Mit dem Film «Projekt A» begeben sich Moritz Springer und Marcel Seehuber auf eine Reise durch halb Europa. Dabei zeichnen sie ein vielschichtes Bild von Menschen, die ihre eigene Vorstellung von Anarchismus leben.
Kuhglockengeläut von allen Seiten. Alte Bauernhäuser, eingebettet in die jurassische Hügellandschaft, verschwinden hinter satten Baumkronen. Und vor dem ehemaligen Hotel de la Maison de Ville wartet eine Gruppe junger Leute. Der Postkartenidylle wegen sind sie nicht nach Saint-Imier gekommen. Sie nehmen an einem internationalen anarchistischen Treffen teil.
Hier im Berner Jura gründete Michail Bakunin 1872 zusammen mit anderen Anarchisten die antiautoritäre Internationale. Seither finden in Saint-Imier regelmässig anarchistisch geprägte Anlässe statt. Das mit 3000 Teilnehmern bisher grösste Treffen aus dem Jahr 2012 ist nun einer der Schauplätze im Dokumentarfilm «Projekt A».
Darin besuchen Moritz Springer und Marcel Seehuber verschiedene Aktivisten und Projekte in Europa. Insgesamt vier Jahre, von 2011 bis 2014, waren die beiden Filmemacher unterwegs. Bilderreich verweben sie in ihrem Film geschichtliche Ereignisse mit aktuellen Projekten. Gängige Klischees über den Anarchismus und seine Anhänger versucht «Projekt A» aufzulockern. Der Vorstellung vom Steine werfenden Chaoten werden Menschen gegenübergestellt, die sich gegen Machtgefüge engagieren und hierarchiefreie Strukturen aufbauen.
Lebendige Utopie in Barcelona
Von Saint-Imier führt die Reise von «Projekt A» nach Barcelona. Dahin also, wo 1936 anarchistische Ideen im Zuge der spanischen Revolution schon einmal in der Praxis ausprobiert wurden. Übrig geblieben aus dieser Zeit ist die Confederación General del Trabajo (CGT), die weltweit grösste anarchosyndikalistische Gewerkschaft mit heute rund 70’000 Mitgliedern.
Die Reise zum Anarchismus führte die beiden Filmemacher Moritz Springer und Marcel Seehuber vom Jura aus durch halb Europa.
Die Realität einer libertär organisierten Gesellschaft wurde damals zwar blutig niedergeschlagen, dennoch scheint der anarchistische Gedanke in Barcelona allgegenwärtig. «Es scheint wie eine Utopie, doch hier war sie schon mal Wirklichkeit», fasst Mariano, ein Mitglied der CGT, die Stimmung zusammen.
Neben der Gewerkschaft porträtiert der Film hier auch den Aktivisten Enric Duran: Dieser hat sich von 39 Banken insgesamt fast eine halbe Million Euro geliehen. Anstatt das Geld zurückzuzahlen, steckte er es in den Aufbau von alternativen Netzwerken. 2008 machte er seine Aktion öffentlich – und wurde daraufhin von verschiedenen Banken verklagt. Seither lebt er im Untergrund.
Was heisst hier anarchistisch?
Nach weiteren Stationen im Parko Navarinou in Griechenland, der Cooperativa Integral in Spanien und bei AKW-Gegnern in Deutschland macht «Projekt A» zuletzt halt beim «Kartoffelkombinat» in München, einer Produktionsgemeinschaft, die 2012 gegründet wurde. Mit den Erzeugnissen der Gärtnerei können zum Ende der Drehperiode 450 Haushalte versorgt werden.
Das «Kartoffelkombinat» versteht sich selbst eigentlich nicht als anarchistisches Projekt. «Für mich ist es das grundanarchistische Prinzip der Abwesenheit von Hierarchien, worauf jedes der dargestellten Projekte basiert», sagt aber Moritz Springer.
Anarchisten? Daniel Überall und Simon Scholl vom «Kartoffelkombinat» sehen sich selbst eigentlich nicht so. (Bild: Florian Generotzky)
Konkret mit Anarchismus beschäftigt sich der 36-Jährige seit einer Begegnung mit Horst Stowasser, dem bekanntesten deutschen Anarchisten. Aus jenem Treffen entwickelte sich eine Freundschaft. Ursprünglich war Stowasser, der jedoch 2009 verstarb, auch als Protagonist eingeplant gewesen. Nun haben ihm die Macher den Film gewidmet.
«Ich denke, dass ein Grossteil der Bevölkerung total unzufrieden ist mit unserem politischen System», sagt Moritz Springer. Trotzdem stosse die parlamentarische Politik auf eine breite Akzeptanz. Sie werde halt oft als das einzig Funktionierende wahrgenommen. Dabei sei eben genau dies das Spannende am Anarchismus: «Er zeigt auf, dass es eine Alternative gibt.»
«Wir sind Graswurzelaktivisten»
Heute stünden anarchistische Ideen allerdings vor ganz anderen Herausforderungen als in den Zeiten seiner Entstehung, sagt Moritz Springer. Schien ein plötzlicher Systemumsturz 1872 noch möglich, sei er heute doch unrealistisch. Darum findet Moritz Springer Projekte wie das «Kartoffelkombinat» so spannend, weil sie eine Veränderung von unten beabsichtigen: «Das ist zwar nicht der grosse gesellschaftliche Umbruch, doch vielleicht befinden wir uns jetzt in einer Zeit, in der man aus dem Kleinen die Veränderungen im Grossen herbeiführen kann.»
Einer der Organisatoren des Treffens in Saint-Imier bringt das Gleiche so auf den Punkt: «Wir sind keine Giganten wie unsere Vorläufer à la Bakunin. Wir sind Graswurzelaktivisten.»
_
«Projekt A» wurde am Filmfest München 2015 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Den Film sehen können Sie am 19. und 20. März jeweils um 20.30 Uhr im Kino B-Movie, an der Grellingerstrasse 41, Basel.