Aufregung im Nest

Das Geständnis von Wegelin-Banker Konrad Hummler in den USA sorgt – wieder einmal – für nationale Empörung.

Und wieder eine Verräterdebatte: Wer Missstände im eigenen Lager einräumt, wird als illoyaler Unterstützer der Gegenseite verstossen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Das Geständnis von Wegelin-Banker Konrad Hummler in den USA sorgt – wieder einmal – für nationale Empörung.

Nestbeschmutzer gehen um, das sorgt für Aufregung im Schweizer Nest: Zwei Schweizer Top­banker, Konrad Hummler und Otto Bruderer, haben in den USA vor Gericht gestanden, dass aktive Beihilfe zur Steuerhinterziehung in der Schweizer Finanzindustrie «üblich» gewesen sei, oder wörtlich: «… was common in the Swiss banking industry».

Dieses Geständnis bezeichnete CVP-Chef Christophe Darbellay öffentlich als Verrat. In der nachdoppelnden Variante: «Die Aussage (…) ist eine weltweite Diffamierung des Finanzplatzes Schweiz. Als Schweizer Bürger und als Schweizer Politiker und als Vertreter des Wirtschaftsstandortes Schweiz empfinde ich ein solches Verhalten als Verrat, dazu stehe ich.»

Darbellay war nicht der Einzige. Empörung von rechts bis links. FDP-Chef: «Riesensauerei». SP-Chef: «Katastrophe». Ähnlich der BDP-Chef, denn auch er erhielt von den Medien die Gelegenheit, sich am Geschnatter zu beteiligen. Aber Darbellay war der Erste und steht als vermeintlicher Schweiz-Verteidiger wieder einmal für ein paar Momente auf dem Siegerpodest der medialen Aufmerksamkeit.

Das war beim vorübergehend für dringlich erachteten Burka-Verbot so und auch beim Versuch, den EWR aufzuwärmen. Das aber ist nicht nur ein Problem Darbellays, sondern ein generelleres Problem unseres Polit­betriebs, dessen Akteure offenbar darauf angewiesen sind, möglichst häufig in den Schlagzeilen zu sein.

Der Zwang zur Empörung

Aus dieser Notwendigkeit wächst fast automatisch die ­Neigung, bei jeder Gelegenheit nationale Empörung zu markieren. Das setzt unakzeptables Verhalten Aussenstehender oder Verrat im eigenen Nest geradezu voraus.

Verrat und Verräter? Da müssen wir unterscheiden: Man kann etwas verraten, weil man etwas mitteilt, das andere nicht wissen und nicht wissen dürfen. Das Herstellungsrezept für Rivella zum Beispiel. Oder die paar Infos von militärischer Bedeutung, die der Brigadier-Landesverräter Jean-Louis Jeanmaire an seine Sowjetfreunde weitergegeben hat. Oder, um näher bei der Problematik zu bleiben, die Namen von 300 Bankkunden, die ohne jede Darbellay-Empörung 2008 von der UBS auf Anordnung der Schweizer­ ­Finanzmarktaufsicht Finma ausgeliefert wurden.

Man kann aber auch auf andere Art zum Verräter werden beziehungsweise gemacht werden. Der Verräter ist ein Ausgestossener. Ein zum tiefen Fall Preisgegebener. Zum Verräter gehört, dass er vorher keiner war. Der Vorwurf: Illoyale Unterstützung der Gegenseite in einer Meinungsschlacht. Dolchstoss in den Rücken mit pauschaler Selbstbezichtigung. Den Amerikanern war es sicher wichtig, die verallgemeinernde Aussage von den Wegelin-Teilhabern geliefert zu bekommen. Ob das im Verfahren gegen andere Banken die Qualität einer Kronzeugenaussage hat, wird sich zeigen.

Fremdes Recht war irrelevant

Es ist nicht irrelevant, wer wann eines Besseren belehrt worden ist, das heisst einer fragwürdigen Grundeinstellung den Rücken gekehrt hat. Diese Frage soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine «übliche» Praxis gab, die darin bestand, fremdes Staatsrecht als völlig irrelevant einzustufen und sich auf den Standpunkt zu stellen, dass damit ja kein Schweizer Recht verletzt werde. Verständlich wäre die Empörung derjenigen Bankleute, die sich an solchen Geschäften nie beteiligt haben oder vor Jahren von diesem tatsächlich üblichen Geschäftsmodell abgerückt und wegen des Abrückens von den «Wegelins» ausgelacht worden sind.

Die Existenz der Vergangenheit lässt sich nicht wegleugnen.

Diese Vergangenheit ist eine Altlast, die mit dem schnellen und ja auch nicht ganz freiwillig vorgenommenen Wechsel nicht einfach verschwindet. Ihre Existenz lässt sich nicht wegleugnen. Finanz-Ministerin Eveline Widmer-Schlumpf pflegte im Falle des angestrebten Steuerabkommens mit Deutschland die schweizerische Altpraxis pauschal als eine «Geschichte» zu bezeichnen, die man doch endlich hinter sich lassen wolle. Da muss man mindestens mit UBS-Chef Sergio Ermotti ergänzen: «Die Schweiz ist reich geworden durch Schwarzgeld.»

In der Verräterdebatte gilt die Auseinandersetzung nicht der Sache selbst, sondern abseitigen Aspekten, und die Medien machen bei diesen uns ablenkenden Kommentaren mit, wenn sie diese nicht sogar recht eigentlich erzeugen. Statt über die Fluchtgelder-Vergangenheit wird jetzt lang und breit über die Frage verhandelt, ob Darbellay sagen durfte, was er sagte, ob dies eine Persönlichkeits- oder gar eine Ehrverletzung sei, ob es um Strafrecht oder Zivilrecht gehe, welche Immunität er im Falle einer Anklage geniesse und wer ihn gratis oder gegen Honorar zu verteidigen beabsichtige: Nebensächlichkeiten!

Allerdings zeigt sich da einmal mehr das alte Dilemma, sich mit dem eigenen Kommentar an dem Nest-Geschnatter zu beteiligen, das man als abwegig taxiert.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.01.13

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