Die Zürcher Antwort auf die Art Basel heisst «Art and the City»: Kunst unter freiem Himmel im wilden Westen der Stadt. Das Festival soll den Kunst-Jetset begeistern – und lokale Identität stiften.
Am Freitagabend knallt es beim Bahnhof Altstetten in Zürich. Es explodieren 10 000 goldene Blechdosen – ein Feuer-Werk der deutschen Künstlerin Sandra Kranich. Auf der Grossbaustelle Vulkanplatz fällt der Startschuss für das Kunstspektakel «Art and the City», das die Stadt Zürich dieses Jahr erstmals ausrichtet. Über 40 Künstlerinnen und Künstler – von internationalen Stars bis zu Absolventen der lokalen Kunsthochschule – präsentieren ihre Werke in der laut Organisatoren «grössten Freiluftgalerie der Schweiz».
Die meisten davon sind in Zürich West zu finden, im Stadtteil der Umwälzung – irgendwo zwischen den letzten Familiengärten, der neuen Skyline und dem Container-Turm, den die Brüder Freitag für ihre Taschen gebaut haben. Weitere Kunstwerke sind in der Innenstadt verteilt – die Marmor-Sessel des chinesischen Künstlers Ai Weiwei etwa stehen auf dem Paradeplatz. Die Skulpturen, Installationen, Performances und Interventionen thematisieren im weitesten Sinne die Beziehung zwischen Kunst, Stadt und Wandel.
Das Timing ist geschickt: «Art and the City» beginnt am Wochenende vor der Art Basel – dann, wenn traditionellerweise die Kunstinteressierten aus aller Welt in Kloten landen und das Wochenende rund um die Zürcher Galerien verbringen. Viele logieren auch während der Basler Messetage in Zürich. «Gemeinsam werden Art und ‹Art and the City› noch mehr Kunstliebhaber anziehen», ist Christoph Doswald, der Kurator des Festivals, überzeugt: «Es ist eine Win-win-Situation.»
Gewinnen will Zürich ein neues Image: Die Bankenstadt will als international herausragende Kultur- und Kreativstadt wahrgenommen werden. Ein Ziel, das die rot-grüne Stadtregierung seit Jahren verfolgt und zu einem Legislaturschwerpunkt erklärt hat. Die Krönung wäre der Zuschlag für die Manifesta 2016: eine europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, um die sich Zürich bewirbt. «Wir wollen die historische Chance packen», sagt Doswald, der das Projekt als Vorsitzender der städtischen Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum angerissen hat – jetzt, wo nach zwei Jahren Umbaupause der Löwenbräu-Kunstkomplex wiedereröffnet wird und im neuen Stadtteil Immobilienunternehmen, Banken und Versicherungen als Sponsoren bereitstehen, will er Zürich bei der internationalen Kunstszene «auf die Landkarte setzen».
Auf solche Töne reagiert der Zürcher Galerist und Avantgarde-Pionier Gianfranco Verna mit Skepsis: «Kunst taugt nicht als Zaubermittel im Stadtmarketing.» Nur wenn der Anlass als Kunstausstellung überzeuge, werde das Echo länger als das Eröffnungswochenende andauern. Die Galerie Verna ist nach einigem Zögern mit Werken von Richard Tuttle und Fred Sandback präsent. «Der Aufwand ist gross», sagt Verna, der wie neun weitere der 15 involvierten Galeristen auch an der Art Basel präsent ist: «Doch einen kommerziellen Nutzen sehen wir bei ‹Art and the City› kaum.»
Anders die privaten Geldgeber, die zwei Drittel des 2,1 Millionen Franken teuren Projekts finanzieren. Hauptsponsor ist die Mobimo AG, die in ihrem Hochhaus bei der Hardbrücke Wohnungen «ab 3 Millionen Franken» verkauft – wobei nicht zuletzt die Lage den Wert ausmacht, wie der Werbetext nahelegt: «Ein Leben hoch über dem pulsierenden Leben der Zürcher City West und mittendrin Sie». Das finanzielle Engagement sieht Mobimo-Geschäftsführer Christoph Caviezel als «Beitrag für eine spannende Stadtentwicklung». Auch die Stadt Zürich sieht die Rolle der Kunst darin, die Stadtentwicklung zu «begleiten», wie sich Stadträtin Ruth Genner (Grüne) bei der Präsentation von «Art and the City» ausdrückte: Der Bevölkerung sollen die Kunstwerke bei der «Identitätsfindung im Umbruch» helfen.
Kritik aus der Kreativszene
Worte, die im Quartier nicht überall gut ankommen. «Zuerst verdrängt man die kreative Szene aus Zürich West, und nun will man die Investitionen, die man dort getätigt hat, mit Kunst wieder aufwerten», rief Anwohner und Gemeinderat Richard Wolff von der Alternativen Liste im Stadtparlament aus: Hier werde Kunst instrumentalisiert und als Marketingmittel missbraucht.
Die Verdrängung sei eine Tatsache, sagt auch Kurator Doswald, «aber sie wird nicht beschleunigt durch dieses Projekt». Dafür biete «Art and the City» die Chance, Menschen zusammenzubringen und solche Kontroversen auszutragen. Etwa auf der Hardturm-Stadionbrache, wo die slowenische Künstlerin Marjetica Potrc ihre «Public Space Society» aufziehen will – einen Raum zur «freien Gestaltung und autonomen Organisation». Die Leute vom Verein Stadionbrache lassen sich auf das Projekt ein – auch wenn manche eine gewisse Ironie erkennen: Hat sich das Quartier die Brache doch schon längst autonom angeeignet – für Brot und Spiele, Gemüse und Geselligkeit, Vergängliches und Utopisches. Es war keine Kunst.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.06.12