Anita Fetz will sich ein viertes Mal als Basler Ständerätin wählen lassen. Als «Polit-Dinosaurier» lässt sie sich aber nicht gerne bezeichnen. Und sie glaubt, dass das urbane Basel in der ländlich dominierten kleinen Kammer von ihrer Erfahrung und Hartnäckigkeit profitieren kann.
Wahlkampf sei für sie nie eine Belastung gewesen, sagt die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz (58), die nun eine vierte Amtsperiode im Stöckli anhängen möchte. Mangels einigermassen gewichtiger Gegenkandidaten könnte sie sich im Wahlkampf, der nicht wirklich einer ist, eigentlich zurücklehnen. Doch das scheint dem Naturell der altgedienten Politikerin nicht zu liegen. Sie ist es gewohnt, als Standesvertreterin einer Stadt und damit als Aussenseiterin in dem von ländlichen Kantonen dominierten «Herrenstöckli» besonders viel Hartnäckigkeit an den Tag zu legen. Anfang September hat Anita Fetz sekundiert von einem «unabhängigen Komitee» mit gestandenen Grössen aus der Politik und Basler Gesellschaft ihren Wahlkampf eröffnet.
Frau Fetz, vor 30 Jahren traten Sie als junge Nationalrätin in die Bundespolitik ein, seit zwölf Jahren sitzen Sie im Ständerat. Wie geht es Ihnen als einem der Dinosaurier oder – falls es diese weibliche Form überhaupt gibt – einer Dinosaurierin in der Bundespolitik?
Blendend. Sie haben aber weggelassen, dass es lange Auszeiten gab – es tönt natürlich nach viel mehr, wenn man alles zusammenzieht. Ich bin eine politische Wiedereinsteigerin. Es stimmt, ich sass im zarten Alter von Ende 20 bereits viereinhalb Jahre im Nationalrat. Dann hörte ich auf, weil ich merkte, dass Job und Politik zusammen zu viel sind – ich wollte wieder einmal leben. Zehn Jahre habe ich mich auf meinen Job konzentriert und recht viel gearbeitet in meiner Firma. Damals arbeiteten dort zehn Menschen. Danach bekam ich wieder Lust auf Politik und stieg wieder ein.
Und jetzt stellen Sie sich für eine vierte Legislaturperiode zur Wahl. Ist die Lust zu leben, wie Sie das gesagt haben, nicht wieder zurückgekehrt?
Das Schöne am Älterwerden ist: Man hat mehr Erfahrungen, man kann seine Kräfte fokussierter einsetzen. Heute kann ich dasselbe Pensum in der Hälfte der Zeit bewältigen, weil ich weiss, wie der Karren läuft. Ich weiss, wann ich ein politisches Thema vor den Kulissen angehen muss oder erst dahinter, um das Ganze erst einmal zu ordnen. Es ist ein fulminanter Unterschied zu früher, und ich habe tatsächlich auch noch Zeit fürs Leben.
Als Standesvertreterin einer Stadt haben Sie eine Aussenseiterinnenrolle. Hatten Sie nie das Gefühl, dass Sie nicht mehr gegen die ländliche Mehrheit ankämpfen möchten?
Im Gegenteil. Hier kommt mein Sportler-Ehrgeiz zum Einsatz. Eine Niederlage motiviert mich, es noch einmal zu versuchen. Hier kommt mir auch meine Hartnäckigkeit entgegen. Natürlich sind wir Vertreterinnen der Städte eine strukturelle Minderheit, natürlich ist es ärgerlich, wie sich die Mehrheit der ländlichen Kantone im Umverteilungstopf mit Geldern aus den Städten eindeckt. Aber wenn ich mich über etwas ärgere, gehe ich das an. Und im Unterschied zu früher gehe ich nicht mehr mit Vollgas los, sondern überlege mir meine Schritte im Voraus genauer. Ich weiss, dass es Jahre dauern kann, bis man etwas erreicht. Beispielsweise habe ich schon 2008 per Motion erreicht, dass die Krankenkassen keine Reservegelder mehr über die Kantonsgrenzen verschieben dürfen. Bis zur Umsetzung dauerte es acht Jahre. Oder die Unterstützung für den Hafen: Dafür haben wir zehn Jahre lang gekämpft. Aber es gibt schliesslich auch Themen, bei denen es vorwärtsgeht. Wer hätte gedacht, dass das heilige Bankgeheimnis unter gütiger Mithilfe der UBS innert vier Jahren fällt, nachdem wir es 30 Jahre bekämpft haben.
