Auf die leichte Schulter genommen – das Versagen der Polizei im Fall Y.S.

Der Untersuchungsbericht zum Fall des mutmasslichen Erdogan-Spitzels bei der Basler Polizei wirft kein gutes Licht auf die Polizeiführung. Sie verhedderte sich in rechtlichen Problemen und liess den Mann gewähren. Obwohl dieser auf Facebook angekündigt hatte, Türken in der Schweiz bespitzeln zu wollen.

Der Fall Y.S. – wie die Affäre ablief

Die Affäre nahm ihren Anfang in Bern, in den Büros des Nachrichtendienstes. Am 25. August 2016 begannen die Geheimdienstler Abklärungen über Y.S. anzustellen. Y.S. arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Sicherheitsassistent in der Velosammelstelle der Basler Kantonspolizei. 

Ihre Aufmerksamkeit erregt hatten drei private Facebook-Einträge von Y.S im Nachgang zum gescheiterten Putschversuch in der Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan schreibt diese der Gülen-Bewegung zu. Im ersten Eintrag schreibt Y.S., man solle Firmen melden, welche die Gülen-Bewegung unterstützen. Und weiter: Er, also Y.S., spende einen Dollar pro gemeldeten Namen eines Gülen-Anhängers.

«Wir sind bereit für Ihre Befehle und Ansichten, mein Oberbefehlshaber.»

Facebook-Eintrag von Y.S. über Erdogan

Als problematisch wurde von den Geheimdienstlern auch ein zweiter Eintrag bewertet. Y.S. kommentierte ein Bild Erdogans: «Wir sind bereit für Ihre Befehle und Ansichten, mein Oberbefehlshaber.» In einem dritten Facebook-Post schliesslich äusserte sich Y.S. zum Völkermord der Türkei an den Armeniern während des ersten Weltkriegs. Was Y.S. genau sagte, ist nicht bekannt, aber die Ermittler schlossen daraus eine «nationalistische Haltung», es ergebe sich der «subjektive Verdacht auf Fremdenfeindlichkeit».

Ende August übermittelte der Nachrichtendienst seine Erkenntnisse an die Basler Staatsschützer, die sogenannte Fachgruppe 9. Darin enthalten auch eine explizite Warnung: Für Spitzeldienste im Auftrag der Erdogan-Regierung seien Polizisten besonders gut geeignet. Denn sie verfügen beinahe unbeschränkten Zugriff auf heikle Personendaten.

Offene Betreibungen

Am 20. Oktober 2016, also knapp zwei Monate nach den ersten Ermittlungen, präsentierte der Leiter der Fachgruppe 9 seinen Bericht dem stellvertretenden Kommandanten der Kantonspolizei Rolf Meyer. Darin werden die Staatsschützer deutlich: Sie empfehlen disziplinarische Massnahmen gegen Y.S. PC-Daten am Arbeitsort, E-Mails, Zugriffe auf Datenbanken seien zu überprüfen. Y.S. wird aufgrund seiner privaten Situation als besonders gefährdet für Anwerbeversuche durch türkische Agenten taxiert: Beim Sicherheitsassistenten stapeln sich offene Betreibungen.

Der NDB, erklärte der Basler Staatsschützer, habe zudem ein besonderes Interesse daran, die Log-Files von Y.S. zu erhalten, also die Zugriffsprotokolle der zahlreichen Datenbanken, die Y.S. durchforsten konnte. Der Mann hatte, wie jeder Angehörige des Korps, Zugang zum Fahndungssystem Ripol, zum Schengener Informationssystem SIS, zum Rapportsystem der Basler Polizei, zu Fahrzeugdatenbanken und zur Einwohnerdatenbank. Die Fahnder wollten wissen, ob Y.S. seine Möglichkeiten widerrechtlich nutzte. Später sollte sich herausstellen, dass er 3000 Datensätze abgriff ohne dienstliche Befugnis.

Verdeckte Ermittlung abgelehnt

Ende Oktober 2016 war davon aber noch nichts bekannt. Also ordnete Vizekommandant Meyer eine verdeckte Ermittlung gegen Y.S. an. Ausgeführt wurde die Anordnung nie. Der Informatikchef des JSD teilte mit, ohne ein eingeleitetes Verfahren der Staatsanwaltschaft seien ihm die Hände gebunden.

Am 28. November informierte Meyer die Fachgruppe 9 darüber. Man checke nun nur die öffentlich einsehbaren Internetauftritte von Y.S. Ein, zwei Mal pro Woche überprüfte ein Polizist die türkischen Einträge von Y.S. auf Facebook via Google Translate auf verdächtigen Gehalt, fündig wurde er nie. Die Staatsanwaltschaft erklärte daraufhin, es gebe keinen ausreichenden Anfangsverdacht, um gegen Y.S. ein Verfahren einzuleiten.

Vier Monate vertrödelt

Einziger Weg, um an die Daten zu gelangen: Man hätte Y.S. bitten müssen, diese offenzulegen. Monate später,nachdem die «Basler Zeitung» die Affäre Y.S. publik machte, geschah das auch. Doch zu jenem Zeitpunkt Ende November baten die Geheimdienstler Meyer, das zu unterlassen. Man wollte Y.S. weiter beobachten, darum solle er nicht auf die Untersuchung angesprochen werden.

Danach geschah vier Monate lang gar nichts mehr. Erst am 23. März 2017 klopfte die Fachgruppe 9 nochmals bei Vizekommandant Rolf Meyer an. Der winkte ab: Es gebe nichts neues zu berichten.

