Yan Duyvendak, der Theatertänzer auf dem Vulkan der Zeitgeschichte

Er stellt Hamlet vor ein echtes Gericht und kämpft mit einem Musical gegen den Weltuntergang an: Yan Duyvendak stellt gängige Theatererwartungen auf den Kopf. Auch am Theaterfestival Basel, dessen Auftakt er mit einem Grossprojekt bestreitet.

Der Mann für überraschende Theaterformen: Yan Duyvendak.

(Bild: Dominique Spirgi)

Er stellt Hamlet vor ein echtes Gericht und kämpft mit einem Musical gegen den Weltuntergang an: Yan Duyvendak stellt gängige Theatererwartungen auf den Kopf. Auch am Theaterfestival Basel, dessen Auftakt er mit einem Grossprojekt bestreitet.

Wenn man an diesem Vorabend zum Theaterfestival Basel einen Blick in die Reithalle der Kaserne Basel wirft, dann deutet eigentlich nichts auf ein Projekt hin, das den Weltuntergang thematisiert: die drohende Klimakatastrophe, die Überbevölkerung, den globalen Krieg, die Flüchtlingsströme, die vielen jungen Menschen, die sich in «unserer» Welt das Leben nehmen.

Wir sehen ein Dutzend Broadway-Tänzer oder Musicaldarsteller, die auf den Soundcheck warten. Sie sehen aus, wie man sie aus einschlägigen Dokumentationen kennt: ein Multikulti-Haufen an hochbegabten jungen Talenten des Showbiz. Und es sind auch wirklich welche – gecastet in der grossen europäischen Musical-Metropole Hamburg.

Der Mann für Überraschungen …

Wenn man auf einen Theatermacher wartet, dessen Projekte in der ganzen Welt auf Begeisterung stossen, der zu den grossen und vor allem spannenden Namen der Festivalszene gehört, erwartet man keinen unkomplizierten Menschen. Yan Duyvendak erscheint gerade mal fünf Minuten zu spät zum Interviewtermin und entschuldigt sich überschwänglich für die Verspätung.

«Entschuldigung, in dr Schwyz goht das nit.» Auf Schweizerdeutsch also. Der gebürtige Holländer lebt zwar in der Schweiz, in seinem Wohnort Genf ist der deutsche Dialekt jedoch nicht so präsent. «Aber als Holländer kann man das improvisieren», sagt er mit einem charmanten Lächeln. 

… und das theatrale Extra

Yan Duyvendak ist der Mann für künstlerische Überraschungen. Und für das theatrale Extra auf der Schnittstelle zwischen bildender Kunst, performativer Soziologie und Theater. Zur Eröffnung des Theaterfestivals Basel geht es vornehmlich um Theater, um eine spezielle Form, nämlich das Musical in seiner showbetonten Form, wie wir es vom New Yorker Broadway oder Londoner Westend her kennen.

Aber das betrifft erst einmal nur die Form. «Ich benutze bestimmte Formen, die das Thema weitertragen, das mir vorschwebt», sagt er. In «Please, Continue (Hamlet)» stellte er die berühmte Shakespeare-Figur als angeklagten Mörder vor echte Gerichte. In «Made in Paradise» lud er das Publikum vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings zu einem Bazar der szenischen und interaktiven Fragmente. Im soeben in Nyon uraufgeführten Projekt «Actions» verführt er das Publikum mit Erfolg zu realen Kontrakten mit echten Flüchtlingen und echten freiwilligen Helfern.

Spiel mit der Form

Am Theaterfestival Basel steht nun «Sound of Music» auf dem Programm. Der Titel lehnt sich direkt an einen Broadway-Schmachtfetzen gleichen Namens des Erfolgsgespanns Richard Rodgers und Oscar Hammerstein an, der 1959 am Broadway uraufgeführt wurde. Inhaltlich finden sich aber keinerlei Parallelen. Ausser einer paradoxen vielleicht: Diente die Kunstform des seichten Musicals in der Zeit der grossen Weltkrisen dazu, die Betrübnisse der Zeit vergessen zu machen, setzt Duyvendak mit seinem Musical zu einer hoffnungsvollen Kampfansage gegen den drohenden Weltuntergang an.

«Es geht um die Klimakatastrophe, die Überbevölkerung, Suizide, Krieg und Flüchtlingsströme, um das nahende Ende des Lebens», sagt Duyvendak. Und es geht oberflächlich um Glitzer, Glamour, tolle Tänze, schöne Musik. Dabei geht es Duyvendak, der das «Riesending» mit fast fünfzig Mitwirkenden zusammen mit den Choreografen Olivier Dubois und Michael Helland, dem Komponisten Andrea Cerra und dem Librettisten Christophe Fiat auf die Beine gestellt hat, nicht um eine sarkastisch-satirische Endzeitrevue. «Ich will Menschen zeigen, die dem drohenden Ende mit künstlerischer Energie entgegentreten und Hoffnung verbreiten», sagt Duyvendak.

