Zur Kasse, Kulturfan!

Ob Skaterrampe, Rockalbum oder Buchprojekt: Immer mehr Basler Kulturschaffende versuchen, ihre Projekte via Crowdfunding-Plattformen wie «We Make It» oder «100 Days» zu realisieren. Doch bietet Crowdfunding auch längerfristig eine Alternative zur herkömmlichen Kulturfinanzierung? Die TagesWoche hat sich bei den Portalbetreibern, beim Kanton und bei Basler Kulturschaffenden umgehört.

Endlich frei! «Wir sind die Medien», steht auf dem Schild, das die US-Künstlerin Amanda Palmer bei ihrem Videoaufruf in die Kamera hält. (Bild: Screenshot)

Ob Skaterrampe, Rockalbum oder Buchprojekt: Immer mehr Basler Kulturschaffende versuchen, ihre Projekte via Crowdfunding-Plattformen wie «We Make It» oder «100 Days» zu realisieren. Doch bietet Crowdfunding auch längerfristig eine Alternative zur herkömmlichen Kulturfinanzierung?

Es ist das Ei des Kolumbus: Wer eine gute Idee hat, präsentiert diese samt benötigtem Budget für einen beschränkten Zeitraum im Netz. Und jeder, den die Idee ebenfalls überzeugt, kann das Unterfangen durch einen Klick mit ein paar Franken unterstützen und erhält dafür ein Geschenk oder eine Gegenleistung – gesetzt den Fall, dass sich genügend weitere Sponsoren für das Projekt finden. Sonst geht das Geld wieder zurück an den Absender. Simpel, aber genial.

Kein Wunder also, dass Crowdfunding, das ursprünglich aus den USA stammt, sich in den letzten Jahren rasant auf der ganzen Welt verbreitet hat, und manche Theoretiker schon eine «kulturelle Revolution» prophezeien und eine «neue Ära des Crowdfundings anbrechen sehen. Kein Wunder auch, dass immer mehr Schweizer Künstler, Kreative und Kulturschaffende versuchen, auf diesem Weg ihre Projekte zu realisieren – insbesondere, nachdem im Frühjahr mit «100 Days» und «We Make It» die ersten eidgenössischen Plattformen ins Leben gerufen wurden.

Das eigene Netzwerk muss mitmachen

Funktioniert die gute Idee aber auch in der Praxis? «Ja!» lautet zumindest die Antwort der Macher: Bei beiden Portalbetreibern fällt die Bilanz nach rund neun Monaten «sehr gut» aus, beiderorts habe man die eigenen Erwartungen übertroffen.

Über 160 Projekte wurden insgesamt realisiert, bereits mehr als eine Million Franken gesprochen. Bei durchschnittlich 120 Franken liegt der pro Projekt gespendete Betrag laut Mitgründerin Rea Eggli bei «We Make It», das eine imposante Erfolgsquote von 57 Prozent aufweist: Je nach Projekt lägen die Beträge aber «zwischen 5 Franken und 12 000 Franken» – eine grosse Streuung also.

Doch können junge oder wenig bekannte Künstler mittels Crowdfunding wirklich neue Ressourcen akquirieren – oder bleibt der grösste Gönner nicht doch eher der eigene Götti? «Crowdfunding ist für alle interessant, ob junger Kreativer oder etablierter Künstler», relativiert Eggli. «Die jungen Kreativen werden oft stärker von den Bekannten und Familien unterstützt, bei den bereits bekannten Namen sind es dann Fans und Kulturinteressierte, die investieren.»

Dies bestätigt auch Romano Strebel, Mitgründer des von Ronorp initiierten «100 Days»: Für den Erfolg mitentscheidend sei, dass die Initianten ihr gesamtes Netzwerk mobilisieren und genügend auf die Kampagne aufmerksam machen würden: «Man kann nicht einfach das Projekt publizieren und dann warten, bis das Geld eintrifft. Von nichts kommt nichts.» Gerade höhere Beiträge zu akquirieren sei aufwendig und höchst anstrengend. «Ich sage immer zu unseren Initianten: Wir stellen nur das Tool. Das ist der erste Schritt – jetzt seid ihr dran: Kommt, schafft, macht – es geht um eure eigenen Träume!»

