Aufstand gegen die EU

Lange Zeit stand Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban mit seiner EU-Feindschaft isoliert da. Nun arbeitet er an einer gemeinsamen osteuropäischen Allianz zur Entmachtung der EU und für ein «Europa der Nationen».

Vom Schmuddelkind der EU zu ihrem gefährlichsten Feind: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

(Bild: Keystone)

Lange Zeit stand Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban mit seiner EU-Feindschaft isoliert da. Nun arbeitet er an einer gemeinsamen osteuropäischen Allianz zur Entmachtung der EU und für ein «Europa der Nationen».

Seit Jahren tritt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban als Prophet des Unheils auf. Europa sei verloren, wenn es sich nicht abschotte und sich nicht auf seine christlichen Wurzeln besinne, verkündet er immer wieder innerhalb und ausserhalb seiner Heimat, daher müsse Zuwanderung radikal gestoppt werden. Europa sei auch verloren, glaubt Orban, wenn es unter Brüsseler Führung zu den Vereinigten Staaten Europas werde und seinen Nationen damit das geistige Rückgrat breche.

Lange Zeit wurde Orban bestenfalls belächelt. Doch die Flüchtlingskrise änderte alles: Mit dem Bau von Grenzzäunen gab Orban einen entscheidenden Impuls zur Blockade einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik.

Widerstand gegen Flüchtlingsquoten

Nach den Anschlägen von Paris am 13. November brachte er in der Frage der strikten Ablehnung von Flüchtlingsquoten erstmals die wichtigsten mittelosteuropäischen Länder – Polen, Tschechien und die Slowakei – hinter sich. Auch die baltischen Staaten, Slowenien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien sprachen sich tendenziell gegen Quoten aus. Schon damals wählte das Europa-Magazin «Politico» Orban zur Nummer eins der 28 wichtigsten europäischen Politiker und Persönlichkeiten.

Nun scheint Orban vor noch grösseren politischen Erfolgen auf europäischem Parkett zu stehen: Polen setzt unter der Führung von Jaroslaw Kaczynski, dem Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, im Eiltempo das antidemokratische Orban-Modell um. Die EU-Kommission droht Polen deshalb mit Sanktionen.

Neue Freunde in Polen

Daraufhin trafen sich Orban und Kaczynski in der vergangenen Woche zu einem mehrstündigen privaten Gespräch – nachdem Kaczynski wegen Orbans Pro-Putin-Kurs vor Monaten noch ein Treffen mit Orban abgesagt hatte. Das fand nun ausgerechnet im südpolnischen Niedzica statt, im Mittelalter ein Ort, an dem wichtige polnisch-ungarische Allianzen besiegelt wurden. Man habe Fragen der Europa-Politik erörtert, hiess es zunächst wolkig, tags darauf sagte Orban, er werde mögliche EU-Sanktionen gegen Polen blockieren.

Die Achse Budapest–Warschau ist das wichtigste Element einer neuen osteuropäischen Allianz, an der Orban schon seit Längerem mit Unterstützung des britischen Premiers David Cameron arbeitet. Es geht um die Entmachtung der EU und ein «Europa der Nationen». Nachdem Cameron in den vergangenen Wochen durch mehrere osteuropäische Länder getourt war, kam er letzte Woche auch nach Budapest.

Orban erklärte während einer Pressekonferenz in ausgesprochen herzlicher Atmosphäre seine nachdrückliche Unterstützung für «Davids» EU-Reformpläne, nur die Frage von Sozialleistungen für osteuropäische Gastarbeiter in Grossbritannien müsse verhandelt werden.

«Europa leidet an zu viel Brüsselismus.»
Viktor Orban

Noch weitergehend als David Cameron möchte Orban die Brüsseler EU-Zentrale entmachten und die EU-Grundlagenverträge ändern lassen. Neben Polen unterstützen ihn darin auch Tschechien und die Slowakei, Sympathien für seine Pläne gibt es auch in Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Der Tenor: Die nationalen Parlamente der Mitgliedsländer sollen vielfältige Befugnisse und Veto-Möglichkeiten erhalten, Brüssel würde im Wesentlichen zu einem Apparat für die Verteilung der Fördermittel degradiert werden.

Zusätzlichen Auftrieb erhält Orban durch die Überfälle auf Frauen in Köln und anderen deutschen Städten in der Silvesternacht. Sie lösten überall in Osteuropa nicht nur entsetzte Kommentare in den Medien und in der Öffentlichkeit aus. Viele Regierungspolitiker osteuropäischer EU-Länder sahen die Überfälle auf Frauen, verübt mutmasslich zu einem Teil von Flüchtlingen, auch als Bestätigung ihrer flüchtlingsfeindlichen und antieuropäischen Haltung. Der linksnationalistische slowakische Ministerpräsident Robert Fico etwa forderte wegen der Ereignisse von Köln einen Sondergipfel der EU gegen «geschlossene muslimische Gesellschaften».

Viktor Orban selbst sagte zu den Ereignissen von Köln Ende vergangener Woche in seinem wöchentlichen Radiointerview, sie zeigten, dass Ungarn mit seinen Warnungen vor Flüchtlingen recht habe. Einwanderung nach Europa müsse nicht nur verlangsamt, sondern vollständig gestoppt werden, so Orban. Seine EU-Reformpläne brachte er in einem kurzen Satz auf den Punkt: «Europa leidet an zu viel Brüsselismus.»

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