Auch das noch: Wallfahrtsort Tramstrasse

Erst hatte sie ein Tram in der Fassade, dann kamen die Gaffer. Der Familie an der Tramstrasse 61 in Münchenstein bleibt nichts erspart.

Zieht Gaffer an: Die Unglücksstelle nach dem Tramunfall in Münchenstein. (Bild: Renato Beck)

Erst hatte sie ein Tram in der Fassade, dann kamen die Gaffer. Der Familie an der Tramstrasse 61 in Münchenstein bleibt nichts erspart.

Am Samstag nach dem Unfall war es am schlimmsten. Dann kamen die Gaffer nach Münchenstein. Sie fuhren langsam die Tramstrasse hinunter. Vor dem Haus mit der Nummer 61 hielten sie am Strassenrand, liessen Frau und Kinder aussteigen und stellten den Kombi aufs Trottoir. Daniela Pfluger zieht lange an ihrer Zigarette. «Unser Haus ist ein Wallfahrtsort geworden.» Als es dämmerte nach dem grossen Knall vergangene Woche und der irrgeleitete Tramzug der BLT im Morgenlicht blitzte, ging der Rummel los. Die Fotografen lies­sen den Familienvater mit Kind und Kegel vor dem Haus Aufstellung nehmen. Das Lokalfern­sehen inszenierte eine Homestory. Der Mann genoss es, die Frau sagt nur bitter: «Wunderbar war es, ganz wunderbar.»

Das entblösste Mauerwerk wurde zum Schrein der Katastrophenjünger. Einer musste aus dem Vorgarten verscheucht werden, wo er auf eigene Faust Nachforschungen anstellte. Auch eine Gruppe Taubstummer wurde an der Schadensstelle erwischt. Und eine Gretl aus Arlesheim drückte ihr Mitgefühl mit einer Postkarte aus, auf der eine Dampflok zu sehen ist, die an einer Hauswand runterhängt: «Es hätte schlimmer sein können.»
Zurückhaltung zeigt nur die BLT. Kein Ausdruck des Bedauerns. Kein Dankeschön für das Versorgen der Verletzten. Kein Nachfragen nach dem Befinden. Reagiert hat die BLT aber schon. Die Trams fahren jetzt aus Vorsicht langsamer vorbei. So langsam, dass jeder, der mitfährt, die Nase an die Scheibe drücken und einen langen Blick auf das Haus werfen kann, das ein Tram in der Fassade hatte. 

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Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11

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