Am Dienstag und Mittwoch stimmen die Ägypter über eine revidierte Verfassung ab. Das Referendum ist mehr Pflicht als Begeisterung. Ein wuchtiges Ja gilt als sicher. Die Gegner haben einen schweren Stand und können nicht frei für ihre Meinung werben.
«Ein Ja in die Urne und Schluss. Die Ägypter sind müde. Sie wollen nichts als Ruhe und ungestört ihrer täglichen Arbeit nachgehen», sagt Ashraf, ein junger Ingenieur in Kairo, der täglich zwei Schichten arbeitet, um über die Runden zu kommen.
Die 247 Artikel des revidierten Grundgesetzes hat er nicht gelesen. «Viele Gelehrte haben gesagt, die Verfassung sei ganz in Ordnung. Das genügt mir», erklärt er, nicht ohne anzumerken, dass vor der Revolution zu Mubaraks Zeiten vieles besser gewesen sei, zwar habe es weniger Freiheit, dafür mehr Stabilität gegeben.
Ashraf ist keine Ausnahme. Gerade fünf Prozent haben den Text gelesen, 36 Prozent mindestens Auszüge und 59 Prozent gar nicht, wie eine Umfrage des Baseera-Institutes ergeben hat. Das kleine Büchlein wurde zum Beispiel an den Fahrkarten-Schaltern der Kairoer Metro in Tausenden Exemplaren gratis abgegeben.
Nationalistische Töne
In der ganzen Stadt hängen seit Wochen gigantische Plakate mit Ja-Parolen. Die einfache Begründung: Die Ägypter lieben ihr Land. Wer hinter der teuren Kampagne steht, ist nicht ersichtlich. Der Stil erinnert an die offizielle Ja-Propaganda zur Bestätigung Mubaraks in mehreren Referenden während seinen 30 Amtsjahren.
Nationalistische Töne und simple Slogans wie «Ja zur Verfassung – Nein zum Terror» – dominieren, um Inhalte geht es dagegen nicht. Gefragt ist nicht die Meinung der Bürger und Bürgerinnen zu der revidierten Verfassung, Ziel des Referendums ist es, die neuen Machtverhältnisse und den von der Armee nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi und der Entmachtung der Muslimbrüder im Juli verabschiedeten politischen Fahrplan absegnen zu lassen.
Auf vielen Ja-Transparenten prangt auch das Porträt von General Abdelfattah al-Sisi, dem neuen starken Mann Ägyptens. Der Armeechef und Verteidigungsminister hat am Samstag erklärt, er werde als Präsident kandidieren, wenn das Volk das wolle und ihm die Armee ein Mandat gebe. Eine hohe Beteiligung am Referendum sieht er als Aufforderung, sich um das höchste Amt zu bewerben.
Deshalb gilt es zwei magische Zahlen unter allen Umständen zu übertreffen: 33 Prozent und 64 Prozent. So hoch waren die Beteiligung und die Zustimmung bei der Abstimmung im Dezember 2012 über die mehrheitlich von Islamisten ausgearbeitete Verfassung. Zu diesem Zweck hat die Regierung sogar die Stimmabgabe erleichtert und wie Kritiker befürchten, die Gefahr von Fälschungen erhöht, indem sie den Zwang in einem Wahllokal am offiziellen Wohnort abzustimmen, abgeschafft hat.
Verhaftung von Gegnern
Zweifel an einem wuchtigen Ja gibt es nicht. Umfragen gehen von einer Zustimmung von 75 bis 85 Prozent aus. Staatliche und private Medien trommeln die Ja-Parolen. Vereinzelte liberale Politiker sahen ich sogar gezwungen zu erklären, wer ein Nein einlege, sei kein Verräter. Nur eine Handvoll politischer Parteien und Bewegungen lehnt das neue Grundgesetz ab.
Die überwiegende Mehrheit betont die Verbesserungen vor allem im Bereich der Grundrechte und persönlichen Freiheiten und nimmt die negativen Aspekte, etwa die Militärprozesse für Zivilisten, in der gegenwärtigen Situation in Kauf und will mit einem Ja ein Zeichen für Stabilität setzen.
Die grösste Partei, die Nein sagt, ist «Starkes Ägypten» des moderaten Islamisten und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Abdel-Monein Abul Fotouh, die schon die Mursi-Verfassung bekämpft hatte. Mehrere ihrer Mitglieder wurden beim Plakatekleben verhaftet, ihre Kundgebungen mussten abgesagt werden.
Parteiverantwortliche beklagten sich, die Lage sei heute schwieriger als 2012. Damals seien sie als Ungläubige beschimpft worden, jetzt als Verräter. «Starkes Ägypten» überlegt sich deshalb doch noch zu einem Boykott aufzurufen, wie das die Muslimbrüder bereits getan haben.
Massives Sicherheitsaufgebot
Die Sicherheitsbehörden befürchten die Islamisten könnten versuchen, das Referendum nicht nur zu boykottieren, sondern zu stören, Verteidigungsminister al-Sissi hat deshalb 160 000 Soldaten und 130 000 Polizisten aufgeboten.
Die Muslimbrüder organisieren immer noch regelmässig Kundgebungen gegen die «Putschisten» und die «Militärregierung», auch wenn ihre Mobilisierungsfähigkeit in den letzten Monaten stark gesunken ist.
Seit sie als Terror-Organisation eingestuft sind, gilt eine Politik der Null-Toleranz. Die Polizei löste jede Demonstration sofort mit Tränengas auf. Die Reaktionen sind oft gewalttätig. Erst am Freitag kamen bei Protesten wieder vier Menschen ums Leben, 170 wurden verhaftet.