«American Sniper»: Die Oscars im Visier der Politik

«American Sniper» spaltet die USA: Im oscarnominierten Biopic von Clint Eastwood drückt ein Scharfschütze ab und liefert das zerrissene Selbstbild einer Kriegsnation.

Am Drücker: Bradley Cooper in «American Sniper».

Unter uns: Wissen Sie noch, wie der Gewinnerfilm der letztjährigen Oscar-Verleihungen hiess? Nein? Geht mir gleich, ich musste erst nachschauen, bevor es mir wieder einfiel. Dafür erinnern Sie sich bestimmt an dieses Foto:

Es ist das Rekord-Selfie, das Oscar-Moderatorin Ellen DeGeneres (in Weiss) 2014 von sich und einer Gruppe gutgelaunter Hollywoodstars knipsen liess, worauf das schummerige Bildchen durch Millionen von Retweets weltweit Verbreitung fand.

Dass der Schnappschuss nicht ganz so spontan, sondern von einem Smartphone-Hersteller werbewirksam inszeniert worden war, ist nicht der Punkt; ausser dass der Oscar-Grossanlass die neuen medialen Vertriebskanäle bedient, die aus grossem Kino handlichen Content machen.

Oscar-Nominationen in der Kategorie bester Spielfilm

– «American Sniper»
«Birdman»
– «Boyhood»
«The Grand Budapest Hotel»
– «The Imitation Game»
– «Selma»
«The Theory of Everything»
– «Whiplash»

Unheimlicher Favorit

Relevanz – das ist die Frage, die der Filmpreis jedes Jahr von neuem aufwirft. Doch geht es diesmal nicht um den vermeintlichen Gegensatz von Kunst und Kommerz, sondern um die Frage, wie politisch ein Film für das liberal gesinnte Hollywood sein darf. Oder besser: wie konservativ.

Auslöser für die in den USA kontrovers geführte Debatte ist «American Sniper» mit Bradley Cooper als Scharfschütze – derselbe Schauspieler, der auch im obigen Selfie am Drücker war. Der Kriegsfilm von Regisseur Clint Eastwood ist als Aussenseiter in das Oscar-Rennen gestartet und hat sich mit sechs Nominationen neben Richard Linklaters «Boyhood» und Alejandro Gonzalez Iñarritus «Birdman» zum (un)heimlichen Favoriten gemausert: Die First Lady persönlich hat «American Sniper»ihren Segen gegeben, weil er das Trauma von Kriegsveteranen schildere. 

Auge um Auge

«American Sniper» erzählt die «wahre» Lebensgeschichte von Chris Kyle, der im Irakkrieg dank seiner Zielsicherheit den Status einer Legende erlangte und bei seiner Rückkehr von einem anderen Veteranen erschossen wurde – eine tragische Ironie, die der Verfilmung komplett abgeht. Auch der Grund für den Kriegseintritt der USA (Massenvernichtungswaffen?) interessiert Eastwood nicht, Held bleibt Held

Der Cowboy aus Texas will nur seine Kumpels beschützen, daran kann nichts verkehrt sein. Und der unübersichtliche – und monotone – Häuserkampf lässt sich leicht herunterbrechen: Auge um Auge, Gut gegen Böse. Es ist ein Western im Morgenland, den Eastwood inszeniert, das Kriegstrauma nur ein unerwünschter, aber behandelbarer Nebeneffekt.

Natürlich betonen Regisseur und Hauptdarsteller, dass das alles nicht politisch sei. Die Preisvergabe wird es trotzdem werden, zumal schon die Zusammensetzung der Jury ein Politikum für sich ist: Von den 6000 Stimmberechtigten sind über 90% weiss, über 70% männlich und über 80% älter als fünfzig (die genauen Zahlen sind noch verblüffender).

Balsam für die Heimatfront

«American Sniper» funktioniert wie ein Lackmustest, an ihm scheiden sich die Geister. Der Film ist Balsam für die patriotische Heimatfront einer Nation, die noch immer einen «War on Terror» führt. Für Liberale ist er dagegen die Verherrlichung einer völkerrechtswidrigen Invasion, die zuhause laufend Opfer fordert: Im Schnitt begehen 22 Kriegsveteranen pro Tag Selbstmord.

Der Film hat mehr Geld eingespielt als alle anderen Anwärter auf den Oscar als bester Film zusammen. Dass «American Sniper» namhafte Kritiker wie Befürworter mobilisiert, verdeutlicht die Nähe von Promotion und Politik. Und zeigt, wie stark das US-amerikanische Selbstverständnis von Hollywoods (Selbst-)Bildern abhängt.

Deswegen werden eingefleischte Fasnächtler in der Morgestraich-Nacht nicht auf ihren Yankee Doodle verzichten, aber eines steht fest: Das Oscar-Orakel ist dieses Jahr interessanter als auch schon.

PS: Als bester Film 2014 ausgezeichnet worden war Steve McQueens historisches Filmdrama «12 Years a Slave». Ein halbes Jahr vor den Massenprotesten gegen Rassismus in Ferguson.

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