Je näher die Neubesetzung der Direktion des Historischen Museums Basel rückt, desto stärker wird die Forderung nach einem stärkeren Einbezug der jüngeren Geschichte. Gleichzeitig wird befürchtet, dass dies den Glanz der Schatzkammern dämpfen könnte.
In einem anonymen Brief an die TagesWoche ist von «Machtspielen im Berufungsverfahren» die Rede. Auch eine konkrete Kronfavoritin für die frei werdende Direktionsstelle wird genannt. «Zu Gerüchten nehme ich keine Stellung», blockt Philippe Bischof, der als Abteilungsleiter Kultur die Findungskommisson präsidiert, ab. «Wir haben absolutes Stillschweigen vereinbart», sagt auch Oswald Inglin, Kommissionsmitglied, Grossrat und Vorstandsmitglied im neu gegründeten Verein Basler Geschichte. «Die definitive Wahl wird im Februar erfolgen.» Die im Brief genannte Person jedoch winkt ab.
Aus Gesprächen mit direkt oder indirekt an der Neubesetzung der Direktion beteiligten Exponenten lässt sich aber doch eine Art Profil jener Person herausschälen, die von der Findungskommission zur Wahl vorgeschlagen wird. So scheint das Ansinnen, dass sich das Museum stärker mit der aktuellen Stadtentwicklung zu befassen habe, eine Mehrheit zu haben. Und die Idee, das Haus mit dem Historischen Seminar der Uni und weiteren Institutionen zu einem «Forum der Geschichte» zu vernetzen, wird weitum begrüsst. Dieses Forum wird im überarbeiteten Kulturleitbild ein gewichtiges Kapitel einnehmen, sagt Bischof. «Selbstverständlich war und ist die Wahl von diesem aktuellen Kontext beeinflusst», sagt Findungskommissionsmitglied und Historikerin Susanna Burghartz.
Historiker statt Kunsthistoriker
Die neue Direktorin (angenommen, es wäre eine Frau) wäre demnach Historikerin und nicht Kunsthistoriker wie der vor seiner Pensionierung stehende langjährige Direktor Burkard von Roda. Sie wäre mit der Stadt Basel vertraut und offen dafür, das Museum im Sinne der aktuellen Stadtentwicklung inhaltlich zu erweitern.
Diese kam im Museum bisher ausser bei Sonderausstellungen nur marginal vor. Im Museumskonzept ist zwar von einem «Beitrag zur Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihrer kulturellen Entwicklung in Vergangenheit und Gegenwart» zu lesen. Mehr als andere Ausstellungshäuser präsentiert sich das Historische Museum aber als Schatzkammer des wohlhabenden Grossbürgertums und der einst massgebenden Elite. Wer lange sucht, findet neben den Prunkstücken aus dem Münsterschatz, neben Preziosen aus den Wunderkammern vergangener Zeiten zwar auch eine Punkjacke aus der AJZ-Bewegung, eine Gewerkschaftsfahne und das Calatrava-Modell für eine neue Wettsteinbrücke. Aber das war es dann auch schon.
«Im Grunde genommen trägt das Historische Museum, das ja eigentlich ein kunst- oder kulturhistorisches Haus ist, den falschen Namen», sagt Georg Krayer, Bankier und Präsident der Museums-Aufsichtskommission. Aus der Suche nach einem neuen Direktor habe er sich rausgehalten. «Ich bin schon so lange mit dem Museum verbunden, dass ich die Sache Leuten überlassen wollte, die freier über eine Weiterentwicklung nachdenken können», sagt er, um dann gleich zu einem flammenden Plädoyer für neue Formen der Vermittlung der Geschichte auszuholen: «Wir müssen uns fragen, ob eine Keltenausstellung das richtige Mittel ist, um einem Migrationskind der zweiten Generation hiesige Geschichte zu vermitteln.»
Neue Bedürfnisse
Die Tatsache, dass sich das Museum bislang auf die Präsentation der kunsthistorischen Schätze konzentrierte, wird also auch als Defizit empfunden. Als explizite Kritik an der neuen Dauerausstellung möchte die Findungskommission dies aber nicht verstanden wissen: «Die neue Dauerausstellung hat durchaus ihre Berechtigung, und das Museum hat eine ästhetisch sehr ansprechende Form der Präsentation gefunden», sagt Burghartz. «Das Museum besitzt berühmte und wertvolle Sammlungen, die es natürlich pflegen und auch ausstellen muss», ergänzt Inglin. Dass von Roda die Neueinrichtung der Dauerausstellung erfolgreich abschliessen konnte, eröffne für seinen Nachfolger auch Freiräume. «Die Aufgabe, beiden Seiten gerecht zu werden, also sowohl den bestehenden Sammlungen als auch der neueren Geschichte genügend Platz einzuräumen, dürfte aber nicht leicht sein.»
Nicht zuletzt muss das Historische Museum auch den Bedürfnissen seines Publikums nachkommen. Eine Möglichkeit, neuere Geschichte zu präsentieren, zeigte die Ausstellung «Hier und Dort» des Teams Stratenwerth im Stellwerk St. Johann. 15 000 Leute besuchten die «Ausstellung über Basel im 20. Jahrhundert» im Sommer 2011. Zum Vergleich: Die Sonderausstellung zur antiken Himmelsscheibe von Nebra lockte 2006/07 rund 80 000 Interessierte in die Barfüsserkirche.
Die Erwartungen an die neue Museumsleitung sind also hoch gesteckt. Die Antwort auf die Frage, wie weit diesen dereinst entsprochen werden kann, dürfte nicht zuletzt auch vom Budget abhängen. Und hier sieht es nicht gerade gut aus, musste doch das Museum wegen Budgetkürzungen kürzlich erst die Schliessung seines Kutschenmuseums bekannt geben.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12