Keine neuen AKW, aber die alten sollen weiterlaufen: Der Nationalrat sagt Nein zur unmittelbaren Abschaltung der Schweizer AKW. Das letzte Wort liegt aber beim Volk.
Die Atomdebatte war der Höhepunkt der grossen Energieschlacht im Nationalrat. Sechs Tage lang debattierte das Parlament über die Zukunft der Schweizer Energieversorgung. Zum Schluss entschied die grosse Kammer: Die Schweiz erteilt keine Rahmenbewilligungen mehr für neue Atomkraftwerke. Das heisst: Es wird hierzulande kein AKW mehr gebaut werden.
Doch beim Zeitpunkt des Ausstiegs hielt sich die grosse Kammer vornehm zurück. Einzig Beznau I und II sollen 2029 und 2031 vom Netz gehen – nach 60 Betriebsjahren. Die anderen AKW dürfen weiterlaufen, solange die Atomaufsichtsbehörde Ensi sie als «sicher» einstuft. Ein Kompromiss, der die linke Ratshälfte wenig glücklich machte.
Ewiger Zankapfel: Die Laufzeitbegrenzung
Während bürgerliche Exponenten aus der Region wie Daniel Stolz (FDP) und Christian Miesch (SVP) prononciert die Beibehaltung der Atomkraft forderten, äusserten sich vor allem linksgrüne Exponenten für eine klare Laufzeitbeschränkung. Einen Tag nachdem diese beschlossen war, entschied der Nationalrat, ein Nein zur Atomausstiegs-Initiative der Grünen zu empfehlen.
Damit ist das letzte Wort nicht gesprochen. Die Grünen-Initiative kommt noch an die Urne. Dann soll das Stimmvolk entscheiden, ob die Lebensdauer aller Schweizer AKW auf 45 Jahre begrenzt wird – und zwar ab deren Inbetriebnahme.
Das heisst: Beznau I müsste als ältestes nationales AKW – und sogar als weltweit ältestes in Betrieb stehendes AKW – sofort vom Netz. Leibstadt dürfte als jüngstes bis 2029 weiter laufen. Dann wäre Schluss. Und die Schweiz würde sich in 15 Jahren von der Nuklearenergie verabschieden (Übersicht über die Schweizer Atomkraftwerke von www.srf.ch).
Angst vor hohen Entschädigungsklagen
So weit will es der Nationalrat nicht kommen lassen. Zum einen drohen enorme Entschädigungsklagen der Betreiber, wenn sie vom Bund aus politischen Gründen zur Abschaltung gezwungen werden. Zum andern sehen viele die Versorgungssicherheit der Schweiz gefährdet.
Diese Haltung stützen auch die grossen Stromproduzenten, denen die AKW gehören. Und mit ihnen die regionalen Energieversorger, deren Direktoren über Beteiligungen auch Einsitz in den jeweiligen Verwaltungsräten haben. Urs Steiner, Direktor der Elektra Baselland, sagt denn auch wiederholt, dass die Schweiz bis etwa 2050 auf die Kernenergie angewiesen sei. Erst danach sei – bei entsprechender Versorgung durch andere Quellen – ein Ausstieg realistisch.
Das letzte Wort zum konkreten Ausstieg hat also das Volk – und zunächst der Ständerat. Denn das Paket, das der Nationalrat jetzt verabschiedet hat, geht nächstes Jahr zur Debatte an die kleine Kammer. Erst wenn die Vorlagen alle bereinigt sind und durch allfällige Volksabstimmungen abgesegnet oder gekippt wurden, ist der erste grosse Schritt in die Schweizer Energiezukunft beschlossene Sache. Ob mit oder ohne Nuklearkraft bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts.
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Tages-Anzeiger/Newsnet.ch hat ein umfassendes Web-Dossier zur Energiedebatte des Nationalrats angelegt. Hier finden Sie alle Etappen im Überblick.