Erst nach dem explosiven Bericht in der BaZ zum «Erdogan-Spitzel bei der Basler Polizei» vom 22. April 2017 wird Y.S. mit den Vorwürfen konfrontiert, seine Daten werden ausgewertet, 3000 verdächtige Datensätze festgestellt. Y.S. wird verhaftet, dann freigestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Neueste Erkenntnisse: Bislang gibt es keine Hinweise, dass Y.S. die heiklen Personendaten weitergegeben hat. Die Ermittlungen dauern an.

Die Kritik des Professors

Die Frage, weshalb die Polizeileitung Y.S. trotz handfesten Warnungen des Nachrichtendienstes gewähren liess, stand gross und bedrohlich im Raum nach den ersten Ermittlungsergebnissen. Sicherheitsdirektor Baschi Dürr setzte daraufhin den renommierten Zürcher Verwaltungsrechtler Felix Uhlmann auf die Beantwortung dieser Frage an.

Dieser kritisiert in seinem Untersuchungsbericht das Vorgehen der Polizeileitung, namentlich von Vizekommandant Rolf Meyer, bei dem alle Fäden zusammenliefen, und vom mittlerweile von Dürr geschassten Kommandanten Gerhard Lips.

  • Die Kantonspolizei hätte sich problemlos über die Weisung der Geheimdienstlerhinwegsetzen können, Y.S. nicht auf die Vorwürfe anzusprechen. Ein formelles Schreiben der Staatsschützer lag nie vor. So hätten dessen Log-Files auch ohne Strafuntersuchung eingesehen werden können.
  • Die Polizeileitung hätte die Probleme mit dem kantonalen Datenschutzbeauftragten diskutieren müssen, um auch ohne Strafuntersuchung an die Log-Daten heranzukommen. Uhlmann ist der Ansicht, dass diese dienstlichen Zugangsdaten keinen besonderen Datenschutz geniessen.
  • Die Polizeileitung – das vielleicht der schwerste Vorwurf Uhlmanns – habe die Interessen der türkischen Bewohner viel zu gering gewichtet. Er spricht von einem «beträchtlichen Missverhältnis». Die Polizei bewertete das Interesse von Y.S., in Ruhe gelassen zu werden, als höher. Uhlmann wird deutlich: «Eine unverzügliche Kontrolle der Log-Files war mit Blick auf die Datenschutzgesetze angezeigt.» Meyer argumentiert dagegen, eine reale Grundrechtsverletzung – die Überwachung von Y.S. – sei höher zu gewichten als die hypothetische Grundrechtsverletzung der türkischen Bevölkerung. 
  • Die Polizeileitung hätte Departementsvorsteher Baschi Dürr informieren müssen. Uhlmann glaubt, die Polizeileitung habe den Fallschlicht unterschätzt. Auf Nachfrage erklärt Rolf Meyer, es hätte am damaligen Kommandanten Lips gelegen, Dürr in Kenntnis zu setzen.
  • Y.S. hat sich in seiner Laufbahn als Sicherheitsassistent einiges zuschulden kommen lassen. Das ergeht aus seiner Personalakte. Die Vorfälle korrelieren zeitlich mit den umstrittenen Facebook-Einträgen. Doch die Personalakte, das musste Rolf Meyer einräumen, wurde erst spät gesichtet, zudem fehlten lange wesentliche Dokumente darin. «Ein Fehler», so Meyer.
  • Die Polizeileitung hat den ganzen Fall auf die leichte Schulter genommen. Meyer nennt die Facebook-Einträge noch heute zwar inakzeptabel, glaubt aber, sie seien nicht wörtlich zu nehmen, sondern zynisch gemeint. Sie wären in einem Führungsgespräch thematisiert worden und hätten bestenfalls zu einem Verweis geführt. Uhlmann dagegen taxiert die Äusserungen als sehr problematisch und unvereinbar mit den dienstlichen Pflichten.

Was nicht geklärt ist

Unbeantwortet bleibt die Frage, warum Baschi Dürr von nichts wusste. Er sagt heute, das sei «im Hitze des Gefechts untergegangen». Glaubwürdig ist das nicht. Laut Vizekommandant Meyer ist der Nachrichtendienst nie zuvor gegen einen JSD-Mitarbeiter vorgegangen. Lips ist nicht mehr im Amt und kann die Frage nicht mehr beantworten. Es bleibt die Feststellung, dass Dürr zur damaligen Zeit politisch enorm unter Druck stand. Die Dienstwagen-Affäre stellte seine Amtsführung infrage, die Umfragewerte gefährdeten seine Wiederwahl im vergangenen Herbst.

Unklar ist bis heute auch, wie viel Schaden Y.S. tatsächlich angerichtet hat. Die Staatsanwaltschaft hat bislang nichts entdeckt, das auf eine Spionagetätigkeit hindeutet. Alles andere würde die Staatsanwaltschaft allerdings auch in einem schlechten Licht erscheinen lassen, denn sie hat im letzten Jahr darauf verzichtet, gegen Y.S. zu ermitteln.

War Y.S. also tatsächlich ein Handlanger Erdogans, oder steckte er bloss in einer schweren persönlichen Krise? Dahingehend äussert sich Vizekommandant Meyer. So fanden alle illegalen Datenzugriffe in nur zwei Monaten statt. Zu dieser Zeit trennte sich Y.S. von seiner Frau und hatte gravierende finanzielle Probleme. Offenbar wurde Y.S. deswegen auch intern psychologisch betreut. Gut möglich, dass sich das Bild von Y.S., das von den Medien in den letzten Wochen gezeichnet wurde, deutlich verändern wird.

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