Mit drastischen Gesetzesverschärfungen reagiert Kairo auf das Attentat gegen den Generalstaatsanwalt. Erste Todesurteile gegen Muslimbrüder könnten bald vollstreckt werden. Diese drohen ihrerseits mit einer «Revolte». Alle Zeichen stehen auf Eskalation; auch auf dem Sinai, wo Jihadisten die Armee in Verlegenheit bringen.
«Es ist Krieg», wiederholte am Mittwochabend eine Ägypterin in ihrer guten Stube die Worte von Regierungschef Ibrahim Mahlab. Sie sitzt vor dem Fernseher, wo statt der üblichen Ramadan-Feuilletons in martialischen Worten über den Krieg zwischen Armee und Jihadisten auf dem Sinai berichtet wird.
Sie ist sichtlich erschüttert über die vielen toten Soldaten; dass die Polizei in einem Vorort von Kairo auch neun Muslimbrüder erschossen hat, dafür hat sie viel Verständnis. Als am Montag mitten in Kairo der Generalstaatsanwalt durch einen Anschlag mit Autobombe getötet wurde, war die Illusion von Sicherheit und Stabilität, die die neue Führung versucht hatte zu vermitteln, jäh geplatzt. Überrascht hat lediglich die Geschwindigkeit der Eskalation.
Brennpunkte verschmelzen
Am Mittwoch hatten auf dem Sinai die schwersten Kämpfe getobt, die es je gegeben hatte. Dutzende Jihadisten, die vor einigen Monaten dem Islamischen Staat Loyalität geschworen hatten, überrollten mehrere militärische Einrichtungen in Rafah und Sheikh Zuweid. Für einige Stunden waren sie ihrem Traum einer eigenen, islamischen «Provinz Sinai» sehr nahe. Erst nach stundenlangen Gefechten gelang es der Armee am Abend die Kontrolle über das Gebiet zurückzugewinnen. Dabei gab es nach offiziellen Angaben 17 Tote unter den Soldaten und über 100 unter den Angreifern.
Die Wurzeln des Sinai-Problems reichen Jahrzehnte zurück und liegen in Unterentwicklung und Vernachlässigung, die einen guten Nährboden für Extremismus und Radikalisierung bilden. Der verstärkte Einsatz der Armee, die forcierte Umsiedlung Tausender Einwohner im Grenzstreifen in Rafah und eine rigorose Ausgangssperre haben den Hass der lokalen Beduinen auf die Zentralregierung in Kairo in den vergangenen zwei Jahren nur noch weiter angefacht. Die Jihadisten auf dem Sinai sind trotz endloser Erfolgsmeldungen der Militärführung nicht schwächer, sondern militärisch stärker geworden und seit Montag ist klar, das Terror-Problem auf dem Sinai ist nicht mehr isoliert. Die Brennpunkte sind dabei zu verschmelzen.
Die Wurzeln des Sinai-Problems reichen Jahrzehnte zurück und liegen in Unterentwicklung und Vernachlässigung.
Zum ersten Mal wurde ein hochrangiger Vertreter des von der Armee installierten Regimes ermordet. Zum ersten Mal wurde ein Terroranschlag von diesem Ausmass mitten in Kairo und erst noch in unmittelbarer Nähe einer Militäreinrichtung verübt. Das Attentat mit einer gewaltigen, ferngezündeten Autobombe trug die Handschrift von Ansar Beit al-Maqdis, der grössten, am besten bewaffneten Jihadisten-Gruppe, die bisher vor allem auf dem Sinai aktiv war und vor einigen Monaten dem Islamischen Staat ihre Loyalität bezeugt hatte. Nur sie ist in der Lage, eine solche Tat auszuführen.
Dass ein Exponent der Justiz das erste Mordopfer aus der Führungsriege des neuen Regimes ist, erstaunt nicht. In diesem ideologischen Kampf zwischen Militär und Islamisten, allen voran den entmachteten Muslimbrüdern, ist die Rivalität mit der Justiz als Vollstrecker die giftigste. Die Gerichte haben in den letzten Monaten – oft in unfairen Massenprozessen – Hunderte Todesurteile gegen Mitglieder der Muslimbrüder verhängt.
Neues Anti-Terror-Gesetz verabschiedet
Aber die Hände der Justiz seien gefesselt, hatte sich Präsident Abdelfattah al-Sisi bei der Beerdigung von Generalstaatsanwalt Hisham Barakat beklagt und sofortige Abhilfe mit einer Beschleunigung der Gerichtsverfahren versprochen. Im Auge hatte er vor allem die Vollstreckung der bereits verhängten Todesurteile gegen die Muslimbrüder, deren Organisation als Terrororganisation eingestuft worden ist.
Am Mittwochabend ist das Kabinett seinem Befehl gefolgt und hat ein neues Anti-Terror-Gesetz verabschiedet und in der Strafprozessordnung die Möglichkeiten der Revision eingeschränkt. Das Anti-Terror-Gesetz enthält eine ausufernde Definition von Terror. Alles was die öffentliche Ordnung stört oder irgendjemandem schadet ist Terrorismus. Zudem wurden die Strafen für die einzelnen Delikte noch einmal drastisch erhöht.
Das Anti-Terror-Gesetz enthält eine ausufernde Definition von Terror. Alles was die öffentliche Ordnung stört oder irgendjemandem schadet ist Terrorismus.
Die Ermordung des Generalstaatsanwalts und der Tod von vielen Soldaten hat in weiten Kreisen der Bevölkerung Wut und Hass auf die Islamisten neu entfacht; ein Unterschied zwischen Muslimbrüdern und Jihadisten wird von der Regierung und den meisten Medien nicht mehr gemacht. Beide sind pauschal Terroristen. Von Präsident Sisi wird eine dezidierte Antwort erwartet. Die Vollstreckung von Todesurteilen gegen die Führung der entmachteten Muslimbrüder könnte ein Teil dieser Reaktion in dieser aufgeheizten Atmosphäre sein.
Die Militärpolizei musste hart durchgreifen, um den Trauerzug des Offiziers Mohamed Abdel durchzulassen. Der 21-Jährige wurde beim Anschlag auf dem Sinai getötet. (Bild: Reuters/MOHAMED ABD EL GHANY)
Noch vor wenigen Wochen hatte dies Sisi praktisch ausgeschlossen, indem er mit Verweis auf die lange Dauer der Verfahren internationale Kritik an unfairen Prozessen abgeschmettert hatte. Die Muslimbrüder selbst drohten nach den Gesetzes-Verschärfungen mit einer «Revolte» und sprachen von «Staatsterrorismus» nach der Erschiessung von neun ihrer Kader am Mittwoch durch die Polizei. Alle Zeichen stehen auf Eskalation. Die wenigen besonnenen Stimmen, die vor diesem Teufelskreis warnen und eine politische Lösung sowohl für den Sinai als auch den politischen Islam fordern, werden nicht gehört. Ägypten scheint vor einem heissen Sommer zu stehen.