Gut eine Woche vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative der SVP ändert der Ton ihrer Kampagne und zielt direkt auf die Ausländer. Ganz bewusst, wie auch die SVP zugibt.
Äpfelchen, Bäumchen, Strichmännchen: Das erste SVP-Extrablatt zur eigenen Masseneinwanderungsinitiative war an Harmlosigkeit kaum zu überbieten. «Eine massvolle Zuwanderung ausländischer Arbeitnehmer hilft dem ganzen Land: Die Schweiz kann so Personallücken schliessen und Fachleute gewinnen», hiess es auf der ersten Seite der SVP-Zeitung. Im Innern des Blatts beklagte sich Lastwagen-Unternehmer und Nationalrat Ulrich Giezendanner über den Stau in seinem Wohnort Rothrist; Meisterlandwirt und Nationalrat Hansjörg Walter setzte sich in getragenem Ton mit dem Thema des Kulturlandverlustes auseinander und Banker und Nationalrat in spe Thomas Matter meinte auf Seite 4: «Gezielte Zuwanderung stärkt das Land.»
Das war zu Beginn der Kampagne und die SVP schien fest entschlossen, die Auseinandersetzung auf der Ebene des «Dichtestress» zu führen, um möglichst breite Schichten von Wählern anzusprechen.
Gegen Muslime
Vor einer Woche war es vorbei mit dem diskursiv-zurückhaltenden Ton. Das «Egerkinger Komitee» rund um alt Nationalrat Ulrich Schlüer und Nationalrat Walter Wobmann platzierte in einigen Zeitungen (nicht alle druckten es ab) ein grossflächiges Inserat: «Bald 1 Million Muslime?» hiess es da in der gleichen Ästhetik wie damals bei der Minarett-Initiative. Im «Blick» sagte Schlüer: «Die Islamisierung ist im Abstimmungskampf zu wenig thematisiert worden.»
Nicht nur das «Egerkinger Komitee» lenkte die Kampagne in eine andere Richtung – auch die SVP selber hat sich vom Apfelbäumchen verabschiedet. In Inseraten, die diese Woche in beinahe sämtlichen Zeitungen der Schweiz erschienen, zeichnen rote und schwarze Balken die Bevölkerungsentwicklung der Schweiz nach. «Bald mehr Ausländer als Schweizer», heisst es darüber. Nach der Extrapolation der SVP werden im Jahr 2060 in der Schweiz 16,8 Millionen Menschen leben; davon mehr als die Hälfte Ausländer.
Eine Fremdendebatte
«Spätestens seit dem Muslimen-Inserat ist die Debatte eine Fremdendebatte geworden», sagt BDP-Präsident Martin Landolt, der im Co-Präsidium des Gegenkomitees sitzt. Er sieht – auch nach den Umfragewerten vom Mittwoch – das Momentum gegen sich. «Wir müssen mit rationalen Argumenten gegen Emotionen antreten und das ist immer schwierig.» Landolt fürchtet sich vor diesen Emotionen, fürchtet sich vor dem «Minarett-Effekt». Diese Abstimmung sei zu wichtig, um als Ventil für irgendwelche Ängste zu dienen.
Auch Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen, spürt eine gewisse Spannung. «Es wird sehr knapp.» Sie hat das erste Extrablatt der SVP aufbewahrt und wird bei Gelegenheit darauf zurückkommen. «Raumplanung, Schutz von Kulturland: Das war der Versuch, die umweltsensiblen Leute für die Initiative zu gewinnen.» Die eigenen Leute habe die SVP damit offenbar nicht abgeholt, mutmasst Rytz. Nur so kann sie sich die neue Sprache erklären, mit der die SVP kurz vor der Abstimmung wirbt. «Mit dieser neuen Sprache wird deutlich, was wir immer gesagt haben: Es ist eine fremdenfeindliche Initiative.» Das deckt sich mit der Analyse von CVP-Nationalrätin Kathy Riklin: «Sie kamen zuerst sanft daher. Das hat nicht funktioniert und darum spielen sie jetzt auf der klassischen Violine der Fremdenfeindlichkeit.»
Die Schlacht
Das deckt sich auch mit der Analyse auf der anderen Seite. Walter Wobmann vom Egerkinger Komitee redet von einer «Schlacht», bei der man nicht schon zu Beginn alles Pulver verschiessen dürfe. «Man muss auch am Schluss noch Munition haben!» Das Kanonenfutter der SVP: die Ausländer. «Das ist das dominante Argument in dieser Debatte», sagt Wobmann.
Und wenn nicht das dominante, so zumindestens jenes, auf das es sich zum Schluss zu konzentriere lohnt, wie SVP-Kampagnenleiterin Silvia Bär sagt. Es sei schon immer klar gewesen, dass man die Kampagne breit starte und zum Schluss fokussiere: «Wir haben nur eine Chance zu gewinnen, wenn es uns gelingt auch jene Wähler zu mobilisieren, die aus Frust oft nicht mehr zur Urne gehen. Jene, die beispielsweise für die Verwahrungs- oder die Ausschaffungsinitiative gestimmt haben, sich nicht ernst genommen fühlen und die Faust im Sack machen.» Um diese Leute zur Urne zu bringen, brauche es eine «gewisse Emotionalisierung».
Quellen
Auch «Religionschweiz» hat sich mit dem veränderten Ton der Kampagne beschäftigt