Reine «Abzocke» sind Abschnitts-Geschwindigkeitskontrollen für SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner, obwohl der Versuch am Arisdorftunnel das Gegenteil beweist. Lastwagen – wie die von Transportunternehmer Giezendanner – wurden von den bisherigen Anlagen gar nicht erfasst.
Für Last- und Lieferwagen und Fahrzeuge mit Anhänger gilt in der Schweiz auf Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern. Wer etwas schneller fuhr, hatte allerdings bisher (noch) deutlich weniger zu befürchten als Personenwagenlenker. Denn weder die herkömmlichen stationären Radars noch mobile Kontrollen der Polizeien erfassen die Lastwagen systematisch: Gemessen werden typischerweise Geschwindigkeitsübertretungen von Personenwagen – jenseits der 100 km/h-Grenze. Laster, die mit 95 vorbeibrausten, schlüpften durch die Maschen, obwohl sie 15 Stundenkilometer zu schnell waren. Denn die Anlagen mussten auf eine Maximalgeschwindigkeit eingestellt werden.
BfU hofft auf den Ständerat
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU hofft, dass der Ständerat den Entscheid des Nationalrats korrigiert, wonach AGK verboten werden sollen. Die BfU macht in einer Pressemitteilung auf die positiven Erfahrungen mit Abschnittsgeschwindigkeitskontrollen aufmerksam. Diese eliminierten gefährliche Bremsmanöver, wie punktuelle Radarfallen an Autobahnen sie provozierten, und würden von den Automobilisten als fair empfunden. Diskutieren Sie mit in der Tageswoche-Debatte über AGK.
Anders bei den brandneuen Abschnittsgeschwindigkeitskontrollen (AGK) wie der Pilotanlage am Arisdorftunnel. Dieses System kann zwischen PW, Lieferwagen und Anhänger-Fahrzeug unterscheiden und die durchschnittliche Übertretung der individuell für den Fahrzeugtypen geltenden Höchstgeschwindigkeit berechnen.
Nationalrat verbietet AGK
Oder konnte, denn geht es nach dem Willen von SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner und 102 weiteren Mitgliedern des Nationalrats, dann wird dieser Typ von Kontrolle auf den Schweizer Autobahnen verboten. In der Juni-Session brachte Giezendanner eine entsprechende Motion durch und wetterte, die AGK seien nichts als «moderne Abzocke» und hätten «nichts, aber gar nichts mit Verkehrssicherheit» zu tun.
Das Fazit des Testbetriebs der AGK in Arisdorf allerdings zeigt das Gegenteil. In jeder Hinsicht: Der Verkehr floss besser, die Bussgelder spärlicher, und in der Testphase war ein markanter Rückgang der Geschwindigkeitsübertretungen von über 30 Prozent, bei den Schnellfahrern mit mehr als 10 Stundenkilometern zu viel sogar um 55 Prozent zu verzeichnen. Die deutlich sichtbaren Hinweisschilder, die auf die Radarkontrolle aufmerksam machen, zeigen Wirkung.
Entsprechend generierte die AGK auch nicht etwa mehr, sondern weniger Einnahmen. Die Basellandschaftliche Zeitung berichtete denn auch: «Zudem bringe die neue Abschnitts-Geschwindigkeits-Kontrolle (AGK) bei Arisdorf weniger Einnahmen als die alte punktuelle Querschnittsanlage, heisst es in der Staatsrechnung. Dies ist insofern interessant, als 2010 Landrat Patrick Schäfli noch in einer Motion geschrieben hatte, ‚die neuen unnötigen Radarfallen (AGK) (…) dienen lediglich dem Generieren von Busseneinnahmen und dem weiteren Schröpfen der Automobilisten‘.»
Kein Temporückgang bei Lastwagen
Eine Kategorie von Fahrzeugen allerdings schiesst bei der AGK-Teststatistik obenaus. Bei den Lastwagen «liegt der Anteil der Übertretungen im Vorlauf bei 47%, im Bereich des AGK Eintrittportals bei rund 42%. Damit wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit von beinahe jedem zweiten Lastwagen überschritten», heisst es im 146 Seiten starken Bericht des Astra zum Testbetrieb der AGK. Der im Vergleich zu den Personenwagen nur leichte Rückgang der Übertretungen bei den Lastwagen ist laut Astra darauf zurückzuführen, dass nur Temposünder gebüsst wurden, welche die zweite Ordnungsbussenstufe (6 bis 10 km/h über der Limite, plus 5 km/h Abzug) erreichten oder mit 91 und mehr Stundenkilometern unterwegs waren. Entsprechend war der Lerneffekt bei den Last- und Lieferwagenfahrern offenbar geringer.
Hier zeige sich, sagt Astra-Sprecher Thomas Rohrbach, dass die Lastwagenchauffeure durchschnittlich näher an der technischen Tempolimite fahren: Der Tacho im Fahrzeug zeige immer schon eine höhere als die gefahrene Geschwindigkeit; wer also zu dieser Abweichung noch die 5 Stundenkilometer «Toleranz» bei der Kontrollmessung übertreffe, der könne nur schlecht behaupten, kurzzeitig nicht auf den Tacho geguckt zu haben.
Ob das Nationalrat Giezendanner bewusst war, als er sich im Parlament darüber beklagte, er erhalte «eine, zwei, manchmal sogar fünf Bussen aus verschiedenen Kantonen für Lastwagen von uns – sie sind einen Kilometer zu schnell gefahren!». Giezendanner stand für eine Stellungnahme am Dienstag nicht zur Verfügung.