In Bürglen ist die Kirche wieder im Dorf – zumindest vordergründig. Die Einigung zwischen Bischof Huonder und Pfarrer Wendelin Bucheli zeigt vor allem eines: Die Strukturen einer Kirche, die sich von Volkes Meinung unbeeindruckt zeigt.
«Wendelin Bucheli darf bleiben!» – die Meldung war am Dienstag eine der nationalen Top-Meldungen. Das Bistum Chur und der Bürgler Pfarrer hätten sich geeinigt, hiess es in einer gemeinsamen Medienmitteilung.
Wendelin Bucheli war mit dem Bistum in Konflikt geraten, weil er im Oktober 2014 einem lesbischen Paar den Segen erteilt und damit gegen Kirchenrecht verstossen hatte. Das Bistum Chur forderte Bucheli auf, als Pfarrer von Bürglen zurückzutreten. Der Widerstand aus Bürglen und später aus der ganzen Schweiz wuchs sofort.
Der Bischof von Chur, Vitus Huonder, beauftragte daraufhin Generalvikar Martin Grichting, Gespräche mit Bucheli und den beteiligten Gremien zu führen. Um eine Lösung zu suchen, «die in Einklang mit der Lehre der Kirche steht, der Einheit der Kirche dient sowie dem Wohl der Pfarrei Bürglen und von Pfarrer Bucheli», wie es in der Mitteilung heisst. Diese Lösung wurde nun gefunden.
Nicht die Kirche, sondern der Pfarrer soll im Dorf bleiben: In Bürglen machen Katholiken gegen den Bischof mobil. (Bild: Keystone)
Damit muss Bürglen nicht länger um den Pfarrer bangen, der als Hirte so beliebt geworden war und selbst die Jungen für die Kirche begeistern konnte. Für Peter Vorwerk vom Kirchenrat ein Erfolg: Man habe sich in der Pfarrei dafür starkgemacht, dass Bucheli bleiben darf. «Das Ziel wurde erreicht – zum Glück für uns Bürgler.»
Insofern bringe die gefundene Lösung «nur Gewinner» hervor, sagt Vorwerk. «Hätte sich der Konflikt anders entwickelt, hätte es im Nachhinein nur Verlierer gegeben.» Stattdessen habe man nun ein Problem aus der Welt geschafft, ohne für Bucheli oder die Pfarrei eine Hypothek zu hinterlassen.
Die Kirche verhandelt nicht mit Mehrheiten
Nur Gewinner? Das mag für die Bürgler zwar stimmen. Aber wurden ihre Stimmen in Chur auch tatsächlich ernstgenommen? Die persönlichen Briefe an Vitus Huonder, die zahlreichen Leserbriefe in der Presse, die Unmutsbekundungen im Gebetsbuch in der Pfarrkirche, die Stellungnahmen aus Politik und Verbänden – hatten sie Einfluss auf den Entscheid des Bischofs, dass Bucheli bleiben darf?
Die Antwort von Giuseppe Gracia fällt ernüchternd aus: «Die öffentliche Meinung spielte hier keine Rolle», hält der Mediensprecher des Bistums Chur auf Anfrage fest. Ein Bischof richte seine Entscheidungen nicht nach «öffentlichen Druckversuchen» oder der «Meinung wechselnder Mehrheiten», sondern nach der Lehre der Kirche. «Ein Bischof», hält Gracia weiter fest, «ist kein Politiker, die Kirche keine Partei, die ihr Programm nach Mehrheitsstimmungen ausrichtet.»
«Das Bischöfliche Ordinariat beantwortet keine öffentlichen Briefe», antwortete die Sekretärin.
Auch dass der Widerstand längst nicht nur mehr aus Bürglen kam, scheint das Bistum Chur wenig zu kümmern. Über 44’000 Personen aus der ganzen Schweiz hatten sich in einer Onlinepetition für den Verbleib von Bucheli in Bürglen ausgesprochen. Diese Unterschriften wollte der Initiant der Petition dem Bistum Chur persönlich überreichen, wie das bei einer Petition üblich ist.
Auf die schriftliche Frage vom 17. Februar nach einem geeigneten Termin für die Übergabe kam jedoch eine prompte Absage. «Das Bischöfliche Ordinariat beantwortet keine öffentlichen Briefe», antwortete die Sekretärin. Und: «Da Sie die Öffentlichkeit gewählt haben, ist von Ihrer Aktion bereits Notiz genommen worden.»
«Ein Bischof ist kein Politiker, die Kirche keine Partei, die ihr Programm nach Mehrheitsstimmungen ausrichtet.»
