Auf eigene Faust im Ausland studieren? So geht das!

Ob Erasmus oder nicht: Wie organisiert man ein Auslandssemester und lohnt sich der Aufwand überhaupt? Ein Erfahrungsbericht aus Indien zeigt: es geht auch auf eigene Faust.

Ein Teil der insgesamt 60 Studenten und Studentinnen posieren im Sari vor dem Unigebäude. (Bild: Samanta Siegfried)

Ob Erasmus oder nicht: Wie organisiert man ein Auslandssemester und lohnt sich der Aufwand überhaupt? Ein Erfahrungsbericht aus Indien zeigt: Es geht auch auf eigene Faust.

Da war ich nun. Am Busbahnhof von Pondicherry, einer Stadt im Südosten Indiens. Noch bevor ich den Zettel mit der Adresse hervorgekramt hatte, sass ich bereits in einer Autorikscha. Erst als ich mit dem Fahrer durch die geschäftigen Strassen tuckerte, dicht gedrängt vorbei an Motorrädern, Autos und Kühen, wurde mir klar: Hier ist mein neues Zuhause. Sobald ich aussteige, kommt ein komplett neuer Alltag auf mich zu. Ein Studentenalltag in Indien. Was habe ich mir da bloss eingebrockt?

Alles begann ein halbes Jahr vorher, als ich mir in den Kopf gesetzt hatte, ein Semester im Ausland zu studieren. Das war nach zwei Jahren Studium der Medienwissenschaften und Ethnologie, als mich der Unialltag anzuöden begann. Ein Auslandssemester könnte meiner Motivation den nötigen Auftrieb geben, hoffte ich.

Ich war nicht die Einzige. Meine Mitstudenten hegten den gleichen Plan. Fast alle strebten zu Beginn des Studiums ein Auslandssemester an. Doch geschätzt die Hälfte verwarf das Vorhaben wieder: keine Zeit, zu kompliziert.

Ich war damals 24 Jahre alt und überzeugt: Ein halbes Jahr würde gut reichen, um mir zu überlegen, wohin ich will, was ich dafür benötige und um alles zu organisieren.

Ich täuschte mich.



Geschäftige Marktstrasse in Pondicherry.

Geschäftige Marktstrasse in Pondicherry. (Bild: Samanta Siegfried)

Indien? Auf keinen Fall!

Zumal ich mein Ziel hoch steckte: Die Uni sollte ausserhalb Europas liegen. Ich dachte an Australien oder Südamerika. Doch eine ohnehin geplante Reise nach Indien lenkte mich zufällig in eine neue Richtung.

Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, in Indien zu studieren. Zu laut, zu dreckig, zu viele Menschen, glaubte ich. Reisen ja, aber dort leben? Eher nicht.

Ich tat, was man in solchen Situationen eben tut: Ich fing an zu googlen. Gibt es etwas in Indien, das mich überzeugt? Ich stiess auf «Kulturstudier», ein Programm der Universität Oslo in Norwegen, das in unterschiedlichen Regionen der Welt Auslandssemester anbietet. Eines davon ist der Studiengang Friedens- und Konfliktforschung in Indien. Er richtet sich auch an Nichtnorweger, und das Bewerbungsverfahren wirkte ziemlich simpel. Da die Zeit drängte – es war bereits Spätsommer –, war es genau das Richtige für mich: Ich musste mir nicht das Vorlesungsverzeichnis indischer Hochschulen zusammensuchen und mich nicht selbst noch um eine Bleibe in Indien sorgen. Ich musste mich nur anmelden und hingehen.

Aus eigener Tasche finanziert

Das Ganze hatte einen Haken: Es war teuer. Rund 6500 Franken kostete der Studiengang inklusive Verpflegung und Übernachtung für drei Monate. Zwar würde ich bei einem anderen Austausch auf einen ähnlichen Betrag kommen, doch in diesem Fall musste ich alles auf einmal bezahlen. Ich rechnete aus, dass ich mit meinem Nebenjob – ich arbeitete im Service eines Cafés – einen Grossteil des Betrages zusammensparen könnte. Ausserdem gibt es bestimmt Unterstützungsmöglichkeiten der Universität. Dachte ich.
 



