Einkaufszentren verkaufen sich gerne als erquickliche Erlebniswelten. Die Theaterfalle sorgt dafür, dass dies für einmal auch im Stücki-Shoppingcenter so sein kann.
Wir machen uns die Welt zur Bühne, könnte das Motto der Theaterfalle Basel lauten. Das trifft speziell für die grosse «Elysium»-Reihe zu, die sich das kleine Kulturunternehmen als grosses Geschenk zum 30. Geburtstag beschert hat. Und mit dem es über einen Zeitraum von drei Jahren auch Abschied nimmt von seiner charismatischen Gründerin und Leiterin Ruth Widmer.
Die Welt als Bühne, das war bisher die paradiesische Landschaft auf den Wasserfallen ob Reigoldswil («Songlines») und die Industriebrache Lysbüchel in Grossbasel Nord («Nimmerland»). Und nun folgt als dritter Streich das Shoppingcenter Stücki im Kleinbasler Norden.
Das Stücki als Bühne in einem mehrteiligen Epos, das die Vertreibung aus dem Paradies zum Inhalt hat. Das klingt nach einem genialen Einfall. Und für mich ist es die Gelegenheit, endlich auch einmal meinen Fuss in das Zentrum zu setzen, über das schon so viel geschrieben, gejammert und gespottet wurde.
Ich tue dies am Tag der ersten Durchlaufprobe, die von der Theaterfalle Basel mit der Generalversammlung des Trägervereins verbunden wurde. Diese Versammlung fand in einem der leerstehenden Läden statt, von denen es im Stücki so einige gibt. Mit den rund 25 Besucherinnen und Besuchern war es an diesem Mittwochnachmittag der mit Abstand am besten besuchte Laden.
Zwischen Generalversammlung und Hauptprobe bietet sich die Gelegenheit zur kurzen Shoppingtour. Und es bewahrheitet sich, was eine der anwesenden Vorstandsmitglieder im persönlichen Gespräch gesagt hat: Nirgendwo sonst lässt sich so gut bedient oder ungestört einkaufen. Die Dame in der Franz Carl Weber-Filiale freut sich über meinen Besuch, nimmt sich Zeit und führt mich kompetent zum richtigen Teddybären, den ich, …
… aber das ist eine andere Geschichte.
Schöne neue virtuelle Lebenshilfe
Zurück also zum eigentlichen Grund des Stücki-Besuchs. «iThink» heisst die dritte Episode. Ein androidenhaftes Darstellerquartett (Martin M. Hahnemann, Ann Klemann, Dominique Lüdi und Christian Heller) führt die mit Funkkopfhörern bestückten Zuschauer an verschiedene Stationen im Stücki: Vom fast menschenleeren Flur gehts in einen grossen Nebenraum im Rohbau, der offensichtlich noch keiner Funktion zugeordnet wurde, und weiter in einen zur Galerie umgestalteten Shop und in ein weitläufiges Atrium, in dem lange Rollbänder vom Erd- ins Obergeschoss führen.
Oder ist es vielmehr die App «iThink», welche die vier, die sich als späte Nachkommen von Adam und Eva entpuppen, entwickelt haben, die einen führt? «iThink», so erfährt man, bietet Lebenshilfe pur, weiss, was man wann und wo einkaufen muss, wie es um den Zuckerspiegel im Blut steht, wo die Liebe hinfallen könnte und wann ein nächster Termin bei der Sado-Maso-Domina fällig wäre. Die App weiss und hilft soviel, dass sie die Menschen zu blutleeren Wesen verkümmern lässt.
Aha!
Deshalb also das androidenhafte im Aussehen der Darsteller. Das könnte man als etwas gar plakativen Einfall kritisieren. Das tun wir hier aber nicht, weil eine Hauptprobe eine unfertige Probe bleiben soll und darf, an dem man das Endprodukt nicht messen darf.
Das wahre Leben hat mehr Spannung
Aber man darf sich zum Konzept, zum Drehbuch oder Stück äussern. «iThink» wiederholt die so oft erzählte Geschichte vom Computerprogramm, das die Menschen – oder in diesem Fall dessen Schöpfer – zu Untertanen macht. Kann man machen, auf spannende oder weniger spannende Art und Weise.
Aber dieser Plot bezieht den Spielort Stücki nicht unmittelbar mit ein. Das war bei den ersten beiden Teilen noch ganz anders. Die Vertreibung aus dem Paradies in «Songlines» bezog ein Grossteil seiner Ausdruckskraft von der Paradiesgarten-Umgebung auf den Wasserfallen. Dasselbe galt für das theatrale Adventure Game «Nimmerland», das sich und uns mit Haut und Haar in die wunderbare Industrie- und Gewerbebrache auf dem Lysbüchel einsog.
Bei «iThink» ist das Stücki ganz einfach Spielort. Ein reizvoller zwar, aber keiner, der inhaltlich als unabdingbar erscheint.
Das Theaterpublikum ist in der Überzahl. (Bild: Dominique Spirgi)
Das zeigte sich während der Hauptprobe, wenn man den Kopf das eine oder andere Mal vom Theatergeschehen weg auf das seltsame Leben richtete, das sich tatsächlich im Stücki abspielt: Auf Jugendliche, die ihre Freizeit in den Einkaufsarkaden zu verbringen scheinen.
Auf Familien, deren Abendspaziergang durch die fast leeren Gänge führt. Auf Hunde, die sich gegenseitig beschnuppern, während Herrchen und Frauchen den Blickkontakt zu vermeiden versuchen. Auf verwaiste Nischen mit Massagestühlen und auf Ladenfronten, die mit Holzlatten verrammelt sind.
Ruth Widmer weiss um die berührende Faszination der Umgebung. «Das Stücki ist das grösste Jugendzentrum der Stadt», sagt die Theaterleiterin zu Recht. Vielleicht gilt das auch für andere Einkaufszentren, nur dass es dort nicht so auffällt, weil es andernorts auch oder zumindest mehr Menschen auf Einkaufstour gibt.
So gesehen ist «iThink», so süffig die Produktion von Sarah Gärtner und Roland Suter auch daherkommen mag, eine verpasste Chance. Denn gegen das wahre Leben (oder Nicht-Leben) im Stücki kommt die gekünstelte Theater-Kunstwelt nicht an.
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Theaterfalle Basel: «iThink» von Sarah Gärtner und Roland Suter. Im Stücki-Shoppingcenter. Bis 16. Juni 2017.