Ein halbes Jahr nach dem Flugzeugabsturz über der Sinai-Halbinsel wartet Ägypten immer noch auf die Rückkehr der wichtigsten Touristengruppen. Einheimische und arabische Gäste schaffen einen kleinen Ausgleich.
Es gibt sie, die Hotels in Ägypten, die in diesen Tagen Gäste abweisen müssen. Zum Beispiel in Alexandria. Die Metropole am Mittelmeer ist eine beliebte Destination bei Ägyptern, die der Hitze in Kairo für ein paar Tage entfliehen wollen. Auch einige Gäste aus arabischen Ländern sitzen am Pool. Das Unterhaltungsprogramm – Bauchtanz oder drehende Derwische – wird in diesem Fünfstern-Haus nur auf Arabisch angekündigt. Hier ist von der Krise im Tourismus kaum etwas zu spüren.
Die Einheimischen waren es auch, die über das orthodoxe Osterfest und das ägyptische Frühlingsfest Sham al-Nesim am ersten Mai-Wochenende die Auslastung in Sharm al-Sheikh von 10 auf 50 Prozent verbesserten. Die Ägypter sind eine wichtige Kundengruppe, um andere Ausfälle nicht nur in Hotels auszugleichen. Im Gegensatz zum Rückgang des internationalen Tourismus erlebt der Markt für Ferienhäuser und Wohnungen einen Boom. Entlang der Nordküste und in Ain Suchna am Roten Meer hat die Investitionstätigkeit der ägyptischen Elite markant angezogen. Wer Geld hat, legt es in Immobilien an, um sich gegen den Wertzerfall des ägyptischen Pfundes zu schützen. Die hohe Nachfrage hat zu einem Anstieg der Verkaufspreise im Jahr 2015 um mehr als 12 Prozent geführt.
Internationaler Tourismus eingebrochen
Im internationalen Tourismus hat das laufende Jahr extrem schlecht begonnen. Nur etwa halb so viele Gäste wie im Vorjahr verbringen ihren Urlaub in der ägyptischen Sonne. Die Einnahmen sind im ersten Quartal 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 66 Prozent von 1,5 Milliarden Dollar auf 500 Millionen eingebrochen. Mit einigem Auf und Ab dauert die Krise seit der Revolution von 2011 und den anschliessenden politischen Unruhen. 2015 kamen noch 9,3 Millionen Gäste nach Ägypten, weit weniger als im Rekordjahr 2010 mit 14,7 Millionen.
Im vergangenen Jahr hatten sich die ersten Erholungstendenzen gezeigt. Dann ereignete sich am 31. Oktober die Katastrophe. Der jüngste und dramatischste Einbruch ist die Folge des Flugzeugabsturzes auf dem Sinai unweit des Badeortes Sharm al-Sheikh. Seither bleiben vor allem die Russen und die Engländer weg und auch die andern Europäer sind extrem zurückhaltend. Die genauen Ursachen der Katastrophe, bei der 224 russische Touristen starben, ist noch ungeklärt. Präsident Abdelfattah al-Sisi hat inzwischen eingestanden, dass es sich um einen kriminellen Akt gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Flughafensicherheit verbessert
Eine britische Firma wurde beauftragt, die Sicherheit auf den wichtigsten Flughäfen des Landes den erforderlichen Standards anzupassen. Experten aus verschiedenen Ländern waren in Ägypten, um sich von den Verbesserungen selbst ein Bild zu machen. Es mangelt aber immer noch an Vertrauen. Sowohl die russischen als auch die englischen Chartergesellschaften haben wegen Bedenken ihrer Regierungen die Flüge bisher noch nicht wieder aufgenommen. Grosse Ferienanbieter aus England wollen frühestens Ende September zurückkommen.
Der Tourismus ist eine Schlüsselbranche für die ägyptische Ökonomie. Die Krise strahlt auf viele Sektoren aus, etwa die Lebensmittelhersteller, die einen Rückgang ihrer Lieferungen an Tourismusunternehmen um 70 Prozent beklagen. Seit dem Rekordjahr 2010 sind etwa 900’000 Arbeitsplätze in der Fremdenverkehrsindustrie verloren gegangen. Der neue Minister Yehia Rashid hat deshalb einen Sechspunkte-Plan aufgestellt, um den Fremdenverkehr anzukurbeln und für die Zukunft fit zu machen. Mit einer besseren Infrastruktur und höheren Standards soll insbesondere die Qualität des Angebotes verbessert werden, denn in der vergangenen Jahren wurde ein Teil der Auslastung mit Preisnachlässen und entsprechenden Qualitätseinbussen erkauft. In Zukunft sollen ferner der «grüne Tourismus» mit nachhaltigen und umweltfreundlichen Unterkünften, Transportmöglichkeiten und Freizeitaktivitäten sowie neue Sparten wie der lukrative Medizin-Tourismus gefördert werden.
Neue Märkte erschliessen
Ein weiteres Schwergewicht liegt auf der Einrichtung von neuen Flugverbindungen. Mit China, Brasilien oder Südafrika sind auch neue Märkte im Visier. Kurzfristig gilt das Hauptaugenmerk aber Aktionen für die arabischen Gäste, die mit 150 Dollar pro Tag auch etwa das Doppelte aller andern Touristen ausgeben. Im vergangenen Jahr ist ihre Zahl bereits um 7 Prozent auf 1,7 Millionen gestiegen, im laufenden Jahr werden 2,5 Millionen angepeilt. Mit neuen Flugverbindungen von Kuwait, Riad und Dubai nach Hurghada hoffen die Tourismusverantwortlichen, dass die arabischen Gäste vermehrt auch Badeferien buchen. Sie ziehen in der Regel die Städte Alexandria und Kairo mit einer grossen Auswahl an Luxushotels und vielen Shoppingmalls vor. In der Hauptstadt hat die gestiegene Auslastung bereits wieder zu höheren Zimmerpreisen geführt.