Basel-Stadt zahlt Pilotversuch

Ein ausgesprochener Befürworter des Crowdfunding-Modells ist auch der Basler Kulturchef Philippe Bischof. «Ich bin quasi ein Crowdfunding-Fan der ersten Stunde», scherzt der ehemalige Kulturmanager. Bereits kurz nach seiner Berufung zum Leiter der Abteilung Kultur des Präsidialdepartements liess Bischof seinen Worten Taten folgen und lancierte die erste regionale Sub-Domain von «We Make It»: Seither finanziert der Kanton Basel-Stadt in einem Pilotversuch das Teilzeitpensum von Aline Pieth, die Basler «We Make It»-Initianten mit Rat und Tat zur Seite steht – und ihre Erfolgschancen damit vergrössern soll.

Die Aktion zeigt bereits Wirkung: Von der neuen Skaterrampe auf dem Hafenareal über den Jungle Street Groove, dessen Komitee den Polizeieinsatz via Crowdfunding finanzierte, bis zum Basler Grafiker und Illustrator Däge, der damit seine Karikaturen in einem Sammelband vereint, kamen seit Juni auffallend viele Basler Gesuche zustande. Von 18 Projekten scheiterten bisher erst vier, elf konnten realisiert werden, drei laufen noch – mit guten Chancen. «Das ist eine unglaublich hohe Realisierungsrate», freut sich Bischof.

Eines der ersten Beispiele für ein erfolgreiches Basler Crowdfunding-Projekt ist die im September erschienene EP «Mahogany» des Basler Electronica-Duos laFayette. 4330 Franken sammelten die beiden aufstrebenden Soundtüftler Jascha Dormann und Simon Hauswirth für Mastering, CD- und Vinyl-Pressung, Design und Promotion ihres Zweitlings. Dass «We Make It» genau zu dem Zeitpunkt gestartet sei wie laFayettes Arbeiten am Nachfolger zu ihrem Debüt «Sputnik», sei dabei «perfektes Timing» gewesen, meint Jascha Dormann: «Trotzdem waren wir ja nicht die allerersten Nutzer und konnten daher schon von den Erfahrungen anderer Bands profitieren.»

Erfolg kommt nicht von allein

Dennoch: den meisten Künstlern sei bisher zu wenig bewusst, mit wie viel Aufwand Crowdfunding verbunden sei. «Der Erfolg kommt definitiv nicht von alleine», bestätigt Dormann: «Wichtig ist eine gute Präsentation.» Die grösste Schwierigkeit sei die Flaute zwischen anfänglichem Boom und Endspurt der Eingabe: «Hier gilt es dranzubleiben, weiter zu mobilisieren, auch wenn die Resonanz abnimmt.»

Am meisten habe ihn rückblickend überrascht, wie breit verteilt die Unterstützung unter den 50 Geldgebern ausfiel: «Ich hätte erwartet, dass uns in erster Linie Freunde und Bekannte unterstützen. Tatsächlich waren darunter aber viele, die um mehrere Ecken vom Aufruf erfahren hatten.»

Doch auch wenn die eigenen Erfahrungen positiv ausfielen, ist Dormann skeptisch, ob Crowdfunding die Zukunft gehört. «Ich denke, der aktuelle Hype wird wieder abflachen. Ausserdem muss einem bewusst sein, dass man dadurch nicht beliebig hohe Beiträge sammeln kann.» Für laFayette, die sich im Vorjahr vergeblich beim Rockförderverein (RFV) um Gelder beworben hatten, stünden daher trotz des «Erfolgserlebnisses» klassische Subventionskanäle im Zentrum.

Gerade beim RFV Basel beobachtet man umgekehrt die Basler Crowdfunding-Projekte sehr gespannt: «In einer Zeit, in der immer mehr traditionelle Möglichkeiten zur regionalen Musik- und Bandfinanzierung verschwinden, verspricht das neue Bezahl- und Fördermodell viel», meint etwa RFV-Geschäftsleiter und SP-Grossrat Tobit Schäfer: «Wir können uns durchaus vorstellen, in Zukunft stärker mit diesen Plattformen zu arbeiten.» Konkrete Pläne für einen Pilotversuch seien aber noch nicht spruchreif, betont Schäfer.