Gracia bestreitet zunächst, je eine Anfrage für die Übergabe der Petition erhalten zu haben, um dann nach internen Abklärungen festzuhalten, es habe sich wohl um ein Missverständnis gehandelt. Die Sekretärin sei von einem offenen Brief ausgegangen, nicht von der Einreichung einer Petition.
Dieses Missverständnis hatte der Initiant der Petition in einem zweiten Brief ans Bistum Chur jedoch längst aufgelöst. Da steht: «Eine Petition ist kein öffentlicher Brief, sondern eine Bittschrift, unterzeichnet von Personen, die einem Anliegen gemeinsam Ausdruck verleihen wollen.»
Weiter hält er im Brief ausdrücklich fest, dass es dem Bistum Chur frei stehe, zur Petition Stellung zu nehmen. «Dass Sie aber die Petition noch nicht einmal persönlich bei einer Übergabe entgegennehmen wollen, kann ich nur schwer nachvollziehen.» Die erneute Bitte um einen Termin für die Einreichung der Petition blieb bis heute unbeantwortet.
Volkswille für das Handeln der Kirche unwesentlich
Auf erneute Anfrage hin erklärt Gracia, dass das Bistum grundsätzlich nicht auf Petitionen eingehe. Diese gehören in die Sphäre der Politik als Teil einer basisdemokratischen Kultur, in der alle Macht vom Volk ausgehe. «Die Kirche ist aber keine Demokratie», sagt Gracia. In der Kirche gehe alles von Christus aus, deswegen sei sie hierarchisch.
Die zahlreichen Äusserungen von Katholiken für den Verbleib von Bucheli in Bürglen spielte für das Bistum Chur demnach keine Rolle. Entscheidend sei das Versprechen von Pfarrer Bucheli gewesen, sich künftig an die Lehre der Kirche zu halten. «Wenn jemand seinen Fehler einsieht und Besserung verspricht, dann sollte jeder Bischof Nachsicht üben.»
«Wenn jemand seinen Fehler einsieht und Besserung verspricht, dann sollte jeder Bischof Nachsicht üben.»
Die Gnade aus Chur war nämlich nicht rein christlicher Natur – sie hat ihren Preis: Bucheli verspricht, dass er zukünftig keine Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare mehr durchführen werde, und zwar «weder öffentlich noch heimlich», wie in der Mitteilung von ihm und dem Bistum Chur betont wird.
Ein Kniefall des Pfarrers, damit die Kirche im Dorf bleibt? «Keinesfalls», sagt Peter Vorwerk vom Kirchenrat Bürglen. Er verweist auf die Aussagen von Bucheli bei dessen Stellungnahme vom 15. Februar im Anschluss an die Messe in der Pfarrkirche Bürglen. Dort hatte er betont, dass es ihm Leid tue, falls er mit seinem Tun jemandes Gefühle verletzt haben sollte.
Gleichzeitig hielt Bucheli damals auch fest, dass er überzeugt sei, mit der Segnung des lesbischen Paares «das Richtige» getan zu haben – eine Aussage, die für Standing-Ovations und langanhaltenden Applaus aus den voll besetzten Kirchenbänken sorgte.
Erklärung vermag nicht zu überzeugen
War Bucheli Mitte Februar also noch überzeugt, richtig gehandelt zu haben, verspricht er heute, selbiges nie mehr zu tun. Wie geht das auf? «Bucheli hat dem Bischof in einem Gespräch erläutert, wieso er im Oktober 2014 das lesbische Paar gesegnet hat», erklärt Vorwerk. Daraufhin habe ihm der Bischof erklärt, wieso dieses Tun falsch war – unter Verweis auf die Erklärung der Schweizerischen Bischofskonferenz vom Oktober 2002 betreffend der Haltung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.
Eine Erklärung, die nicht so recht zu überzeugen vermag.
Diese Weisung, so Vorwerk, sei Bucheli zum damaligen Zeitpunkt «noch nicht so bekannt» gewesen. Nun, da Bucheli wisse, wie das Bistum Chur diese Erklärung deutet, sei es «folgerichtig», dass er sie befolge, so Vorwerk. Hat Bucheli das lesbische Paar gesegnet, weil er es zu diesem Zeitpunkt schlichtweg «nicht besser wusste»?
Eine Erklärung, die nicht so recht zu überzeugen vermag. Auch das in der Mitteilung ausdrücklich erwähnte Bedauern Buchelis, dass er dem Bischof von Chur «Unannehmlichkeiten» bereitet und durch sein Tun «viele Menschen verletzt» habe, irritiert. Was ist mit den Gläubigen, die sich eine Öffnung der Kirche gegenüber Homosexuellen wünschen – sind deren Verletzungen weniger bedauernswert?
