Assads Krieg geht unvermindert weiter

Während die Terrormiliz Islamischer Staat in den Schlagzeilen ist, geht Baschar al-Assads Krieg gegen das eigene Volk weiter, sagt der Genfer Arzt Tawfik Chamaa.

Syrian President Bashar Assad looks on before a joint statement with Romanian President Traian Basescu, not seen, at the Cotroceni Presidential palace in Bucharest, Romania, Wednesday, Nov. 10, 2010.(AP Photo/Vadim Ghirda) (Bild: VADIM GHIRDA)

Während die Terrormiliz Islamischer Staat in den Schlagzeilen ist, geht Assads Krieg gegen das eigene Volk weiter, sagt der Genfer Arzt Tawfik Chamaa. Er ist Sprecher der Union of Syrian Medical Relief Organizations (UOSSM), die als eine der wenigen Organisationen in Syrien medizinische Hilfe leistet.

Seit einigen Monaten ist der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und dem Irak in den Schlagzeilen. Gleichzeitig setzt der syrische Machthaber Baschar al-Assad den Krieg gegen die eigene Bevölkerung unvermindert fort. «Die syrische Armee wirft weiterhin mit Helikoptern Fassbomben auf bewohnte Gebiete und damit zivile Ziele in Städten, die nicht unter Regierungskontrolle sind, und schiesst mit russischen MiG-Jagdflugzeugen Raketen selbst auf Spitäler», sagt Tawfik Chamaa.

Der Genfer Arzt ist Sprecher der Union of Syrian Medical Relief Organizations (UOSSM). Die von syrischen Ärztinnen und Ärzten 2011 gegründete Vereinigung ist politisch und religiös unabhängig und eine der wenigen, die in Syrien die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten versucht. Zu Beginn des Aufstands gegen Assad 2011 hatte die UOSSM bei Demonstrationen Ambulanz-Treffpunkte eingerichtet, um Verletzte zu versorgen.

Zurzeit unterstützt die Organisation in Syrien 200 Spitäler mit Medikamenten und chirurgischem Material. «Heute erreichen wir Hunderttausende Menschen», sagt Chamaa. Die UOSSM ist in den Gebieten unter Kontrolle der oppositionellen Freien Syrischen Armee tätig, die auch mit Teilen der als Al-Kaida-nah geltenden Nusra-Front zusammenarbeitet. Im Nordosten Syriens hat die IS-Miliz Oberhand, während im Westen die Zentren von Städten wie Aleppo, Hama, Homs und Damaskus von Regierungstruppen kontrolliert werden.

Für medizinische Grundversorgung

Die UOSSM führt auch 50 eigene Spitäler mit insgesamt 800 Angestellten. Seit 2013 baute die Organisation zudem im ganzen Land 18 Zentren für die medizinische Grundversorgung auf. Hier werden schwangere Frauen betreut und Kinder geimpft sowie chronisch Kranke versorgt. Seit Anfang dieses Jahres ist die UOSSM daran, in diesen Zentren auch psychiatrische Hilfe zu leisten. «Die neuesten Statistiken sind katastrophal», sagt Chamaa. «80 Prozent der fünf Millionen Kinder und Jugendlichen in Syrien sind durch die Gewalt, die sie gesehen und erlebt haben, völlig traumatisiert, sie leiden an Depressionen und Ängsten.»

Im Libanon sowie im Norden und Süden Syriens richtete die UOSSM in Gebieten unter Kontrolle der Opposition zudem medizinische Ausbildungszentren ein. «Wir brauchen Ärzte, Chirurgen und Pflegepersonal, denn medizinische Einrichtungen und Personal werden offen ins Visier genommen.» Erst vor wenigen Tagen kam wieder ein Arzt der UOSSM ums Leben. Gemäss der Organisation wurden bisher 256 Ärzte, 163 Sanitäter sowie 146 Krankenschwestern und -pfleger getötet. Ausserdem wurden 677 Ärzte inhaftiert.

«Niemand kann sagen, man habe nicht gewusst, welche Kriegsverbrechen das Regime von Assad begeht.»

