Die 35-jährige Nationalrätin Natalie Rickli ist die letzte Hoffnung der SVP auf eine junge Zukunft.
Eine Annäherung in drei Schritten.
Es gibt da diese schnell geschnittene Szene, die jedem Beitrag von «SVP TV» vorangestellt ist. Ein lächelnder Christoph Blocher gibt einer lächelnden Natalie Rickli drei Küsse auf die Wange. Egal, wie oft man die Szene schon gesehen hat, sie berührt einen jedes Mal etwas seltsam. Wie sich der alte Mann gönnerhaft zur jungen Frau hinunterbeugt, wie er sie im Akt des Begrüssungskusses regelrecht vereinnahmt – das hat etwas Ungutes. Es ist die gefilmte Bestätigung eines Vorurteils. Dass in dieser Partei der alten Männer nur eine Chance hat, wer Blochers Gnade erhält. Dass er politisches Leben stiften und nehmen kann. Dass junge Frauen in dieser Partei gern gesehen sind. Als Dekoration.
So war es jedenfalls bis Ende Oktober. Als die alten Männer in untypisch nebulöser Sprache ihre Wahlniederlage in einen Sieg umdeuten wollten, da stand Natalie Rickli lächelnd daneben. Die 35-jährige Politikerin aus Winterthur wurde mit 145 776 Stimmen wieder in den Nationalrat gewählt, es war das beste Ergebnis der gesamten Schweiz. Vom siebten Listenplatz aus setzte sie sich an die Spitze der Zürcher SVP. Vor Christoph Blocher. Vor alle anderen.
Schritt 1: Die alten Männer
Der gloriose Wahlerfolg war das erste öffentliche Symptom für die Rolle, die Natalie Rickli schon länger in der SVP inne hat. Die Intro-Szene des hauseigenen Fernsehkanals täuscht: Rickli ist nicht die hübsche, junge Dekoration einer Partei der alten Männer – sie ist die Hoffnung der Volkspartei auf eine Zukunft. Vor den Wahlen war das eine unausgesprochene Wahrheit innerhalb der Volkspartei, nach den Wahlen sah es auch der Rest.
Rickli ist gelungen, woran viele andere Parlamentarier gescheitert sind, die in den vergangenen Jahren auf dem Weg der SVP zur stärksten Partei der Schweiz ins Parlament gespült wurden. Sie wird ernst genommen. «Sie zeichnet sich durch eine absolute Sachbezogenheit aus. Sie stellt ihre Politik in den Vordergrund, nicht ihre Person», sagt Christoph Mörgeli, ein enger Vertrauter von Rickli in der Fraktion. Mörgeli räumt ein, dass es als Frau in der SVP nicht nur einfach sei. «Aber wenn man akzeptiert wird wie Natalie Rickli, ist das kein Nachteil mehr.»
Ähnlich drückt es Christian Miesch aus, abgewählter Nationalrat aus dem Baselbiet und in der letzten Legislatur Banknachbar von Rickli im Parlament. Er wird von ihr nur «Papa Moll» gerufen. «Sie war eine ganz liebe Kollegin.» Man habe an Frauen in der Fraktion nur dann keine Freude, wenn sie mit ihrer Meinung von der Parteilinie abwichen. Und das sei bei Rickli nicht der Fall.
Schritt 2: Die politische Haltung
Mieschs Satz bringt uns zu Schritt 2, dem entscheidenden, um Rickli zu verstehen. Sie sagt selber: «Ich mache rein inhaltlich die gleiche Politik wie meine älteren Kollegen. Aber ich bin jünger, urbaner und spreche andere Leute an.» Mörgeli drückt es noch etwas drastischer aus: «Sie ist eine Hardlinerin. Aber eine mit Charme.» Natalie Rickli hat die Haltung der Partei verinnerlicht und – das ist das Geheimnis ihres Erfolgs in der Partei – auf ein von der SVP unbeachtetes Thema angewandt. Innerhalb einer Legislatur machte sie sich zur Stimme der unzufriedenen Fernsehzuschauer und schuf damit eine «politische Marke», wie es in einem Porträt der «NZZ am Sonntag» hiess.
