macbeth und seine Entourage wünschen: irr bis über die Heideland’schen Grenzen hinaus.



Wir machen uns den Shakespeare widde widde wie er uns gefällt: Anarcho-Darsteller Dominique Müller, Kaspar Weiss, Gina Durler und Markus Mathis.

Wir machen uns den Shakespeare widde widde wie er uns gefällt: Anarcho-Darsteller Dominique Müller, Kaspar Weiss, Gina Durler und Markus Mathis. (Bild: Xenia Häberli)

Mit gutem Recht: «Fair is foul and foul is fair» ist nicht umsonst der meistzitierte Satz aus «Macbeth» und obwohl er im Vorstadttheater zu einem etwas einseitigen «gerecht ist schlecht und schlecht ist recht» wird, entfaltet dieser Satz in der Bearbeitung von Matthias Grupp jede seiner Schichten aufs Vorzüglichste. Alles hat zwei Gesichter, die Lady Macbeth hat zu Beginn sogar vier. Freund ist Feind, Feind ist Freund, es ist kein Verlass auf die Welt, die uns hier präsentiert wird.



Schaut nur, was aus der Welt geworden ist: Macbeth und sein bald nicht mehr so guter Freund Banquo.

Schaut nur, was aus der Welt geworden ist: Macbeth und sein bald nicht mehr so guter Freund Banquo. (Bild: Xenia Häberli)

Wieso sollte es auch, liegt diese Welt doch als blecherne Kugel halb versunken hingetätscht im Bühnenbild und wird höchstens noch als Unterschlupf oder Instrument genutzt. Wie in Verdis Opernversion, die zurzeit im Theater Basel gezeigt wird, geht es auch hier gehörig düster zu und her: Das Ende ist nah, das Blut fliesst, die Moral ist hin.

Nachdem das Paar Macbeth den Mord an Macbeths Freund Banquo begangen hat, versuchen die beiden nicht etwa wie in der Vorlage, das Blut von ihren Händen zu waschen, sondern übertünchen es mit Massen an weissem Puder. Sie leugnen ihre Tat nicht, sondern versuchen bloss, sie zu verbergen. Das moralische Dilemma setzt nicht ein. 

Der für die Moral zuständige König Duncan ist ohnehin schon längst tot: mit einem höhnischen «Amen e buon appetito» in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. 

Die andere Ordnungsinstanz, der säbelschwingende Fürst Macduff, der im Original dafür sorgt, dass mit Macbeth kurzer Prozess gemacht wird, fehlt gänzlich. An seiner Stelle richtet der kränkliche Königssohn Malcolm den «Thane» hin und geht am Ende als König hervor.

Mit diesem Ende ist man der Vorlage treu geblieben, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt die Zuschauer bereits so bedingungslos reingesteigert haben, dass es durchaus auch eine Lady Macbeth auf dem Thron von Schottland vertragen hätte. Wär doch mal was, denkt man sich und ist ein bisschen verblüfft über den eigenen Mut, die ganze hübsche 5-Akt-Struktur über den Haufen zu werfen.

Vergangenen Samstag sind es 400 Jahre gewesen, seit Shakespeare gestorben ist. Produktionen wie diese zeigen: Er ist keinen Tag gealtert.

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«Herr Macbeth oder die Schule des Bösen», Vorstadttheater Basel, St. Alban-Vorstadt 12, 4052 Basel.

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