 Tawfik Chamaa

Von den 23 Millionen Einwohnern Syriens sind 10 Millionen auf der Flucht, 4 Millionen von ihnen haben das Land verlassen, während etwa 6 Millionen innerhalb Syriens als Vertriebene leben. Zehntausende Verletzte haben bleibende Behinderungen, etwa durch Amputationen. «Und zu den 250’000 Toten des Bürgerkriegs kommen ebenso viele Verhaftete», sagt Chamaa. Viele von ihnen seien wohl ebenfalls tot, wie die zahlreichen gefundenen Massengräber vermuten liessen. Chamaa erinnert an die Anfang Jahr veröffentlichten Bilder von 11’000 Gefangenen, die in den Kerkern Assads zu Tode gehungert und gefoltert worden waren. «Niemand kann sagen, man habe nicht gewusst, welche Kriegsverbrechen das Regime von Assad begeht», sagt der Arzt. Die Bilder befinden sich heute im Holocaust Museum in Washington. In Syrien hungern noch immer Tausende Menschen in den von Regierungstruppen belagerten Vierteln des palästinensischen Flüchtlingslagers Jarmuk in Damaskus sowie in Ghuta, östlich der Hauptstadt.

Das Regime tötet am meisten

Internationale Organisationen, die aus Sicherheitsgründen kaum mehr in Syrien arbeiten, haben damit begonnen, ihre Unterstützung an lokale Organisationen wie die UOSSM abzugeben. Diese arbeitet unter anderem mit Médecins Sans Frontières (MSF), mit Médecins du Monde sowie mit Hilfsorganisationen der EU-Länder, vor allem der Niederlanden sowie Japans zusammen. Die Schweiz hatte 2012 die Einrichtung eines Feldspitals unterstützt.

2013 betrug das Budget der UOSSM 22 Millionen Euro, im laufenden Jahr umfasst es rund den fünffachen Betrag, denn die Bedürfnisse sind nach den Worten von Chamaa exponentiell gestiegen. Alle Kriegsparteien töten und nehmen in Kauf, dass Zivilisten als sogenannte Kollateralschäden ums Leben kommen. Für Chamaa ist aber offensichtlich, dass weitaus am meisten Menschen durch das Regime getötet werden. Er bedauert daher, dass die internationale Koalition unter Führung der USA ausschliesslich die IS-Miliz bekämpft.

Allein im November wurden laut Chamaa 1’685 Menschen in Syrien von Regierungstruppen getötet, davon waren 1’169 Zivilisten, einschliesslich 169 Kinder. Die IS-Miliz tötete demnach in Syrien im November 57 Menschen, darunter 5 Kinder. Durch bewaffnete oppositionelle Gruppen kamen 70 Menschen ums Leben, davon waren 53 Zivilisten, einschliesslich 12 Kinder. Chamaa bezieht sich bei den Angaben auf das syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) in London.

Die Regierungstruppen drohen, der Opposition den einzigen Nachschubweg aus der Türkei abzuschneiden.

Ein baldiges Ende des Krieges scheint in weiter Ferne. Zurzeit versucht der Uno-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, zumindest eine Feuerpause in Aleppo zu erreichen, damit humanitäre Hilfsgüter verteilt werden können. Die frühere Wirtschaftsmetropole ist zweigeteilt, der Westen ist unter Kontrolle des Regimes und der Osten in Händen der Rebellen.

Noch ist offen, ob eine Feuerpause gelingt, denn zum einen eroberten die Regierungstruppen am Wochenende zusätzliche Gebiete und drohen, der Opposition den einzigen Nachschubweg aus der Türkei abzuschneiden. Zum andern sind die oppositionellen Kämpfer in der Stadt skeptisch, da bei der Evakuierung von Einwohnern während einer humanitären Feuerpause in Homs bis zu 800 unbewaffnete Männer an einem Checkpoint des Regimes verschwanden. Der Leiter des oppositionellen Kommandorats in Aleppo, einer Koalition aus rund 20 gemässigten säkularen und islamistischen Gruppen, forderte vom Uno-Gesandten einen schriftlichen Plan mit allen Details, über den die Koalition beraten könne.

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