Aus dem Spital auf die Strasse: Die Geschichte der Jemeniten in Kairo

Tausende Jemeniten sind in Kairo gestrandet: Gekommen wegen medizinischer Hilfe können sie wegen des Krieges nicht zurück. Das Geld reicht nicht mehr für Wohnungen und Essen. Ihrem Ärger machen sie jeden Tag mit Demonstrationen vor der jemenitischen Botschaft in Kairo Luft.

(Bild: Astrid Frefel)

Tausende Jemeniten sind in Kairo gestrandet: Gekommen wegen medizinischer Hilfe können sie wegen des Krieges nicht zurück. Das Geld reicht nicht mehr für Wohnungen und Essen. Ihrem Ärger machen sie jeden Tag mit Demonstrationen vor der jemenitischen Botschaft in Kairo Luft.

Ein Stück der Verzweiflung des saudischen Krieges im Jemen lässt sich auch in Kairo miterleben. Vor der Botschaft ihres Landes in der ägyptischen Metropole treffen sich seit Wochen tägliche Hunderte, manche in geordneten Protesten, andere einfach, weil sie ausser der Strasse nichts mehr haben.

Maysaa und ihre Familie sind seit zwei Monaten in Kairo. Ihre medizinische Versorgung ist abgeschlossen, seit einem Monat versucht sie nach Amran, einer Kleinstadt nördlich von Sanaa, zurückzugekehren. «Wir haben nichts mehr, kein Geld, kein Essen. Uns bleibt nur die Strasse», sagt die Mutter von fünf Kinder. Hilfe gebe es keine, weder von der jemenitischen Botschaft noch von Ägypten noch von karitativen Organisationen.

Politik ist kein Thema – die Armut schon

Maysaa hat sich zusammen mit ein paar andern Frauen auf dem Gehsteig in den Schatten gesetzt. Ihre Geschichten gleichen sich. Bei allen ist der Grund für die Reise nach Ägypten der Spitalaufenthalt eines Familienmitgliedes. Die Spitäler im ärmsten arabischen Land sind auch in Friedenszeiten schlecht ausgestattet, so dass nicht nur reiche Jemeniten medizinische Behandlung im Ausland suchen. Auch bei den weniger Bemittelten – oft legt die ganze Grossfamilie Geld zusammen – fällt die Wahl meist auf ein Krankenhaus in Kairo. Jemeniten in ihren traditionellen Gewändern – allerdings ohne Krummdolch – gehören deshalb in diesem Quartier mitten in Kairo zum alltäglichen Stadtbild.

Seit Ende März, seit die saudisch geführte Koalition im ganzen Land ihre Luftangriffe gegen die Houthi-Rebellen fliegt und Flugplätze und Häfen geschlossen sind (mehr dazu in der Box), sind Tausende Jemeniten irgendwo auf der Welt gestrandet. In Kairo sind es etwa 6000, und jeden Tag werden es mehr, die kein Geld mehr für ihren Lebensunterhalt in der Fremde haben. «Aber trotz des Krieges wollen wir nach Hause. Dort hilft man sich in der Grossfamilie. Hier können wir nicht bleiben», sagt Marwa, eine ältere Frau, die überzeugt ist, dass die Krise im Jemen kompliziert ist und noch lange andauern wird.

«Trotz des Krieges wollen wir nach Hause. Dort hilft man sich in der Grossfamilie. Hier können wir nicht bleiben.»

Zu Hause wartet der Rest der Familie; alle in dieser kleinen Gruppe wissen, dass es unter ihnen noch keine Opfer gegeben hat. Aber vor allem die Kinder seien wegen der Luftangriffe ständig in Angst und Panik, schildert Samia, die ihr Studium zwar abgeschlossen hat, aber auch vor dem Krieg keine Stelle fand. Jemen sei arm, Arbeit gebe es kaum und in der extrem konservativen Gesellschaft für die Frauen, die auch in Kairo ganz schwarz verhüllt sind, schon gar nicht, beschreibt sie ihr Los.