Mein Lieblings-Chapati-Verkäufer in Pondicherry.

Mein Lieblings-Chapati-Verkäufer in Pondicherry. (Bild: Samanta Siegfried)

Ich las von einem Stipendium der Uni Basel für Auslandssemester ausserhalb Europas. Maximalhöhe 2500 Franken, ausserdem werden einem die Studiengebühren erlassen. Das wäre ein Anfang. Ich sammelte in einem aufwendigen Verfahren die dafür nötigen Formulare und Unterschriften – und bekam eine Absage.
 
Mein Verhängnis: Ich ging zwar nach Indien (ausserhalb Europas), studierte aber in Kooperation mit der Universität Oslo (innerhalb Europas). So galten für meinen Fall weder Erasmus noch irgendeine aussereuropäische Regelung. Ich hakte nach, und siehe da: Die Uni zeigte sich grosszügig. Ich erhielt immerhin das Flugticket nach Indien bezahlt (800 Franken).

Dennoch: Mir fehlte das Geld. Ich schrieb zwei Stiftungen an, erhielt allerdings in der kurzen Zeit noch keinen Bescheid. So plünderte ich mein Konto und ging los. Und auf einmal waren Leistungsnachweise, ETCS-Punkte und sonstige Formalitäten ganz weit weg.

Pausen in der Hängematte

«Und wenn keiner da ist?», ging es mir noch durch den Kopf, als mich der Rikschafahrer schliesslich vor meinem neuen Zuhause in Indien absetzte. Doch es war zu spät für Zweifel, und kurz darauf stellten sie sich ohnehin als nichtig heraus: Das Semester in Indien lohnte sich in jeder Hinsicht. Zwar war der Studienalltag mit einer Fünf-Tage-Woche und einem Acht-Stunden-Tag viel intensiver als in der Schweiz. Ausserdem teilte ich das Zimmer mit einer Nepalesin und einer Norwegerin und hatte kaum Privatsphäre. Doch das alles machte mir wenig aus.

Ich studierte nicht mehr nur die Lebensweise von Menschen anderer Kulturen, ich lebte nun selbst in dieser Kultur. Das multiplizierte mein Interesse um ein Vielfaches. Bestimmt hat auch die Lage der Universität dazu beigetragen. Sie befand sich etwas ausserhalb der Stadt, direkt am Meer. Die Pausen verbrachte ich in der Hängematte unter Palmen.



Der Campus: Sonne, Palme, Hängematte.

Der Campus: Sonne, Palme, Hängematte. (Bild: Samanta Siegfried)

Das kleine finanzielle Glück erreichte mich dort im Monat April: Beide Stiftungen, die ich angefragt hatten, sprachen mir den ersuchten Betrag von 1000 Franken zu.
 
Erst viel später, als Semester Nummer sieben in Basel seinen Anfang nahm, wurde es wieder hektischer: Wie schaffe ich es, die 30 erworbenen Kreditpunkte an mein Studium anrechnen zu lassen? Es erforderte einige Formalitäten, aber vor allem Geduld. Bis die Punkte auf meinem Konto gutgeschrieben waren, verging mehr als ein halbes Jahr. Wer also bald nach dem Auslandssemester sein Studium abschliessen will, muss sich beeilen.
 
Ja, ein Auslandssemester ist kompliziert. Denn egal, was die Uni für Abkommen mit Partneruniversitäten hat oder nicht: Es ist immer ein Mehraufwand – und dieser fällt vor allem auf einen selbst zurück.

Aber ich kenne niemanden, der reuig zurückgekehrt ist. Egal, wie sich die Regelung entwickelt, besser, man lässt sich nicht davon abschrecken. Besser, man setzt sich zuerst ein Ziel und kümmert sich danach um dessen Umsetzung. Denn das Ziel ebnet den Weg.

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