Arm dran nach der Scheidung

Nach einer Scheidung sind die Einschnitte für den Mann gewichtig. In existenzielle Not geraten aber meistens die Frauen.

Mehr als jede zweite Ehe geht in die Brüche. Die Schweizer Scheidungsrate lag 2010 bei 54 Prozent. (Bild: Hansjoerg Walter)

Nach einer Scheidung sind die Einschnitte für den Mann gewichtig. In existenzielle Not geraten aber meistens die Frauen.

Sebastian Frehner ist ein Mann. Als solcher setzt er sich für die Interessen von Männern ein. Von jenen Männern, die von der Frau – oder besser: von der Ex-Frau – bis zum letzten Blutstropfen ausgesaugt werden. Der Mann, meint der Basler SVP-Nationalrat, ist das wahre Scheidungsopfer. Das ist alles andere als unbestritten.

«Das Problem, das Frehner skizziert, gibt es nicht», sagt Anna Hausherr, Geschäftsführerin des Schweizerischen Verbands alleinerziehender Mütter und Väter. Das Armutsrisiko würden fast immer die Mutter und die Kinder tragen. Hausherr weist darauf hin, dass jede dritte alleinerziehende Mutter auf Sozialhilfe angewiesen ist.

Alleinerziehende Väter trifft es deutlich seltener; nur knapp fünf Prozent leben von der Sozialhilfe. Sie verdienen nach der Scheidung im Schnitt auch deutlich mehr als die Frauen. Das hat der Genfer Demografie-Forscher Philippe Wanner in einer neuen Studie festgestellt, die auf Berner Steuer­daten basiert. Wanner führt eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied an: Kleine Kinder ­stehen fast immer in der Obhut der Mutter. Diese sind betreuungsaufwändiger, was kaum einen Vollzeitjob zulasse. Immerhin 90 Prozent aller ­alleinerziehenden Frauen arbeiten indes dennoch wenigstens Teilzeit.

85 Prozent alleinerziehende Frauen

Frehners Geschichte dagegen ist die vom Ex-Mann, der zahlt und zahlt, während es sich die Geschiedene auf seine Kosten gut gehen lässt. Sie kümmert sich ein bisschen um die Kinder, hat es sich aber im wesentlichen nach der Scheidung bequem gemacht. Er schuftet, und sie schläft aus. Zahlvater gegen ­Müssig-Mama.

Dabei liegt sie womöglich längst in den Armen eines Neuen. Das Bundesgericht hat im Frühjahr in einem solchem Fall entschieden: Der Ehemann muss weiterhin Unterhalt zahlen, obwohl seine Frau ihn für einen neuen Partner verlassen hat und nun in dessen Wohnung lebt. «Die ökonomischen Konsequenzen einer klassischen Rollenteilung müssen die Ehemänner tragen», schrieb der «Tages-Anzeiger» zum Gerichtsfall.

Das Gericht urteilt in derartigen Fällen immer gleich: Es schützt die Rollenverteilung während der Ehe. War sie nicht erwerbstätig, um die Kinder grosszuziehen und den Haushalt zu führen, muss sie das auch weiterhin nicht sein.

Früher zur Arbeit

Erst wenn der Nachwuchs zehn Jahre alt ist, muss gemäss Gerichtspraxis die Ex-Frau eine Teilzeit-, ab 16 Jahren eine Vollzeitstelle annehmen. Die Regelung gilt auch umgekehrt, allerdings sind 85 Prozent aller Alleinerziehenden Frauen. Frehner will diese Frist verkürzen. Wird das Kind vier Jahre alt, soll die ­alleinerziehende Mutter wieder erwerbstätig sein.

Hausherr kann damit nichts anfangen: «Wenn eine verheiratete Frau wegen den Kindern nicht ­arbeitet, ist das ein gemeinsamer Beschluss beider Partner.» Beide müssten die Folgen dieser Rollenverteilung tragen.

Gregors Scheidung

Gregor, wie wir ihn nennen, hatte keine Mühe damit, bei seiner Scheidung diese Aufgabenverteilung zu akzeptieren. 2004 trennte er sich nach ­sieben Jahren Ehe von seiner Frau, mit der er drei Kinder hat. Damals verdiente er als Kaufmann in einer Kaderposition monatlich 7900 Franken netto. Das Gericht entschied, dass seine Ex-Frau und Kinder insgesamt 5600 Franken zugesprochen bekommen, 2600 Franken davon gingen an sie.