«Man muss es bei einem Thema, das schwierig zu verstehen ist, oft erst eskalieren lassen, damit es öffentlich wahrgenommen wird.»
Um noch beim angesprochenen Finanzausgleich oder speziell beim Lastenausgleich Stadt–Land zu bleiben. Da müssten Sie ja wohl noch 20 Jahre im Ständerat bleiben, bis Sie die Früchte Ihres Einsatzes ernten beziehungsweise vorweisen könnten.
Das glaube ich nicht. Es dauerte zehn Jahre, bis sich die Nehmerkantone bewegt haben. Die Medienschaffenden interessierten sich bis vor fünf Jahren überhaupt nicht dafür. Man muss es bei einem Thema, das schwierig zu verstehen ist, oft erst eskalieren lassen, damit es öffentlich wahrgenommen wird und sich etwas bewegen kann. So war es auch hier der Fall. Auch Christoph Eymann weiss, dass es lange Zeit dauern kann, bis man ein Loch durch ein Brett gebohrt hat. Er war zehn Jahre lang Nationalrat, jetzt ist er seit 15 Jahren Regierungsrat und will als Regierungsrat wieder in den Nationalrat. Nur fragt ihn niemand danach, warum er als Dinosaurier so lange weitermacht.
Uns geht es jetzt um die Ständeratswahlen.
Aber dennoch scheint es spezieller zu sein, wenn ich mein Mandat weiterführen möchte, als es bei Christoph Eymann der Fall ist.
Gehen wir aber wieder zurück zu Ihnen. Sie wurden ursprünglich als Vertreterin der Progressiven Organisationen Basel in den Nationalrat gewählt, als junge Frau, die eine pointiert linke Politik vertrat. Was ist davon als Ständerätin übriggeblieben?
Die Wertvorstellungen und der politische Kompass sind noch gleich. Gleichzeitig hat sich die Welt verändert. Ich hatte beim Mauerfall gehofft, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen auf der Welt verbessern. Leider traf das Gegenteil ein. Auch ich habe mich verändert. Für mich ist nicht mehr massgebend, wie sehr links man ist und wie sehr man es herauskrakeelt, sondern wie man schrittweise etwas in die richtige Richtung verändern kann. Und hier ist der Ständerat ein sehr gutes Feld, weil wir von der SP eine starke Fraktion bilden – wir sind gleich stark wie der Freisinn und zusammen mit den Grünen gleich stark wie die CVP. Das gab es noch nie zuvor. Und es sind alles Topleute, die in den Kommissionen enorm gute Arbeit leisten – die Weichen werden dort gestellt. So konnten wir einiges erreichen, während im Plenum nach wie vor die Auseinandersetzung stattfindet. Aber wenn Sie meine Kollegen aus konservativen Kantonen fragen würden, dann bekämen Sie zu hören: «Also diese Fetz ist ‹gopffriedli› eine Linke, das gibt es ja gar nicht!» Es ist immer eine Sache des Blickwinkels. Für die bin ich eine Linksaussen-Politikerin.
«Ich sage in Basel oft, dass man hier wenig Ahnung hat, wie der Rest der Schweiz tickt.»
Sie sind Standesvertreterin des rot-grünen Basel. Hier werden Sie wohl weniger als Linksaussen-Politikerin wahrgenommen.
Hier in Basel nicht (lacht). Ich sage in Basel oft, dass man hier wenig Ahnung hat, wie der Rest der Schweiz tickt. Wir sind eine top-fortschrittliche Stadt, wenn man es damit vergleicht, was in der restlichen Schweiz abläuft. Dort treffen wir auf eine konservative Wende: rückwärtsgewandt, auf Abschottung aus, gegen eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft.
Sie sind also noch immer ein bunter Vogel im Stöckli?
Für viele meiner Kolleginnen und Kollegen schon. Ich muss manchmal ein bisschen Drive in das «Herren-Stöckli» bringen.