Die Überraschung beim Casting



Glitzer, Tanz und Musik gegen den drohenden Weltuntergang: «Sound of Music» von Yan Duyvendak.

Glitzer, Tanz und Musik gegen den drohenden Weltuntergang: «Sound of Music» von Yan Duyvendak. (Bild: Pierre Planchenault)

Hier ist es, das Unberechenbare in den Projekten Duyvendaks, der in Genf und Sitten bildende Kunst studierte und sich immer mehr zum spartenübergreifenden Bühnenkünstler entwickelte. Das Unberechenbare hatten auch die Musicalkünstler zu spüren bekommen, als er in Hamburg zum Casting für die zwölf Hauptrollen bitten liess. «150 Bewerber erschienen, und der Casting-Agent bläute mir ein, sie im Glauben zu lassen, es gehe um das alte Broadway-Musical – sonst würden die jungen Menschen, deren künstlerische Erfüllung ihres Traums in einer Rolle bei ‹Cats› oder ‹König der Löwen› liege, die Flucht ergreifen.»

Doch es kam ganz anders, wie sich Duyvendak erinnert. Als er bei der zweiten Ausscheidungsrunde die Katze aus dem Sack liess, waren die Beteiligten begeistert. «Endlich konnten sie etwas anderes darstellen, sich mit Problemen der Zeit befassen», sagt er. «Sie stehen voll und ganz hinter dem Projekt, es ist eine wunderbare Crew», freut er sich.

Ein riesiger Aufwand

Aber auch eine aufwendige Angelegenheit. Für jeden Gastauftritt muss eine Chorus Line mit 32 Tänzerinnen und Tänzern aus dem lokalen Umfeld zusammengestellt und eingearbeitet werden. In Basel sind es Studierende aus der Ballettschule Basel und der Zürcher Hochschule für Tanz. Drei Tage bleibt ihnen fürs Proben.

Aber trotz des Aufwands ist «Sound of Music» ein Projekt, das der unermüdliche theatrale Weltenforscher Duyvendak gewissermassen bereits abgehakt hat. «Die Produktion läuft, alles ist unter Kontrolle, ich selber kann nicht mehr viel dazulernen», sagt er.

Als Flüchtlingshelfer in Calais

Sein ganz grosses Herzblut scheint derzeit in seiner zweiten aktuellen Produktion «Actions» zu stecken, die eben erst an einem kleinen Festival in Lyon Premiere hatte. Es ist ein Projekt, das aus seinen Erfahrungen herausgewachsen ist, die er als freiwilliger Helfer in Flüchtlingscamps in Calais und Dunkerque gesammelt hatte. Es waren schreckliche Erfahrungen: «Ich habe jeden Tag geweint, als ich miterleben musste, wie diese Menschen ihrem Elend überlassen wurden.»

In «Actions» geht Duyvendak nun an den äussersten Rand der Kunst. Eigentlich handelt es sich um ein Hilfsprojekt auf der Bühne. «Freiwillige Helfer erzählen, was für Flüchtlinge getan wird und getan werden kann, und Flüchtlinge sagen, was nicht getan wird.» Als Zuschauer wird man schliesslich aufgefordert, Kontrakte für konkrete Hilfsaktionen zu unterzeichnen: «Etwa für eine bis zwei Stunden Sprachunterricht oder für eine Thermoskanne», sagt Duyvendak.

Yan Duyvendak: «Sound of Music», 30. und 31. August in der Reithalle der Kaserne Basel.

13 Tage Theater total

Das Festivalzentrum steht – zwei Wochen lang haben Szenografie-Studentinnen auf dem Basler Kasernenareal eine skurrile Fantasiewelt zusammengezimmert, die die nächsten zwei Wochen als Begegnungsstätte für die Festivalbesucher dienen wird. Das Festival beschränkt sich aber nicht nur auf die verschiedenen Bühnen auf dem Kasernenareal. Gespielt wird auch im Schauspielhaus des Theaters Basel, im Theater Roxy in Birsfelden und im Neuen Theater in Dornach.

Das Theaterfestival Basel, das nun zum dritten Mal unter der Leitung von Carena Schlewitt stattfindet, will ein Entdeckerfest sein, eine lustvolle Reise, die an die Grenzen der Bühnenkunst führt. Und ein Plädoyer dafür, wie nahe die Bühnenkunst am Zeitgeschehen sein und wie spannend die Auseinandersetzung damit sein kann.

Ein Beispiel dafür ist Yan Duyvendaks Musical «Sound of Music», das sich mit Glitzer und Glamour dem drohenden Weltuntergang nähert. Oder das Bühnenprojekt «Während ich wartete» der syrischen Theatermacher Omar Abusaada und Mohammad Al Attar, das auf eindringliche Art Einblick bietet in den schrecklichen Alltag der Menschen, die im Kriegsland Syrien leben oder von dort fliehen müssen.

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