Gregor blieben monatlich 2300 Franken übrig. «Es war schwierig für mich, mit so wenig Geld leben zu müssen. Trotzdem war die Höhe des Unterhaltsbeitrags okay für mich, zumal unsere Kinder damals noch sehr klein waren und die Mutter deshalb nicht arbeiten konnte», sagt der 50-Jährige. Er habe nur das Beste für seine Kinder gewollt und sich des­wegen nie darum bemüht, den Beitrag an seine ­ehemalige Frau herunterzusetzen.

Männer haben Schulden

Doch inzwischen ist für ihn nichts mehr in Ordnung. Die Umstände haben sich geändert. Gregor verdient nicht mehr gut, er ist seit einem Jahr arbeitslos. Deshalb wurden die Beiträge an seine Ex-Frau und Kinder auf 4500 Franken reduziert. Die Unterhaltsbeiträge haben Gregor in den finanziellen Ruin getrieben. Schulden und Betreibungen gehören für ihn nun zur Tagesordnung. Frustration macht sich breit. «Meine Ex macht nicht den Anschein, zumindest wieder Teilzeit arbeiten zu gehen, obwohl die Kinder mittlerweile im Teenager­alter sind. Es stinkt mir langsam, denn ich weiss nicht, wie ich aus dem Schlamassel mit den Betreibungen wieder rauskomme.» 

Gregors Geschichte ist Alltag für Hansueli ­Mesmer, Mitarbeiter der Berner Schuldenberatung: «Wir haben immer wieder einzelne Männer in der Beratung, die während der Scheidung emotional belastet waren und den Kopf an einem anderen Ort hatten», sagt er. Es handelt sich dabei um Männer, die sich im Scheidungs- oder Trennungsverfahren haben «übertölpeln lassen». Sie sind oft sehr hohe Verpflichtungen eingegangen, weil sie für ihre frühere Familie und besonders für ihre Kinder nur das Beste wollten. Es sind häufig Männer, die irgendwann Einkommenseinbrüche erleiden, die beispielsweise in die Arbeitslosigkeit geraten.

Zuweilen begleichen sie andere Ausstände wegen des knappen Budgets nicht oder nur ungenügend, sie verschulden sich, nur um den Unterhalt weiter leisten zu können. Oft machen sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch, die Unterhaltsverpflichtungen gerichtlich an die neue Einkommenssituation anpassen zu lassen. 

«Wir beraten auch Männer, die Alimentenschulden anhäufen», sagt Mesmer. Darunter seien einige Männer mit guter Berufsbildung, etwa Informatiker, die früher ordentlich verdient haben und nach der Scheidung beruflich und sozial abgestürzt sind.

Die Kinder tragen das Armutsrisiko

Wenn sie in seinem Büro stehen, ist es oft zu spät. Sie haben dann Steuerschulden, möglicherweise Konsumkreditschulden oder Schulden bei der Krankenkasse. Dann aus den Schulden raus zu kommen, sei nur schwer möglich. Wenn der Vater die Alimente nicht mehr zahlt, wird es aber vor ­allem für Mutter und Kinder prekär. Von der Caritas erhobene Zahlen besagen, dass jedes fünfte Kind nicht erhält, was der Vater leisten müsste. Weil er aufgrund der eigenen finanziellen Situation nicht Unterhalt zahlen kann oder auch einfach nicht will. Ein-Eltern-Familien haben in der Gesellschaft das grösste Risiko, in die Armut abzugleiten.

Yvonne Feri weiss, wie es ist, wenn das Geld nicht reicht. Die Aargauer SP-Nationalrätin hat ihre beiden Kinder die meiste Zeit alleine grossgezogen und hatte mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Das vorhandene Einkommen reichte ganz einfach nicht für zwei Familien. Feri hat mit dieser Zeit ­abgeschlossen, die für sie eine aufreibende war. «Wir hatten oft sehr wenig Geld. Aber ich hatte ein gutes Umfeld, welches mir half, mich beruflich weiter zu entwickeln. Sonst wäre ich nicht Nationalrätin geworden», sagt sie rückblickend. Bei ihr ist es aufgegangen. Viele andere können sich jedoch von der Scheidung nicht mehr erholen.

