Auch der 90. Geburtstag kann eine Gelegenheit sein, um etwas Neues zu beginnen. Das sagt man sich derzeit bei der 1923 gegründeten Fluggesellschaft Aeroflot. Dort wird im Jubiläumsjahr an Plänen für einen Billigflieger gearbeitet. Jetzt hat auch der Aufsichtsrat offiziell die Starterlaubnis für das Projekt erteilt.
Aeroflot möchte in alte Höhen aufsteigen. Zu Sowjetzeiten war Aeroflot die größte Fluglinie der Welt. In den 1980er Jahren transportierte das Unternehmen mehr als 100 Millionen Passagiere pro Jahr – bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Jetzt will Aeroflot-Chef Witalij Saweljew sein Unternehmen unter die fünf größten Fluggesellschaften Europas führen. Bis zum Jahr 2025 soll das Unternehmen 75 Millionen Passagiere pro Jahr transportieren. 2012 waren es knapp 18 Millionen. In den vergangenen sechs Monaten legte die Zahl der Fluggäste um fast 20 Prozent zu. Und weiteres Potenzial ist vorhanden.
«Der Wohlstand wächst und mit ihm die Mobilität», sagt Konzernlenker Saweljew. Noch sei die Reisefreudigkeit seiner Landsleute jedoch vier Mal geringer als in den USA oder Westeuropa. Vielen Russen ist fliegen noch zu teuer. Das gilt nicht nur auf internationalen Strecken, sondern auch auf Inlandsflügen. Die russische Regierung will mehr Wettbewerb in den überteuerten Markt bringen. Aeroflot will mit dem «Loukoster» ganz vorne mit dabei sein. Die Ticketpreise sollen um 20 bis 40 Prozent sinken, heißt es einer vergangene Woche veröffentlichten Mitteilung des Aufsichtsrates.
Gesetze sollen angepasst werden
Zuvor sind allerdings einige Hürden von der Startbahn zu räumen. Noch behindern verschiedene Vorschriften die Billig-Pläne: So schreibt das Gesetz vor, den Preis nicht genutzter Tickets zu erstatten. Fluggesellschaften müssen Freigepäck und kostenlose Bordverpflegung an Bord garantieren. Außerdem gilt bei russischen Fluglinien ein Arbeitsverbot für ausländische Piloten. Experten beklagen schon länger den herrschenden Personalmangel. Zwei Low-Cost-Versuche gab es vor wenigen Jahren in Russland. Die strengen Regularien trugen dazu bei, dass die Unternehmen am Markt scheiterten.
Ein solches Schicksal soll Aeroflot nicht ereilen, wenn der Konzern den russischen Billigsektor wiederbelebt. «Gesetze müssen angeglichen werden», fordert Saweljew schon lange. Das Transportministerium hat inzwischen Änderungen erarbeitet, über die nun das Parlament entscheiden muss. Sind die Hindernisse aus dem Weg, brauche Aeroflot sechs Monate bis ein Jahr bis zum Start der Tochtergesellschaft, sagt Saweljew. Bereits 2014 könnte es soweit sein.
In einer zweiten Etappe auch ins Ausland
Als erste Destinationen sind die Millionenstädte im europäischen Teil Russlands geplant. Später könnten auch Routen ins Ausland folgen. Als nächstes muss Aeroflot einen genauen Geschäftsplan erarbeiten. Aeroflot-Chef Saweljew will «eine eigene Nische» auf dem russischen Markt finden. Dabei setzt der 59 Jahre alte Topmanager neben Inlandsflügen auf Geschäftsreisende. Urlauber, die es sich leisten können, fliegen ohnehin meist lieber ins Ausland. Das Tochterunternehmen soll den Mutterkonzern nicht kannibalisieren. Experten der Wirtschaftszeitung «RBK Daily» rechnen mit einem Anteil des neuen Billigfliegers von 15 Prozent am gesamten Zivilflugmarkt des Landes.
Mit acht Maschinen vom Typ Airbus-320 oder Boeing-737 will Aeroflot im ersten Jahr starten. Davor steht die Suche nach einem geeigneten Flughafen als Basis des Günstig-Ablegers. Am Aeroflot-Stützpunkt Scheremetjewo gelten die Abfertigungszeiten als zu lange und somit zu teuer für einen Billigflieger. Dennoch zählt der Flughafen im Norden Moskaus zu den Optionen. Wnukowo im Südwesten der Hauptstadt gilt als eine weitere Möglichkeit. «Wir können nicht warten, bis irgendjemand einen Flughafen für uns baut», erklärte Saweljew vor kurzem im russischen Fernsehen.
Weitere Konkurrenz am Horizont
Insgesamt gibt es an russischen Flughäfen Nachholbedarf bei der Infrastruktur, vor allem was die Bedürfnisse potenzieller Billig-Airlines angeht. Das größte Land der Erde zählt 330 größere Flughäfen, deren Modernisierung aber oft nur langsam voranschreitet. Häufig verlangen die Betreiber hohe Gebühren für Abfertigung und Kerosin. Inzwischen hat auch UT Air, Russlands Nummer drei am Himmel, das Low-Cost-Potenzial entdeckt und plant, einen Flugplatz 200 Kilometer südwestlich von Moskau für Billigflieger tauglich zu machen.
Viele russische Passagiere müssen sich derweil erst noch an das neue Geschäftsmodell gewöhnen. Seit einigen Monaten sammelt die britische Fluggesellschaft Easyjet erste Erfahrungen in Russland: Seit März verkehrt der Billigflieger zwischen London und Moskau. Reisende spotteten zu Beginn über die «fliegende Elektritschka»- so heißen die unbequemen Vorortzüge in Russland umgangssprachlich. Bei Aeroflot herrscht dennoch Zuversicht. Konzernchef Saweljew ist überzeugt. «Low-Cost ist die Zukunft.»