Judith Kuckart ist mit ihrem neuen Werk zu Gast im Basler Literaturhaus. Ihr Roman «Wünsche» erkundet die Möglichkeit, jemand anderes zu sein, die Sehnsüchte, Ängste und Leerstellen, zwischen dem, was ist, was war und was sein könnte.
Bei Einzug des Frühlings zeigt sich bei uns allen allmählich, was aus den guten Vorsätzen vom vergangenen Silvesterabend geworden ist. Dem Vorsatz, vielleicht, endlich wieder mehr zu lesen. Eine Gelegenheit, sogar vorgelesen zu bekommen, böte sich am Montagabend im Literaturhaus Basel. Dort wird Judith Kuckart, die Trägerin des Annette-von-Droste-Hülshoff-Preises 2012, ihren siebten Roman «Wünsche» vorstellen, der an einem Silvestermorgen beginnt. Mit Veras 46. Geburtstag.
22. April 2013, 19 Uhr.
Judith Kuckart: «Wünsche». DuMont Buchverlag, Köln 2013.
Eigentlich hat sich Vera ihr Leben einmal ganz anders vorgestellt. Eigentlich wollte sie Schauspielerin werden. Nicht unbedingt Lehrerin an einer kleinstädtischen Berufsschule. An diesem Silvestergeburtstagsmorgen klaut sie im Schwimmbad den Ausweis und die Kleidung einer fremden, sommersprossigen Frau – aus dem Gefühl heraus, «sie könnte tatsächlich das Gesicht der anderen ausprobieren wie ein Kleid und dazu deren Leben, wie eine zweite Biografie, die genauso möglich gewesen wäre wie die, die zufällig ihre eigene geworden ist».
Vera haut mit ihrer geliehenen Identität nach London ab; im Gepäck die Hoffnung auf mehr Leben. Währenddessen beginnen zu Hause ihr Mann, ihr Sohn und ihre alten Freunde besorgt mit der alljährlichen Feier, indem sie sich, wie jedes Jahr, den Film anschauen, in dem Vera als Kind mitgespielt hat. Es soll von nun an nicht ihre einzige Rolle bleiben.
Von einem Leben ins andere
Verschiedenste Lebensläufe bewegt die ausgebildete Tänzerin und freie Regisseurin Kuckart rund um Veras Ausriss durch den Roman, lässt den Textkörper schnell und bedacht springen, von Figur zu Figur, von der Vergangenheit in die Gegenwart, von einem Leben ins andere.
In jenes von Meret Wünsche etwa, Veras engster Jugendfreundin, die mit dem allmählichen Welken ihrer Schönheit hadert; Merets Bruder, Friedrich Wünsche, der mit dem geerbten Warenhaus «Haus Wünsche» Grosses vorhat, oder Karatsch, Veras Ehemann, der früher ihr Pflegevater war und von dem sogar seine Freunde sagen «er sei ein Schwein», wenngleich er ein «kluges, freundliches, sanftes und manchmal auch verständiges Schwein» ist.
In einer Choreografie aus Haltsuche und Loslösung bewegen sich Kuckarts Figuren durch den Roman, kreuzen sich, prallen aufeinander; sie folgen den ausgetreten Pfaden des Provinzalltags oder den lockenden Abenteuerversprechen der weiten Welt, vorangetrieben oder festgehalten von ihren Wünschen. Und unter all den Suchbewegungen liegt die Frage, ob ein Neubeginn aus einem Menschen einen anderen macht. Einen guten Vorsatz einzuhalten und am Montag ins Literaturhaus zu gehen, hilft vielleicht dabei, das herauszufinden.