Alles unter Kontrolle – Basel und seine Nischen

Die Stadt hat die Freiraumbewegung an die Peripherie gedrängt und domestiziert. Neue Gruppierungen werden sich dem Druck der Behörden entziehen. Wer den Basler Wagenplatz sucht, hat Mühe, ihn zu finden. Er liegt versteckt, er ist finster, und es riecht so streng nach Abgasen, dass man durch den Mund atmet. Der Basler Wagenplatz ist eine schöne […]

Abgeschoben: Der Wagenplatz an der «Freiburgerstrafe», wie die Betreiber ihren ungeliebten Standort an der Freiburgerstrasse nennen. (Bild: Stefan Bohrer)

Die Stadt hat die Freiraumbewegung an die Peripherie gedrängt und domestiziert. Neue Gruppierungen werden sich dem Druck der Behörden entziehen.

Wer den Basler Wagenplatz sucht, hat Mühe, ihn zu finden. Er liegt versteckt, er ist finster, und es riecht so streng nach Abgasen, dass man durch den Mund atmet. Der Basler Wagenplatz ist eine schöne Idee, und es wurde ihr ziemlich hässlich mitgespielt. Eine Geschichte aus der Basler Freiraumpolitik.

Der Basler Wagenplatz liegt an der Freiburgerstrasse. Die liegt dort, wo sich die Stadt ihrer Pflichten erinnert. Wo die Museums-, die grosse Humanistenstadt sehr rational wird. Wo sie abführt, was abgeführt werden muss. Asylbewerber beispielsweise, die im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut eingesperrt sind, das um die Ecke steht. Oder Grenzgänger, die über die Kreuzung in die Länder verteilt werden, wo sie herkommen und nach geleisteter Arbeit zurückkehren. Nord- und Osttangente kommen bei der Freiburgerstrasse zusammen. Tausende Fahrzeuge beschleunigen hier oder bremsen ab jeden Tag. Je nach Perspektive Lebensadern oder Einläufe einer saturierten Stadt.

Die berüchtigte Villa Rosenau, von der noch die Rede sein wird, steht neben Abfallverbrennung und Schlachthof. Es sind urbane Unorte. Gedeihen grosse Ideen hier leichter?

Charlotte schüttelt den Kopf. Sie hat uns empfangen im Wagenplatz und in einen der vier Bauwagen, ihren Bauwagen, hineingeführt. Sie ist jung, sie lebt hier mit ihrer Tochter, die bei unserem Besuch laut und nervös ist. «Kein Ort für Kinder», sagt sie. «Wenn wir hier bleiben müssen, weiss ich nicht, wie lange das Projekt noch weitergeht.» Charlotte heisst eigentlich anders. Aber es ist die Zeit nach den Ereignissen auf der Voltamatte. Keine Zeit für Linksalternative, den Kopf rauszustrecken.
Die Luft im Innern des Wagens riecht ölig, der Ofen hustet, harziges Holz verbrennt nicht lautlos. Zehn Quadratmeter hat Charlotte hier mit ihrer Tochter zur Verfügung. Sie hat den früheren Bauwagen eben winterfest gemacht. Der Ofen kam rein, und ein Läufer, der die Füsse warm hält. Es wird schnell wohlig. Wenn sie die Türe schliesst, tönt sogar der Verkehr gedämpft und weit weg.

Zwischen Bahn und Strasse

«Wirklich schlimm sind die Güterzüge», sagt Pius, der auch beim Gespräch ist. Vorne die Strasse, hinten der Bahndamm. Zwei wollten sie mindestens sein, auch wenn sie nicht für die Gruppe sprechen können. Das kann niemand, ausser der Gruppe selber. Die Gruppe, das ist die Idee.

«Wir wollten Platz haben, um gemeinsam leben zu können. Wir könnten auch in einer Stadtwohnung leben, aber wo gibt es Wohnungen für zehn Leute, die bezahlbar sind?» – «Hier können wir die Regeln, nach denen wir leben, selbst bestimmen», ergänzt Charlotte. Ein Küchenwagen soll dazu kommen und eine gemeinsame Kasse, irgendwann, «und wenn wir wollen, können wir weiterziehen, einige wollen in die Natur, einige in der Stadt bleiben, das diskutieren wir.»

Weiterziehen, das können die Wagenplatz-Bewohner vorläufig nicht, obwohl sie es gerne täten. Der Platz ist nur eine Notlösung, so hatte ihnen das die Stadt gesagt, als sie ihren ursprünglichen Standort, eine Brache am Basler Hafen, verlassen mussten. Dort hatten sie das Projekt am 27. August gestartet. Ohne das Einverständnis der Hafenverwaltung. Die drohte mit der Polizei. Unterstützer, vom Kollektiv, das die Capribar betreibt, bis zum Soziologen Ueli Mäder, setzten sich für den Platz ein. Der Hafen blieb hart. Also schaltete sich die Politik ein. Guy Morin schickte seine Emissäre. Zuvorderst Berater Markus Ritter, eine prägende Figur der frühen Basler Freiraumbewegung in den 1980er- und 1990er- Jahren, mittlerweile ganz oben in der Verwaltung angekommen.

Ritter lotste die Gruppe vom Hafen weg, auf den «temporären Standplatz» Freiburgerstrasse. Dann habe das Interesse der Stadt nachgelassen, sagt Pius. Die Vorschläge des Wagenplatzes wurden allesamt verworfen. Begründung: keine Zonenkonformität.