Skepsis bei der Hochkultur

Auch Bischof versucht, unrealistische Erwartungen zu dämpfen. «Gerade für kleine Beträge im Bereich der freien Szene oder Off-Kultur sehe ich sehr grosses Potenzial für Crowdfunding – etwa in Form von Zusatzbeiträgen für unterstützte Projekte. Inwiefern aber auch klassische Sparten oder aufwendige Grossprojekte über Crowdfunding finanziert werden können, muss sich noch zeigen.»

Insbesondere im Bereich der traditionellen Hochkulturformen wie etwa Klassik, Tanz oder Theater ist die Skepsis gegenüber Crowdfunding nach wie vor deutlich zu spüren. Zu beliebig und kurzlebig sei das zugrunde liegende «Anything goes»-Modell, zu gross das Risiko, dass nach dem Motto «Heute hui, morgen pfui» Beträge gesprochen würden, ist zu hören. Dahinter stecken auch handfeste Sorgen: nämlich, dass der Bereich der ständigen Subventionierung durch Staat, Kanton, Stifter und Sponsoren in Zukunft zugunsten reiner Projektförderung wegschmelzen könnte.

«In gewissen Bereichen ist der Widerstand gegen Crowdfunding gross», bestätigt der Kulturchef. Da brauche es noch einiges an Zeit und viel Fingerspitzengefühl, um diese laut Bischof «unbegründeten Ängste» abzubauen – denn Crowdfunding werde herkömmliche Subventionen nicht ersetzen, sondern höchstens um eine Ebene erweitern können.

Bald ganz normal?

«Crowdfunding macht kantonale oder staatliche Förderung niemals überflüssig, sondern ergänzt sie», betont genauso Rea Eggli – fügt aber hinzu: «Wir haben den Anspruch, auch für Kantone und Stiftungen eine attraktive Plattform zu sein, und sind überzeugt, dass auch schon bald professionelle Kulturförderer über uns gezielt Projekte unterstützen werden.»

Dieser Meinung ist auch Romano Strebel: «Klar wird der Hype abflachen – aber nur, weil Crowdfunding bereits normal ist. In ein paar Jahren wird das Modell überall zum Alltag gehören», ist der «100 Days»-Gründer überzeugt. «Wir Schweizer müssen nur die Angst vor dem Scheitern verlieren und mutig genug sein, unsere Ideen in die Öffentlichkeit zu tragen.» So werde auch die Abwehrhaltung gegen Crowdfunding verschwinden.

Denn der Zusatznutzen des Crowdfunding, von künstlerischer Freiheit über PR- und Marketingeffekte bis hin zum Schub für das ganze kulturelle Umfeld, sei unbezahlbar: «Es gibt fast nichts zu verlieren, aber unglaublich viel zu gewinnen.»

Vertrauen steigt Noch kein Jahr ist es her, dass die Plattform «100 Days» gestartet ist, und dennoch hat sie bereits das Vertrauen vieler Schweizer gewonnen. Dies kann Romano Strebel an ganz konkreten Daten belegen – nämlich dem Betrag, den die Nutzer den von ihnen unterstützten Projekten spenden. Von durchschnittlich 66 Franken in den ersten drei Monaten steigt der Wert im zweiten Jahresviertel auf imposante 112 Franken, und per Oktober nochmals markant auf 140 Franken. (siehe Grafik I) Doch für welche Sparten interessieren sich die Leute am meisten, welche Projekte unterstützen sie am ehesten? Eine Berechnung der TagesWoche zeigt: Der Bereich Musik steht bei «We Make It» mit 41 erfolgreich abschlossenen Eingaben deutlich an erster Stelle, gefolgt von Publikationen (Romane, Sachbücher und Bildbände, 18 Projekte), Film (ohne Musikvideos, 15), Kunstprojekte und Ausstellungen (14) und«Bühne» (u.a. Theater und Tanz, 13). Die zehn restlichen Projekte verteilen sich auf die Gebiete Architektur, Community, Mode/Design, Food, Kinder und Technologie (siehe Grafik 2).

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12

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