Wenn es um das öffentlich-rechtliche Fernsehen geht, ist Rickli unerbittlich. «Sie will die SRG unbedingt schwächen. Da ist sie knallhart», sagt die abgewählte Basler Nationalrätin Anita Lachenmeier (Grüne), die mit Rickli in den Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen sass und ihr «offensichtlichen Lobbyismus» unterstellt. Rickli arbeitet bei einer Firma, die Werbung für Privatsender vermarktet – was ihr im Zusammenhang mit dem SRG-Poltern oft zum Vorwurf gemacht wird. «Mein Arbeitgeber profitiert nicht von meinem Engagement», sagt Rickli dazu, «wir haben keine und wir wollen auch keine Gebühren.» Auf der Basis ihres Fernseh-Engagements hat sich Rickli auch an andere Themen herangetastet, die eher entlang der Hauptlinien der Partei verlaufen. Sicherheit und Ausländer zum Beispiel und – neu – die Verwaltung. Es sei ungeheuerlich, wie viel Macht die Chefabteilung der Verwaltung habe, Bundesrat und Parlament würden praktisch von ihr geführt. «Die Verwaltung gehört drastisch verkleinert.»
Die Ausweitung ihrer Themen ist in sich stimmig und weist auf die mögliche Zukunft von Rickli in der SVP. Indem sie sich auch thematisch an die wichtigsten Motive der Partei annähert, kommt sie dorthin, wo die Dinge in der SVP entschieden werden.
Schritt 3: Die Zukunft
In Zeiten der Stagnation ist Natalie Rickli die personifizierte Zukunft der Partei. Noch einmal Anita Lachenmeier: «Die SVP hat zu wenige Frauen und zu wenige Junge. Rickli deckt beides ab. Irgendwann wird es einen Generationenwechsel geben, und dann ist die Partei auf Leute wie sie angewiesen.»
Rickli ist der Prototyp des neuen SVP-Politikers: Sie ist auf moderne Art konservativ. Sie begreift soziale Medien und spricht eine Sprache, die von ihrer Generation verstanden wird. Sie sagt: «Die Wahlen haben gezeigt, dass wir an unserer Durchmischung arbeiten müssen.» Und sie sagt auch: «Mein gutes Resultat ist getrübt durch das schlechte Abschneiden der SVP. Hier habe ich eine andere Meinung als Blocher, bin ein Stück weit selbstkritischer mit der Partei.» Inhaltlich müsse die SVP nicht in eine neue Ära, aber sie müsse «vermehrt für die eigenen Anliegen kämpfen». Sie sagt das in einem netten Ton. Es tönt dennoch wie eine Drohung.
Die Zukunft ist auch in anderen Parteien weiblich
Brenda Mäder
Der FDP ging es wahrlich schon besser. Das weiss auch Brenda Mäder (25), Präsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz. Sie kandidierte im Kanton Thurgau (erfolglos) für den Nationalrat und will sich nun via Jungpartei stärker in die nationalen Geschicke einmischen. Zwei Sitze in der Geschäftsleitung verlangen die jungen Freisinnigen, eine «aktivere Politik» mit mehr Referenden und Initiativen bieten sie im Gegenzug. Treibende Kraft dahinter ist Brenda Mäder.
Aline Trede
Auch Aline Trede (28) kandidierte für den Nationalrat, auch sie erfolglos (dafür hatte sie die originellste Kampagne im Kanton Bern). Trotz der Niederlage wird der Kampagnenleiterin des VCS und Vizepräsidentin der Grünen Partei eine glänzende Zukunft in ihrer Partei prophezeit. Die Umweltwissenschaftlerin ist im Gespräch für die Nachfolge des zurücktretenden Parteipräsidenten Ueli Leuenberger und gilt allgemein als kommende Kraft bei den Grünen.
Tiana Angelina Moser
Sie hat während ihrer bisherigen Zeit im Nationalrat keine grossen Stricke zerrissen – in der neuen Legislatur soll sich das aber ändern. Als frischgewählte Präsidentin der neuen Fraktion der Grünliberalen soll Tiana Angelina Moser (32) ein Gegengewicht zum omnipräsenten Parteipräsidenten Martin Bäumle schaffen. Keine einfache Aufgabe. Gelingt es ihr, sich von Bäumle zu emanzipieren, hat sie das Potenzial, eine starke Stimme der Grünliberalen zu werden.
Quellen
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11