Frauen landen oft bei der Sozialhilfe

Der Sog nach unten ist nach einer Scheidung unterschiedlich stark. Der Ex-Mann muss keinen Unterhalt bezahlen, wenn er dadurch unter das Existenzminimum rutscht. Diese Situation kann etwa bei Jobverlust eintreten. Reicht das Einkommen der Mutter ohne Alimente nicht mehr aus, um die ­Familie durchzubringen, muss sie Sozialhilfe beziehen, nicht der Ex-Mann. Doch Sozialhilfe ist eine Schuld, fortan steht sie beim Staat in der Kreide. «Eine stossende Situation», findet Feri, «einmal bei der Sozialhilfe, ist man auf einer Schiene, von der man nicht mehr wegkommt. Dazu kommt die Verantwortung, die Kinder gut zu erziehen.»

Feri ist in Wettingen Gemeinderätin und als solche für den Sozialbereich zuständig. Ein Fall, wo ein Mann Sozialhilfe beziehen musste, weil ihn die Alimente-Zahlungen in finanzielle Not gebracht ­haben, sei ihr noch nie begegnet. Sie hofft, dass SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga die Problematik des Abrutschens in die Sozialhilfe bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern angeht. Bis Ende Jahr will Sommaruga das revidierte Unterhaltsrecht vorlegen. 

Politisches Gefecht

Das Ringen darum ist in vollem Gang. Feri forderte in einem parlamentarischen Vorstoss Ergänzungsleistungen für Familien, einen Zustupf vom Staat, der auch die Abhängigkeit von Alimenten nach einer Scheidung verringern sollte. Der Bundesrat lehnte das Ansinnen ab. Feri wie auch Verbandsfrau Anna Hausherr wollen zudem, dass der Staat eine Untergrenze beim Kinderunterhalt festsetzt. Zu oft gehen die Kinder leer aus, wenn Papi nicht zahlen kann.

Auf der anderen Seite der politischen Kampfzone steht Markus Theunert, Präsident von männer.ch, dem Schweizer Dachverband der Väter- und Männerorganisationen. Für Theunert geht das heutige Unterhaltsrecht nicht mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann einher. «Wir leben nicht mehr in den 1950er-Jahren. Grundsätzlich sollten Frau und Mann vor und nach einer Scheidung für den ­eigenen Lebensunterhalt sorgen», sagt Theunert. 

Der Verband verlangt, dass «die reflexartige ­Zuordnung der Ernährerrolle an den Mann nicht länger statthaft ist», nach Auflösung der Ehe «beide Ehepartner ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten» und beide Eltern in der «gemeinsamen Verantwortung für die tägliche Sorge und den finanziellen Unterhalt der gemeinsamen Kinder stehen». Zudem soll beiden Elternteilen nach dem dritten Lebensjahr des Kindes eine teilweise oder vollständige Erwerbsarbeit zugemutet werden – genau das will auch Frehner mit seinem Postulat.

Marco will eine neue Familie

Mit der Scheidung endet eine Beziehung nicht. Das zu glauben, ist schrecklich naiv. Gerade, wenn Kinder im Spiel sind. Marco baute nach seiner Trennung an der Zukunft. Er erhält für ein 70-Prozent-Pensum 4400 Franken netto, daneben arbeitet er freiberuflich. Rund 2400 Franken zahlt er seiner Ex-Gattin und seinen zwei Kindern monatlich.

Die finanzielle Belastung war für ihn immer gross, aber irgendwie auch immer machbar. «Ich kam früher mit wenig Geld immer über die Runden, wenn auch mit Einschnitten. Seit ich jedoch ein Kind mit meiner Partnerin habe, ist es finanziell noch schwieriger geworden», sagt er. Heute muss er sogar seine Eltern um Geld bitten.

Schafft er es nicht, büsst auch seine alte Familie dafür, die dann in der Klemme steckt. Das einstige Glück wird für alle zur bitteren Pflicht. Und das künftige beschädigt. Für Marco ging es beinahe schief, auch die neue Beziehung zerbrach fast. Die Vergangenheit liess ihn nicht los. Wie ein schwerer Rucksack auf einer enorm steilen Bergtour.

Zahlen Männer nach einer Scheidung zu viel? In der Wochendebatte diskutiert Sebastian Frehner, Basler SVP-Nationalrat, mit Silvia Schenker, Nationalrätin SP Basel-Stadt. Reden Sie mit.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 04.10.13

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