Ägypten: Ein Parlament voller Wirtschaftsgünstlinge

Ägypten steckt in der Wirtschaftskrise. Grund dafür ist unter anderem die Verfilzung von Politik und Wirtschaftsführern. Diese ist heute noch schlimmer als unter Mubarak.

Eröffnungssitzung des ägyptischen Parlaments am Sonntag. Jeder fünfte Abgeordnete ist gleichzeitig Geschäftsmann.

 

(Bild: STRINGER)

Ägypten steckt in der Wirtschaftskrise. Grund dafür ist unter anderem die Verfilzung von Politik und Wirtschaftsführern. Diese ist heute noch schlimmer als unter Mubarak.

Vor der Revolution von 2011, in der Ära von Ex-Präsident Hosni Mubarak und seines Sohnes Gamal, war es ein kleiner Kreis von Privilegierten, die von den engen Verbindungen zum Regime profitierten. Wie Studien von Ökonomen und der Weltbank belegen, war diese Günstlingswirtschaft tief verwurzelt und äusserst schädlich für das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Niemand gibt offen zu, von dieser Günstlingswirtschaft profitiert zu haben. Etwas vom Innenleben dieses Systems wird jeweils in den Gerichtsprozessen gegen führende Geschäftsleute und ehemalige Minister ans Licht gezerrt. Die Praktiken, die zur Vorteilsnahme geführt hatten, umfassen zum Beispiel dubiose Landkäufe, unfairen Wettbewerb, fragwürdige Kredite von Staatsbanken oder Manipulation von Finanzmärkten.

Politik und Geschäftswelt sind verfilzt, das bremst Wachstum.

Nicht alle diese Tatbestände sind juristisch einklagbar. Die enge Verfilzung von Politik und Geschäftswelt, der sogenannte Cronyismus, hat die Industriepolitik unwirksam gemacht und den Druck auf private Firmen reduziert, Innovation und Wettbewerb zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen. Cronyismus ist eine Wachstumsbremse und wird von der Weltbank deshalb zu den langjährigen Strukturschwächen Ägyptens gezählt.

Dass es diese enge Verflechtung gab, war ein offenes Geheimnis. Blütezeit waren die Jahre 2004 bis 2011. Immer mehr Geschäftsleute traten in die Regierung ein. Am Höhepunkt 2011 waren es fünf Minister und 17 Prozent der Abgeordneten. In dieser Zeit gewann auch Präsidentensohn Gamal Mubarak stetig an Einfluss in der Regierungspartei.

Parallel dazu fand eine graduelle Wirtschaftsliberalisierung statt, aber die politische Macht blieb extrem autokratisch. Der Wert dieser politischen Beziehungen bei den verbandelten Firmen wurde anhand der Reaktion der Börse auf die Revolution auf 23 Prozent geschätzt. Die höheren Gewinne sind nach Mubaraks Sturz sofort eingebrochen.

32 Personen kontrollieren fast 470 Firmen

Die Forscher konnten in diesem undurchdringlichen Netz von wechselseitigen Kapitalverflechtungen basierend auf Investmentfonds, Holdings und Pyramidenstrukturen 469 Firmen eruieren, die von 32 mit der Politik verbundenen Geschäftsleuten kontrolliert werden. Die sechs am meisten vernetzten Geschäftsleute beherrschen direkt oder indirekt 240 Firmen.

In einem guten halben Dutzend Sektoren sind politisch liierte Firmen besonders häufig anzutreffen: Tourismus, Immobilien, Bau, Handel, Bergbau und Finanzdienstleistungen. Die verschiedensten Formen von Privilegien führten dazu, dass diese Sektoren de jure zwar offen für neue Marktteilnehmer waren, de facto aber geschlossen, weil von den verbundenen Firmen dominiert. Ein Beispiel sind die Energiesubventionen, die in der Schwerindustrie (Stahl, Zement usw.) an Lizenzen gebunden sind. 45 Prozent der verbundenen Firmen sind in energieintensiven Branchen tätig, verglichen mit 8 Prozent aller Firmen.

Dieser enge Kreis von Wirtschaftsgünstlingen war in der Lage, grosse Teile des formalen, privaten Sektors zu übernehmen. Es gelang ihnen, die Industriepolitik auszuhebeln und den Wettbewerb teilweise auszuschalten. Weil der Druck für Innovationen wegfiel, stagnierte auch im internationalen Vergleich die Dynamik.

Kaum Start-ups

Ägypten hat nur wenige junge Firmen, bei denen im Verhältnis am meisten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, nur 15 Prozent sind fünf Jahre alt und jünger. In Tunesien und Jordanien sind es doppelt so viele. Jene Firmen, die am meisten Arbeitsplätze schaffen würden, wurden verdrängt.

Der Industriesektor blieb dualistisch und statisch. Das heisst wenige grosse Firmen, eine fehlende Mitte und einen gewaltigen informellen Sektor mit Firmen, die mit antiquierter Technologie versuchen, lokale Nischenmärkte zu bedienen.

Nach der Revolution von 2011 wurden erst zaghafte Schritte unternommen, um den Wettbewerb zu stärken. Es gibt seit 2013 ein Anti-Korruptionsgesetz, aber noch wenig Wirkung in der Praxis. Auch ein erster Schritt zum Abbau der Energiesubventionen wurde gemacht. Es sind sogar Rückschritte zu verzeichnen mit einem neuen Gesetz, das Verträge zwischen der Regierung und Privaten von Anfechtungen durch Dritte abschirmt und Befürchtungen nährt, Korruption könnte befördert werden. Die meisten Regulierungen, die zu den marktverzerrenden Praktiken führten, haben immer noch Geltung.

Heute sitzen noch mehr Geschäftsleute im Parlament als unter Mubarak.

Die Chancen, dass sich daran schnell etwas ändert, sind gering, denn im neu gewählten Parlament sitzen mit 20 Prozent der Abgeordneten noch mehr Geschäftsleute unter der Kuppel als zu Mubaraks Zeiten. Dabei wären Reformen zur Ankurbelung des Wachstums dringend notwendig, Ägyptens Wirtschaftskrise und die chronische Dollarknappheit finden kein Ende.

Die Weltbank hat die Wachstumsprognosen für das Finanzjahr 2015/2016 auf 3,8 Prozent nach unten revidiert. Nach dem Flugzeugabsturz auf dem Sinai ist der Tourismus weiter eingebrochen und auch die Einkünfte aus dem Suez-Kanal sind trotz Erweiterung im vergangenen Jahr um 8 Prozent gesunken. Ausländische Investoren haben wenig Vertrauen in Ägypten. Von den grossen Versprechungen an der internationalen Wirtschaftskonferenz im März in Sharm al-Sheikh wurde nur ein Bruchteil realisiert. Die Politik des Präsidenten, die auf Grossprojekte setzt, hat bisher wenig Wirkung gezeigt.

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