«Ein Pfarrer, der die Menschen nimmt, wie sie sind.» Gebetsbuch zur Unterstützung von Wendelin Bucheli in der Bürgler Kirche. (Bild: Carmen Epp)
Die Desavouierung des Zeitgeistes
Eine Frage, die auch am Stammtisch im Restaurant Tell in Bürglen beschäftigt. Eine Handvoll Bürgler sitzen am runden Tisch, trinken Rotwein, Bier, einen Kaffee Träsch oder eine Cola und diskutieren über die Nachricht aus Chur. Natürlich sei man froh, dass Bucheli bleiben darf. «So einen guten Pfarrer gibts nicht zweimal», hält einer fest. Dass er sich für die Segnung des lesbischen Paares gewissermassen entschuldigen muss, verstehen die Stammgäste nicht. Die Kirche müsse sich der Neuzeit anpassen, mit der Zeit gehen. «Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter!», heisst es etwa.
Gott, so die Überzeugung eines anderen, gebe jedem Menschen den Segen – «egal, ob das nun Lesben, Schwule oder was weiss ich was sind». «Mit dem Herrgott haben die wenigsten ein Problem», pflichtet ihm Alois Planzer bei. Der ehemalige Weibel des Kantons Uri sieht den Hund beim «Bodenpersonal» wie jenem im Bistum Chur begraben, wie er sagt. «Die sorgen je länger desto mehr dafür, dass sich viele Leute von der Kirche abwenden.»
«Mit dem Herrgott haben die wenigsten ein Problem» – mit dem «Bodenpersonal» schon.
Noch deutlichere Worte findet Markus Heil von der Pfarrei-Initiative. In einer Mitteilung bezeichnet er die Nachricht der Einigung zwischen Bucheli und dem Bistum Chur als eine Katastrophe: für alle, die gleichgeschlechtlich lieben, für das betroffene Paar, für Seelsorger, die mit gleichgeschlechtlich Liebenden unterwegs sind, und für die Kirche als Ganzes. «Wieder einmal» werde deutlich, dass das Bistum Chur die Zeichen der Zeit nicht deute, «sondern mit allen Mitteln versucht, sie als Zeitgeist zu desavouieren.»
Die katholische Kirche hält am Bewährten fest
Vorwerk hat Verständnis dafür, dass nicht alle mit der gefundenen Lösung zufrieden sind. Die Grundsatzfrage bezüglich Homosexualität in der Kirche sei mit der Einigung zwischen Bürglen und dem Bistum Chur nicht vom Tisch. «Die muss aber unabhängig von der Situation in Bürglen behandelt werden», sagt Vorwerk.
Und so lässt die Episode rund um Pfarrer Bucheli gemischte Gefühle zurück: zum Einen die Freude darüber, dass er in Bürglen bleiben darf, zum Anderen die Verbitterung ob des Preises, den er dafür zahlen muss. «Der Klügere gibt nach», heisst es am Stammtisch im Restaurant Tell – «die Esel da oben in Chur bleiben stehen». Dagegen sind selbst die Tellensöhne machtlos.
Bischöfe: «Hirten, keine Politiker»
Wie Giuseppe Gracia, der Sprecher des Bistums Chur, ausführt, würden Bischöfe die Orientierung bei ihrem Handeln nicht vom Volk empfangen. Sie seien Hirten, die sich zum Heil der Seelen an der Lehre der Kirche orientieren. «Wer Petitionen entgegennimmt, signalisiert jedoch, dass für sein Handeln der Volkswille wesentlich ist», sagt der Sprecher des Bistums Chur.
Hört denn die Kirche grundsätzlich nicht auf die Gläubigen? «Doch», sagt Gracia. Dieses Hören orientiere sich aber nicht an Mehrheiten, sondern am sogenannten «Sensus fidei». Gracia verweist auf ein Dokument der Glaubenskongregation, in dem die Kriterien genannt werden, die Gläubige mitbringen müssen für eine «authentische Teilhabe am Sensus fidei».
Das ist die Teilnahme am kirchlichen Leben, das Hören auf das Wort Gottes, «wie es die Kirche lehrt» und damit verbunden das Festhalten am Lehramt. «Es sind also qualitative Kriterien, nach denen die Hirten sich beim Hören auf die Gläubigen richten sollen, und nicht quantitative wie bei Petitionen oder ähnlichen Formen der politischen Willensäusserung», sagt Gracia.