Argentinien und das Pech des Aussenseiters

Mit viel Glück reichte es Argentinien gegen einen überraschend starken Iran zum Sieg. Eine entscheidende Rolle spielte nebst Messi der Schiedsrichter, und vielleicht auch Diego Maradona.

In der letzten Minute traf Lionel Messi zum alles entscheidenden Tor. (Bild: Sergei Grits, Keystone)

Mit viel Glück reichte es Argentinien gegen einen überraschend starken Iran zum Sieg. Eine entscheidende Rolle spielte nebst Messi der Schiedsrichter, und vielleicht auch Diego Maradona.

Es war nur ein Vorrundenspiel. Es ging nur gegen den Iran. Es gab keinen Pokal zu überreichen und also eigentlich keinen Grund, noch wesentlich länger im Estádio Mineirão von Belo Horizonte zu bleiben. Aber eine Viertelstunde nach Abpfiff waren die Tribünen immer noch ein Meer aus hellblau und weiß. Und eine Viertelstunde nach Abpfiff sangen sie immer noch ihr Lied, aus vierzigtausend Kehlen: «Brasilien, sag’ mir, wie es sich anfühlt / deinen Papa bei dir zuhause zu haben / Ich schwöre dir, die Jahre werden vergehen / und wir werden das nie vergessen.» 

Der Grund der hinreißenden Gesänge war also ein 1:0 gegen den Iran. Im Nachhinein konnten die angereisten Fans fast noch dankbar sein für den zähen Vortrag ihrer Elf: so war das finale Delirium umso epischer. Lionel Messi, wer sonst, schlenzte den Ball in der Nachspielzeit von der Strafraumgrenze zum Siegtreffer ins lange Eck. Die Sieger ließen sich im Mittelkreis feiern, die Verlierer lagen weinend auf dem Boden. Ein Spiel, das sich in den Prognosen als Selbstläufer dargestellt hatte, endete im Drama.

Das grösste Spiel in seiner Geschichte

Denn es stimmte ja, was Ashkan Dejagah sagte, als er, die Tränen getrocknet, eine Stunde später Bilanz zog: «Mit ein bisschen Glück gewinnen wir hier. Ein Punkt wäre auf jeden Fall hochverdient gewesen». Der Iran hatte im «größten Spiel seiner Geschichte» (Trainer Carlos Queiroz) nur anfangs etwas Glück gebraucht, dann aber aus seiner so ultradefensiven wie geometrisch perfekten Aufteilung heraus immer geschickter gekontert und letztlich sogar die besseren Chancen gehabt. Nur Torwart Sergio Romero, vor dem Turnier als Schwachpunkt der Argentinier auserkoren, verhinderte einen Sieg der Perser. Und dann war da noch der Schiedsrichter. 

Die Unparteiischen-Gilde hat es in Belo Horizonte mal wieder verpasst, den Eindruck der Favoritenliebe zu widerlegen. Die Iraner bezweifelten jedenfalls nachhaltig, dass Milorad Mazic in der 55. Minute das Foul des trägen Pablo Zabaleta an Dejagah nicht gesehen haben wollte. «Ich sage zu einhundert Prozent: Wenn es andersherum gewesen wäre, hätte der Schiri gepfiffen», so der Deutsch-Iraner: «Bei uns hat er sich das nicht getraut, vielleicht auch wegen der Fans.» Das Spiel fand ja gefühlt tatsächlich nicht in Brasilien statt, sondern bei River, Boca oder sonstwo in Buenos Aires.

Immer wieder der Schiedsrichter

Während Dejagah sich damit tröstete, der Welt gezeigt zu haben, „dass wir Fußball spielen und mithalten können“, fand sein Trainer nur schwerlich ein anderes Thema. Der sonnengebräunte Queiroz sieht auch mit 61 Jahren noch so blendend aus, dass man sofort versteht, warum Real Madrids Präsident Florentino Pérez auf der Suche nach einem möglichst galanten Typen einst bei ihm fündig wurde. Aber am Samstag hatte der Portugiese partout keine Lust auf die Gentleman-Rolle, egal worauf er auch angesprochen wurde. Frage: «Hat es Sie überrascht, wie schwach Argentinien war?» Antwort: «Mich hat überrascht, wie schwach der Schiedsrichter war.»

Aber für die Argentinien-Frage gab es ja glücklicherweise noch andere Zeugen. Torwart Romero zum Beispiel, der sagte: «Zum Glück hat der Zwerg an der Wunderlampe gerieben und wir konnten noch gewinnen.»

Maradona, der «Seuchenvogel»

Auch Messi selbst gibt sich in der Nationalelf deutlich zutraulicher als etwa bei seinem Klub. In zwei Wochen Brasilien hat er schon mehr gesagt hat als in Barcelona eine ganze Saison lang. Nach dem rumpeligen Auftakt gegen Bosnien (2:1) beerdigte er öffentlich die hasenfüßige Fünf-Verteidiger-Taktik seines Trainers Alejandro Sabella («Wir sind Argentinien!»), jetzt räumte er ein, es gebe „noch viel Raum für Verbesserung“. Was nicht zuletzt für ihn selbst gilt. Bis zu seinem Tor unterschritt er eher noch das bescheidene Niveau eines Teams, dessen Gesamtheit einfach nicht die Klasse seiner Einzelspieler wiedergeben will. Aber weil ein vergleichweise schwacher Messi eben trotzdem noch Messi ist, steht Argentinien jetzt bereits im Achtelfinale.

Wobei in Belo Horizonte auch die These vertreten wurde, der andere große Argentinier habe die Schlusspointe ermöglicht. Diego Maradona, frisch geliftet, durfte diesmal ins Stadion, nachdem ihm beim ersten Spiel in Rio de Janeiro noch der Eintritt untersagt worden war. Als er auf der Videoleinwand eingeblendet wurde, jubelte das Publikum. Argentiniens oberster Fußball-Funktionär und Fifa-Vize Julio Grondona teilt diese Begeisterung nach diversen Scharmützeln dagegen nicht mehr. Nach Spielschluss zischte er: «Als der Seuchenvogel ging, haben wir noch gewonnen». Maradona hatte seine Loge drei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit verlassen.

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