Zilvinas und Mario: eine gute Wahl

Wo bloss Zilvinas Kempinas noch immer die vielen Magnetbänder her hat? Er begann gerade dann mit der Arbeit mit diesem Material, als absehbar wurde, dass es bald zu einem anachronistischen Ton- und Bildträger werden würde. Das war vor 20 Jahren.

Auch im Aussenraum ist Zilvinas Kempinas präsent, mit der Installation «Kakashi». (Bild: Daniel Spehr)

Wo bloss Zilvinas Kempinas noch immer die vielen Magnetbänder her hat? Er begann gerade dann mit der Arbeit mit diesem Material, als absehbar wurde, dass es bald zu einem anachronistischen Ton- und Bildträger werden würde. Das war vor 20 Jahren.

In der Sommerausstellung «Slow Motion» des Museum Tinguely zeigt der in Litauen geborene, seit 15 Jahren in New York lebende Zilvinas Kempinas filigrane Arbeiten, welche buchstäblich und im übertragenen Sinn anziehend sind. Nicht Ton und Bild sind auf den neuen Magnetbändern gespeichert, sondern sie selbst produzieren Bilder und auch Sound.

«Fountain» evoziert mit von einem Ventilator in alle Richtungen sich ausbreitenden, schwarzen und glitzernden Bänderwellen das Rauschen von Wasser. Obwohl etwas verloren zwischen den massiven Tinguelyskulpturen auf dem Boden des Erdgeschosses platziert, entsteht hier ein Bezug zum Tinguely-Brunnen im Solitude-Park.

Die Motiv der Welle spielt auch in «Slow Motion» eine zentrale Rolle, dessen Titel man ernst nehmen sollte, um sich mindestens fünf Minuten Zeit für das Werk zu geben. Die auf eine Platte montierten Minutenzeiger scheinen sich zunächst stabil nach unterschiedlichen magnetischen Quellen auszurichten. Für geduldige Betrachtende verändert sich das Muster in einer stillen steten Bewegung. Aus den vielen geraden Strichen entsteht langsam eine sich weiter bewegende Welle.

Bottas Architektur neu gesehen

Die Interventionen von Kempinas sind Seh-Erlebnisse, welche in der Rezeption zwischen Minimal Art und Op Art changieren. Er schafft Einheit durch Wiederholung, wenn er die Bänder parallel zueinander spannt und Flächen erscheinen lässt, wo keine sind. Ihm gelingt es das Unsichtbare und die Immaterialität in Szene zu setzen. Verspielt wie ein Zauberlehrling, bedient sich der Künstler physikalischen Gesetzmässigkeiten, die er gleichzeitig ausser Kraft zu setzen scheint. In «Flux» – einem Tanz der Schwerelosigkeit – lässt Kempinas ein schwebendes Paar geschlossener Magnetbänder über einem grossen weissen Sockel eine faszinierende Choreografie aufführen. Ähnliches tut er in «Airborne», nur dass hier die Besuchenden zu Tanzpartnern werden.

Luftig und leicht oder voller Spannung sind die Installationen von Kempinas in das kompakte, schwere Gebäude des Tessiner Architekten Mario Botta eingelassen. Die Architektur bildet für viele Arbeiten den Rahmen: sei es als Spannrahmen oder Behälter, in dem sie sich freischwebend entfalten. Schön, wie Strukturelemente der Architektur – Geländer, Fensterrahmen und besonders den von Botta als «Barca» bezeichneten Rampenkörper – betont und in ihrer Stimmigkeit hervorgehoben werden. Mit dieser Ausstellung bietet sich die Gelegenheit die aussergewöhnliche Architektur des mittlerweile 17-jährigen Hauses neu zu entdecken. Nur schade, dass sich kaum ein Dialog mit den Werken Tinguelys entspinnt. Was sichtbar und schmerzhaft fühlbar wird, ist die grundsätzliche Gegensätzlichkeit dieser beiden Künstler.

Vogelscheuche im Park

Das Museum Tinguely zeigt seit seiner Eröffnung regelmässig Ausstellungen, die formal oder biografisch in Bezug zum Werk von Tinguely stehen. Leider wird dabei nur selten eine direkte Gegenüberstellung angestrebt. Es würde den vielschichtigen, kinetischen Werken Tinguelys wohl gut tun, wenn sie vermehrt in einem direkten Dialog mit ihren Zeitgenossen und mit zeitgenössischen Werken ihre Aktualität unter Beweis stellen könnten.

Im Solitude-Park ist «Kakashi» (Vogelscheuche) zu sehen. Ein ungewöhnliches Werk von Kempinas, da er normalerweise mit künstlichem Licht und künstlich erzeugter Luft in Innenräumen arbeitet. Ein Kreis aus drei Meter hohen, rot-gelb gestreiften Schneeleitpfählen dient als Spannrahmen farbiger Bänder, die im Wind und Sonnenlicht ein flirrendes Muster produzieren. Man kann sich auch in die Skulptur begeben und wer diese von oben betrachten möchte, ist in den Skulpturenpark des Kloster Schönthal eingeladen: Hier steht aktuell eine zweite Version von «Kakashi». Die Website verspricht, dass von der Anhöhe bei den drei Linden die Installation als schwebender Körper erscheint.

Ausstellung: «Zilvinas Kempinas. Slow Motion»

Museum Tinguely, bis 22.9.2013

Zur Ausstellung erscheint im August im Christoph Merian Verlag eine Publikation, die sich zusätzlich mit dem Frühwerk Kempinas‘ sowie mit seinem künstlerischen Umfeld in Litauen auseinandersetzt.


 

Nächster Artikel