Wie steht es um die klassischen oder speziellen linken Themen? 1:12-Initiative oder aktuell das Thema Grundeinkommen etwa?
Die 1:12-Initiative, das ist ja kein Geheimnis, habe ich im Ständerat vertreten und meinen bürgerlichen Kollegen zu erklären versucht, dass es eine relativ gescheite Idee ist, wenn man es unideologisch betrachten würde. Mit dem Grundeinkommen habe ich mich noch nicht richtig beschäftigt.
«Von einem «Asylchaos» kann nicht im Geringsten die Rede sein, bei uns ist das Asylwesen gut organisiert und geordnet.»
Kommen wir zur Abschottungsmentalität. Das Asylwesen ist ein grosses Wahlkampfthema, die SVP spricht von einem «Asylchaos» in der Schweiz. Was meinen Sie dazu?
Das ist vollkommen daneben, das ist ödeste Wahlkampfrhetorik auf dem Buckel von Menschen, die verfolgt werden. Von einem «Asylchaos» kann nicht im Geringsten die Rede sein, bei uns ist das Asylwesen gut organisiert und geordnet. Man kann sich allenfalls fragen, ob es nicht allzu bürokratisch abläuft. Ich bin überzeugt, dass die rechten Politiker es jetzt so übertrieben haben, dass die Leute, die sehen, dass Millionen von Menschen, dass Kinder auf der Flucht sind, es nicht mehr hinnehmen, dass diese Leute öffentlich angegriffen werden und für den Wahlkampf herhalten müssen. Ich hoffe es zumindest. Ein anderes Thema ist, dass die Fluchtbewegung nicht aufhören wird. Das verunsichert. Es befinden sich 60 Millionen Menschen auf der Flucht, die wenigsten schaffen es bis nach Europa. Ohne, dass wir geordnete Migrationswege schaffen, lässt sich dieses Problem nicht lösen. Man muss den Menschen sagen: Vergesst nicht, dass wenige zu uns kommen. Dem Hauptharst der Flüchtlinge helfen ja die ärmsten Länder
Das klingt ganz vernünftig. Aber hören Ihnen die Wählerinnen und Wählern zu? Sprechen Sie nicht oft gegen eine Wand?
Natürlich gibt es die wirklich sturen Betonköpfe. Aber das ist die absolute Minderheit, die ich rechts stehenlasse. Ich muss mich nicht mit Menschen unterhalten, die gar nicht zuhören wollen. Aber ich erlebe viele Menschen, die einfach Ängste haben, dass es nie aufhört, denen ich aber auch erklären kann, warum es nichts nützt, wenn wir uns abschotten, dass es nichts nützt, wenn man wie in Ungarn die Grenzen mit Stacheldraht verschliesst – was letztlich nur dazu führt, dass die Schlepperpreise steigen. Deshalb brauchen wir wieder ein Botschaftsasyl, direkt vor Ort. Sicher gibt es die Menschen, die sagen, dass dann immer mehr und noch mehr Migranten kommen werden. Aber das sind die, die sowieso gegen jede Form der Einwanderung sind. Die muss man darauf hinweisen, dass wir eine überalterte Gesellschaft sind und dass wir Menschen brauchen werden, die uns pflegen.
«Überall musste man sparen, aber bei der Landwirtschaft schanzte man sich Millionen zu.»
Auf einem Ihrer Wahlplakate ist der Spruch zu lesen: «Fit für den Hosenlupf mit der Bauernlobby.» Sind die Bauern Ihre Hauptgegner?
Nein, die Funktionäre sind es. Ich will nicht die Direktzahlungen der Bauern angreifen, aber ich muss miterleben, wie unverschämt sich diese Funktionäre aus dem Steuertopf bedienen. Überall musste man sparen, aber bei der Landwirtschaft schanzte man sich Millionen zu. Als Mitglied der Finanzkommission weiss ich auch, was hinter dem Rücken der Öffentlichkeit alles finanziert wird: Sachen, von denen jeder Gewerbler nur träumen kann. Die ganze Werbung zahlen wir mit, wir werden mittragen müssen, dass bei bäuerlichem Land, das in Bauland umgewandelt wird, die Steuern gesenkt werden – nur weil es sich um Bauernland handelt. Das wird uns jährlich 200 Millionen Franken kosten. Die Allianz zwischen Bauernlobby und Nahrungsmittelindustrie führt dazu, dass ein Filz entstanden ist, den die Öffentlichkeit gar nicht wahrnimmt. Die Bergbauern haben meine ganze Sympathie. Aber was hier alles subkutan verschoben wird und nie bei den Bergbauern ankommt, sondern in der Industrie, bei Nestlé, in Branchenstrukturen oder beim Bauernverband, ist noch viel zu wenig bekannt.
