Anhaltende Wut gegen Putin

Gleich in mehreren russischen Städten wurde heute gegen Putin und für ein freies Russland demonstriert. Erwartungsgemäss gingen am meisten Menschen in Moskau auf die Strasse.

Die Demonstration in Moskau wurde von einem grossen Polizeiaufgebot begleiten. Offiziellen Angaben zufolge sollen es 7'000 Polizisten sein. (Bild: Luzia Tschirky)

Gleich in mehreren russischen Städten wurde heute gegen Putin und für ein freies Russland demonstriert. Während die Angaben über die Teilnehmerzahlen weit auseinander gehen, so kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die russische Opposition noch immer Tausende mobilisieren kann. Erwartungsgemäss gingen am meisten Menschen in Moskau auf die Strasse.

Aus dem Metroausgang im Zentrum von Moskau kommen immer mehr Leute, anders als bei früheren Demonstrationen ist der Andrang jedoch spürbar kleiner. Um mich herum machen sich die ersten Demonstranten bereits Sorgen, dass es nicht ganz so viele werden würden. «Ich getraue mich einfach nicht mehr an die Demonstrationen zu gehen», erzählt mir am Vorabend eine junge Russin. Seit ihre Freundin im Mai von der Polizei unter Hausarrest gestellt wurde, meidet sie die Demonstrationen. Soweit scheint die Einschüchterung der Regierung funktioniert zu haben.

Spontan und unorganisiert

Während Putin zuerst die Opposition lange nicht ernstnahm, wurde im Frühsommer gleich eine ganze Palette an neuen Gesetzen verabschiedet, um Demonstrationen zu erschweren. Das Vorgehen schien aber ein weiteres Mal eher spontan und planlos zu verlaufen, was der Regierung Putins einen grossen Teil ihrer Schlagkraft nimmt. Allerdings fehlt es nicht nur der Regierung an Organisation, sondern auch den Oppositionsbewegungen. So gibt es für den sogenannten «Marsch der Millionen» keinen Startschuss und die Leute bewegen sich in kleinen Gruppen Richtung Sacharow Prospekt. Die fünfspurige Strasse ist für die Demonstration freigegeben worden und die Polizei riegelt die Kolonnen auf beiden Seiten ab.

Zieht man die Planlosigkeit der Opposition in Betracht, ist es erstaunlich wie viele Menschen dennoch am Marsch der Millionen teilnehmen. Laut den Organisatoren waren es alleine in Moskau 150’000 Menschen, die Behörden sprechen derweil von 14’000 Menschen. Eine Zahl in der Mitte dürfte der Realität am nächsten kommen.

Zersplittert

Kommunisten demonstrieren neben Nationalisten und Anhängern der demokratischen Bewegung Solidarnost. Die roten Fahnen der Kommunisten prägen jedoch das Bild und es fällt auf, wie viele ältere Leute an der Demonstration teilnehmen. Unter ihnen ist auch die 75-jährige Pensionärin Tatjana Glinka. Sie fürchtet sich nicht vor der Polizei. «Das Einzige wovor ich Angst habe, ist das sich in diesem Land nichts verändert.» Ihre Kinder sind nach Deutschland ausgewandert, während sie in Russland geblieben ist und seit Beginn der Demonstrationen im letzten Dezember an jeder teilgenommen hat. «Putin erinnert mich immer mehr an Stalin mit der Verhaftung von Leuten, die eine andere politische Meinung haben», sagt Tatjana Glinka. Diesem Vergleich stimmen nicht alle Demonstrierenden zu, allerdings sind sie sich einig, dass sie Putin loswerden wollen.

Auf weitere gemeinsame Punkte konnte sich die zersplitterte Opposition bis heute nicht einigen, was zu viel Frustration auf Seiten der Demonstranten führt. «Wieso sollte ich überhaupt noch am Marsch teilnehmen, wenn nichts Konkretes daraus entsteht?», fragt mich eine Russin, die ich am Morgen zuvor auf den Protest angesprochen habe. Wirklich zufrieden mit der Opposition scheint kaum jemand.

Die Eltern überzeugen

Vor der Hauptbühne am Sacharow Prospekt treffe ich Alexander Mend: «Bis jetzt hat die Opposition nur gezeigt, dass sie Demonstrationen organisieren kann. Alles weitere ist sie uns bis heute schuldig geblieben.» Der 23-jährige möchte sich keiner politischen Gruppierung anschliessen, denkt aber, dass es äusserst wichtig sei, an den Protesten teilzunehmen. «Es muss den Leuten klar werden, dass es diese Bewegung gibt, die nicht mit der Regierung einverstanden ist», sagt der Philosophiestudent. Eines Tages, so hofft er, kann er auch seine Eltern davon überzeugen, die zur Zeit nicht viel davon halten, dass ihr Sohn bereits zum fünften Mal an einer Demonstrationen teilnimmt.

Auf der Bühne sprechen nun nach einander die unterschiedlichen Anführer der Opposition. Die Forderungen sind so breit, wie das politische Spektrum der Redner. Über den Köpfen dreht ein Helikopter seine Runden. Der Luftraum über Moskau ist hermetisch abgeriegelt und der Anführer der «Linken Front», Sergej Udaltsov, spricht den Demonstrierenden aus dem Herzen, als er sich darüber lustig macht, dass es wohl Putin selbst sei, der den Helikopter fliege.

Nicht alle reden über «Pussy Riot»

Die Reden dauern lange und der Wind wird immer kälter. Dennoch harren die Demonstranten aus und applaudieren dem Oppositionspolitiker Gennadi Gudkov, der am Tag zuvor aus dem russischen Parlament ausgeschlossen wurde. Neben den bekannten Oppositionsführern wie dem rechtskonservative Alexey Nawalny oder dem liberalen Ilya Jaschin sorgt vor allem die Rede des ehemaligen Piloten und Kosmonauten Sergej Nefedow für langen Applaus. «Seit 20 Jahren träumen wir von einem freien Russland. Wir sollten mutiger werden, wie auch Juri Gagarin mit 21 Jahren nicht feige war!» Als einer der wenigen erwähnt er die verurteilten Mitglieder Frauenpunkband «Pussy Riot» und fordert deren Freiheit.

Keine Alternative

Die Demonstranten sind auch im Fall «Pussy Riot» gespalten und so wird auf der Bühne erstaunlich wenig über den Fall gesprochen. Die Opposition gibt sich dennoch Mühe, geeint aufzutreten und verabschiedet ein Manifest, über das die Demonstrierenden per Hand abstimmen können. Aber auch dieses erhält keine neuen Forderungen. Genauso unkoordiniert wie die Demonstration begonnen hat, hört sie auch wieder auf. Die Demonstranten machen sich auf den Weg nach Hause, während auf der Bühne weiter Reden gehalten werden. Kirill Mershin bleibt stehen, auch wenn sich die Leute neben ihm umdrehen und sich auf den Weg Richtung Metro machen. «Ich bin nicht enttäuscht von der Opposition», erklärt der 39-jährige: «Es braucht einfach seine Zeit, bis sich neben Putin eine wirklich Alternative entwickeln kann.»

 

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