Aus Sicht der Stadt aber ist die ganze Sache nach Plan verlaufen. Der Konflikt ist nicht eskaliert, die Szene in einen kontrollierten Zustand der Zwischennutzung überführt. Bei der Villa Rosenau, einem besetzten Haus beim Flughafen draussen, hat die Stadt im Grunde dasselbe erreicht. Ein Gebrauchsleihvertrag regelt die Zusammenarbeit und die Übernahme der Kosten für Strom und Gas. Und jetzt sollen ein paar eingeworfene Scheiben am Voltaplatz die Widerspenstigkeit der Villabewohner bezeugen?

Reibung unerwünscht

Ihre Peripherie, so wild sie einst gewesen sein mag, hat Basel erfolgreich domestiziert. Sämtliche Hausbesetzungen bis auf jene der Rosenau wurden mehr oder minder ruppig beendet. Bei der Besetzung am Steinengraben wurde noch nicht mal verhandelt. Zu nah am Zentrum. Was zu viel Reibung verursacht, wird abgestellt.

Ebenso, was nicht lokalisierbar und unterschriftsberechtigt ist. Als unlängst in der Basler Kanalisation eine Sauvage-Party stattfand, schaute auch bald die Polizei vorbei. Sie spritzte die Leute nicht mehr wie früher durch den Dohlendeckel auf die Strasse. Sie verhandelte, bat darum, doch bitte zu gehen. Erst unbestimmt. Dann dezidiert. Doch erfolgreich am Schluss.

Zwischennutzung heisst das Zauberwort. Projekte wie die Erlenmatt werden ermöglicht und gefördert. Dabei sagt etwa Ronald Wüthrich, Pionier der Freiraumbewegung in Basel, die mit der Besetzung und Umgestaltung der Stadtgärtnerei 1988 ihren Höhepunkt erreichte, über den Erlkönig, Symbol erfolgreicher Zwischennutzung: «Das war reiner Kommerz, ich bin da ein Mal hingegangen und nie wieder.» Als ob Alternativkultur bedeute, Biersorten von Ostschweizer Mikrobrauereien anzubieten (die dann trotzdem 4.50 Franken die Stange kosten). 

Am Hafen, wo der Wagenplatz wegmusste, kommt jetzt eine alternative Buvette hin. Die wiederum konnte sich nicht mit den Wagenplatz-Betreibern auf eine Koexistenz einigen. Zwischennutzung auch das. Bis Basel-Manhattan hochgezogen wird.

Projekte, die deutlich irritierendere Impulse in die Stadt aussenden, werden gestrichen. Über die Wettsteinvilla senkte die stadtnahe Merian-Stiftung den Daumen. Dort liessen sich wunderbare Sommerabende verbringen, es gab brunnengekühltes Bier, Fellini-Filme und einen Gastgeber, der nach dem Film als Frau in Unterwäsche eine Travestie-Show startete, worauf es einem unangenehm wurde und man sich später fragte, wieso man es als unangenehm empfand. Jetzt kommen dort teure Wohnungen rein. 

Wagenplatz-Bewohner Pius erkennt auch in ihrem Projekt eine gesellschaftliche Perspektive, allerdings keine, die sich aufdrängen will: «Wir wollen niemanden überzeugen, aber dass wir anders leben, darin steckt natürlich eine politische Botschaft.» Nur bemerkt die jetzt keiner – eigentlich müsste die Stadt dem Wagenplatz den Münsterplatz zur Verfügung stellen. 

Bewegung im Wandel

Aber womöglich ist der Wagenplatz genauso wie die Villa Rosenau auch bereits ein Stück Geschichte. Ronald Wüthrich glaubt, dass die Freiraumbewegung heute zu segmentiert ist. «Es fällt ihr schwer, Teilinteressen hinter ein grosses Projekt zu stellen. Aber vielleicht braucht sie das auch nicht, vielleicht braucht sie keinen Ort mehr.»

Dieser Wandel wird längst sichtbar. In Basel trafen sich vor einem Monat 200 Jugendliche und zogen die Wettsteinbrücke runter. Sie trugen keine Transparente, sie stellten keine Forderungen. Aber der grundsätzlich verdächtige Marsch mobilisierte viel Polizei. Ein Spiel nach neuen Regeln.

Sprachrohr dieser linksalternativen Gruppierung ist der Blog «D Made im Daig». Ein Interview mit den Leuten hinter dem Blog kommt nicht zustande, weil Fragen nach der Struktur und nach Personen nicht beantwortet werden. Die Gruppe, die Ziele, sie bleiben im Ungefähren. Das ist nicht wie bei den Besetzungen des Markus Ritter, der damals schon bei den Grünen erfolgreich politisierte. Oder bei der Villa Rosenau, stigmatisiert, eingekapselt, von Polizei und Staatsschutz längst bis in alle Ecken ausgespitzelt.

Die neue Bewegung ist schlecht greifbar. «Ein selbstbestimmtes Leben ist ein ewiger Aushandlungsprozess», schreibt ein anonymer Made-Blogger in einem E-Mail. «Die Stadt macht zwei Dinge: Sie verwaltet oder verhindert. In beiden Fällen geht sehr viel Freiheit verloren.» Steckt auch im Konzept der Zwischennutzung der «Verwertungszwang, der auf den Menschen lastet», wie der Blogger konstatiert? Oder ist es eine grosse Geste, ein Ermöglichen einer Idee, die man zwar nicht teilt, aber aus Weltläufigkeit zulässt?

Im Kleinbasel auf Höhe der Bushaltestelle Feldbergstrasse gibt es ein Graffiti. Dort steht: «Alternativkultur, das kontrollierbare Ghetto für potentielle Störfaktoren.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11

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