Maysaas Heimatstadt Amran ist im vergangenen Sommer von Houthi-Rebellen eingenommen worden. Aber über Politik wollen die Frauen hier nicht reden, obwohl klar ist, dass es unter den Gestrandeten Anhänger aller Kriegsparteien gibt. Alle hoffen nur eines, dass die Kämpfe bald aufhören.




Erst mühsam für das Spital gespart, kaum sind sie gesund, müssen sie nun auf die Strasse: Jemenitische Frauen in Kairo. (Bild: Astrid Frefel)

Korruptionsvorwürfe an die Angestellten in der Botschaft

Das gilt auch für die Männer vor der Botschaft. Politische Äusserungen lassen sie sich nicht entlocken. Die einen sind aufgebracht und beteiligen sich an der Demonstration, andere sind einfach nur noch apathisch. «Wir sind alle menschliche Wesen. Wir wollen keine Gewalt, also auch keine saudischen Bomben», sagt Mohammed aus der Nähe von Aden. Auch seine vierköpfige Familie hat der ägyptische Wohnungsbesitzer auf die Strasse gestellt, nachdem sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten.

Sein Kollege aus Ibb hält ein handgeschriebenes Plakat, auf dem internationale Organisationen aufgefordert werden, zu helfen. Vereinzelt sollen jemenitische Geschäftsleute Familien ein Obdach bezahlt haben. Wer davon profitiert, ist unklar. «Reiche Jemeniten senden viel Geld an die Botschaft hier, aber das verschwindet zum grössten Teil in den Taschen der korrupten Diplomaten und Angestellten», ereifert sich Nasser aus Taiz.




Die Botschaft ist klar: Die Jemeniten wollen nach Hause. (Bild: Astrid Frefel)

Nächste Station des Protestes ist an diesem Morgen das ägyptische Aussenministerium an der Nilpromenade im Stadtzentrum. Dort soll die Forderung an die ägyptische Regierung, die Rückkehr zu erleichtern, ein weiteres Mal unterstrichen werden. Dutzende Männer zwängen sich für die kurze Fahrt dorthin in ein paar kleine Busse, mindestens drei Mal mehr als erlaubt wären. Sie stehen auch auf dem Trittbrett, schwingen Fahnen aus den Fenstern. «Jemen ein vereintes Land», skandieren sie einen ihrer Slogans. Die ägyptische Polizei ist kaum präsent, lässt die Jemeniten, die energisch, aber friedlich sind, gewähren, und das in einer Zeit, da jeder noch so kleine Protest von Einheimischen von den Sicherheitskräften rigoros aufgelöst wird.

Seit dem 26. März bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition im Jemen die schiitischen Houthi-Rebellen. Diese hatten zusammen mit Loyalisten von Ex-Präsident Ali Abdullah Salah im Januar putschartig die Kontrolle über das Land an sich gerissen und Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi in die Flucht geschlagen. Er ist jetzt im Exil in Riad.

Der Luftkrieg soll die Houthis und ihre Verbündeten militärisch schwächen und Präsident Hadi wieder an die Macht zurückbringen. Allerdings haben die von Iran unterstützten Rebellen trotz sechs Wochen Bombenangriffen nicht entscheidend an Terrain verloren. Bisher gab es über 600 Tote, 2200 Verletzte und 100’000 Menschen mussten fliehen. Flugplätze und Häfen sind geschlossen.

Die UN warnte, dass im ärmsten arabischen Land die Infrastruktur, etwa Wasserversorgung und Telekommunikation, wegen der Benzinknappheit vor dem Zusammenbruch stehe. Spitäler können nicht arbeiten, weil es keinen Brennstoff für die Generatoren gibt. Lebensmittel können nicht in entlegene Gebiete transportiert werden. Hilfsorganisationen sprechen von einer beginnenden humanitären Katastrophe.

Am Dienstag hat Saudi-Arabien erstmals angekündigt, man wolle sich mit den Koalitionspartnern über die Möglichkeit von Feuerpausen konsultieren, um humanitäre Hilfe ins Land zu lassen und die Verteilung zu erleichtern.

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