«Die regionalen Verbände überschätzen sich und lassen viel heisse Luft raus.»
Der Stadt-Land-Graben ist ein grosses Thema Ihrer Politik. Dafür müsste man eigentlich gar nicht nach Bern reisen, man findet ihn auch zwischen den beiden Basel, am Dorenbach oder auf der Hülftenschanz. Hat die gegenwärtig angeschlagene Beziehung zwischen den beiden Basel etwas Symbolisches für die schweizerische Politlandschaft?
Bedingt, würde ich sagen. Baselland ist nicht ein bäuerlicher Kanton. Aber Claude Janiak und ich wundern uns manchmal, wie heftig die Region mit sich selber beschäftigt ist und nicht realisiert, was in Bundesbern alles behandelt wird, das Auswirkungen auf die Region hat. Mich erstaunt auch, wie lauthals die Gewerbe- und andere Wirtschaftsverbände hier ausrufen, während man sie in Bern gar nicht kennt. Wenn ich den Dialog mit Wirtschaftsverbänden suche, dann spreche mit den Chefs von Economiesuisse oder vom Schweizerischen Gewerbeverband. Die regionalen Verbände überschätzen sich und lassen viel heisse Luft raus. Es wäre besser, wenn sie sich bei ihren Dachverbänden in Bundesbern für die eigenen Interessen einsetzen würden
Sollten Sie und Ihr Kollege Claude Janiak demnach nicht die Wirtschaftsverbände an die Hand nehmen und sie nach Bern führen?
Nein, den Weg müssen die schon selber finden.
Sie sind Bildungspolitikerin, Forschung ist ein wichtiges Thema. Was haben Sie hier erreicht?
Es geht einerseits um Gelder, konkret um die BFI-Botschaft (Anm. d. Red.: Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Innovation). Wir müssen diese Gelder vor den anstehenden grossen Sparrunden schützten. Bildung und Forschung sind finanzpolitisch ungeschützte Bereiche, hier werden wir viel zu kämpfen haben. Mir geht es auch um Inhalte, zum Beispiel um die Frage, wie sich die Universitäten im Zusammenhang mit der Nachwuchsförderung umorganisieren könnten, unter anderem mit mehr Assistenzprofessuren und flacheren Hierarchien. Auf der anderen Seite geht es um Investitionen in die Menschen, die keine Berufsbildung haben. Ich erschrak, als ich erfuhr, wie viele Menschen das in der Schweiz sind: 600’000 Erwachsene zwischen 25 und 54 Jahren haben keine Berufsbildung. Das sind die Arbeitslosen von morgen. Ich habe, übrigens mit Unterstützung von Gewerblern aus der SVP, einen Vorstoss lanciert für mehr Investitionen in die Nachholbildung. Diese Menschen sollen einen Lehrabschluss machen können, damit sie nicht auf der Sozialhilfe landen, wenn sie ihre Jobs verlieren
Der Ständerätin Anita Fetz stehen also noch vier kämpferische Jahre bevor. Jetzt treten Sie aber erst einmal in einen Wahlkampf, der eigentlich gar keiner ist, weil Sie keine ernstzunehmenden Gegner haben. Wäre es nicht besser gewesen, sich ein wenig erholen zu können, bevor es wieder richtig losgeht in Bern?
Für mich war Wahlkampf nie eine Belastung, er bringt mir Energie. Ich tue es für die Menschen, die sich während des Wahlkampfs mehr für Politik interessieren als sonst. Ich werde viel unterwegs sein, viel mit den Menschen sprechen. Das bringt mir viel, besonders wenn ich an Kommissionsitzungen denke, in denen es manchmal doch sehr technisch zu und hergeht. Dann weiss ich, dass ich mich für eben diese Menschen einsetze.