«Basel muss mehr vom Velo aus denken»

Pro Velo hat am Donnerstag einen neuen Präsidenten gewählt. Mit David Wüest-Rudin präsidiert ein ehemaliger Grossrat den Verband. Im Interview spricht der 43-Jährige über echte Velostädte, warum die Verwaltung sich scheut den Velofahrern mehr Freiheiten zu geben und warum es in Basel ein Umdenken braucht.

(Bild: Nils Fisch)

Pro Velo hat am Donnerstag einen neuen Präsidenten gewählt. Mit David Wüest-Rudin präsidiert ein ehemaliger Grossrat den Verband. Im Interview spricht der 43-Jährige über echte Velostädte, warum die Verwaltung sich scheut den Velofahrern mehr Freiheiten zu geben und warum es in Basel ein Umdenken braucht.

Pro Velo beider Basel hat einen neuen Mann an der Spitze: David Wüest-Rudin. Der 43-Jährige löst Dominik Lehner als Präsident ab. Dass die Basis sich für den Präsidenten der Grünliberalen ausspricht, daran hat der Vorstand des Verbandes nie gezweifelt. Warum, wird im Gespräch mit Wüest-Rudin schnell klar.

Herr Wüest-Rudin, haben Sie mit dem Präsidium von Pro Velo beider Basel die Lücke geschlossen, die Ihre Abwahl aus dem Grossen Rat hinterlassen hat?

Ich war nicht darauf aus, eine Lücke zu schliessen. Mit Job, Familie, dem Amt als Präsident der Grünliberalen Basel-Stadt habe ich ausreichend genug zu tun. Wenn ich noch im Grossen Rat gewesen wäre, hätte ich die Aufgabe wohl abgelehnt – aus Zeitgründen.

Aber als oberster Velolobbyist wäre der Einsitz im Grossen Rat doch ein Vorteil gewesen?

Natürlich ergänzen sich solche Mandate, weil die Einfluss-Möglichkeiten grösser sind. Nicht zuletzt deshalb suchen viele Politiker auch diese Mandate. Aber ich muss sagen: In meiner jetzigen Lebenssituation wäre schlicht keine Zeit für beides gewesen. Wenn ich so einen Posten wie das Präsidium von Pro Velo übernehme, will ich mich da auch einbringen können. Einen Posten des Postens wegen zu übernehmen, ist nicht meine Art. Natürlich hat Pro Velo funktionierende Strukturen, die die Arbeit erleichtern, aber man trägt als Präsident die Verantwortung – und das will ich auch tun.

Sie hatten auch Anfragen für andere, ähnliche Posten. Warum haben Sie sich letztlich für Pro Velo entschieden?

Das Velo fasziniert mich, seit ich fünf Jahre alt bin. Ein Auto hatte ich nie, fahre aber jeden Tag Rad – ob im Sommer, Winter, mit Kindern oder geschäftlich: ich bin immer mit dem Rad unterwegs. Den grössten Veloverband der Region zu präsidieren, in der Öffentlichkeit zu vertreten und auch strategische Entscheide gemeinsam mit dem Vorstand zu treffen, ist eine Aufgabe, die mich gereizt hat.

«Basel hat seinen fortschrittlichen Charakter in Bezug auf Velos verloren.»

An welchen Schrauben der strategischen Ausrichtung möchten Sie denn drehen?

Es wurde bisher gute Arbeit geleistet, da gibt es keinen Grund, vorzugreifen und jetzt irgendwelche Punkte zu nennen. Die Strategie wurde erst kürzlich überarbeitet. Ich werde mir also in einem ersten Schritt einen Überblick verschaffen. Ich sehe meine Aufgabe als Präsident in erster Linie darin, die richtigen Fragen an die operative Führung zu stellen. Einen Bedarf an grossen Änderungen habe ich bisher auch nicht gesehen. Pro Velo hat die Velothemen aufs Parkett gebracht, die in beiden Basel nötig sind.

Dennoch fristet das Velo gerade in der Stadt Basel «auf der Strasse eine prekäre Randexistenz», wie Sie selbst in einem Vorstoss geschrieben haben. Das neue Verkehrskonzept für die Innenstadt sieht gerade mal drei Velorouten vor, sonst bleibt das Herz von Basel nicht nur auto-, sondern auch velofrei.

Ich finde diese Einschränkung auf drei Routen einer Velostadt nicht würdig – vor allem im internationalen Vergleich. Wenn man dänische und holländische Städte betrachtet oder auch Paris, wo ganze Strassen für Velos umgebaut wurden, lässt sich schon sagen, dass Basel seinen fortschrittlichen Charakter in Bezug auf Velos verloren hat.

Warum?

Die Ansprüche sind gewachsen, die Entwicklung aber nicht parallel dazu. Gerade wenn man sich die politischen Ziele in Basel anschaut, mit dem Wunsch, den motorisierten Verkehr um zehn Prozent zu reduzieren, stellt sich die Frage: Wie soll das aufgefangen werden? Nicht alle können auf den ÖV umsteigen. Das Velo wäre ideal, aber wenn man nicht nahe an die Einkaufsläden, Cafés und Arbeitsorte fahren kann, steigt doch niemand um.

Dann ist Basel noch weit entfernt von einer Velostadt?

Die Velostadt ist tatsächlich noch ein ganzes Stück entfernt, wir haben harte Knochenarbeit vor uns. Einerseits geht es um die Einflussnahme auf Signalisationen, Streckenführungen und die Planungen. Andererseits – und das ist die grösste Schwierigkeit – geht es darum, einen mentalen Wandel zu erreichen – in der Politik und vor allem auch bei der Verwaltung. Bisher fehlt dort die konsequente Überzeugung, dass wir eine Velostadt sind oder zumindest werden wollen. Dieser Gedanke müsste umfassend in die Planung, Konzepte, den Unterhalt und die Instandstellung einfliessen. Das Ziel unseres Verbandes ist es, dass noch mehr vom Velo ausgedacht wird.

Wie wollen Sie dieses Umdenken erreichen?

Die grosse Revolution lässt sich nicht einfach so lostreten. Wir versuchen Beispiele von anderen Städten anzubringen, in denen vom Velo aus gedacht wird. Aber so eine Entwicklung geschieht nicht von heute auf morgen. Wir haben nur begrenzte Mittel.

Das grundsätzliche Problem bleibt der Nutzungskonflikt zwischen Fuss- und Veloverkehr. Velofahrer gelten als rücksichtslos…

Viele Fussgänger laufen auch über die Strasse, als ob es keine Velos gebe. Der Punkt ist: Es braucht Rücksicht von beiden. Und es ist halt so, dass – wie in jeder Gruppe – es auch bei den Velofahrern einen kleinen Prozentsatz gibt, der nicht so vernünftig ist wie die grosse Mehrheit. Das Problem ist aber, dass die Verwaltung das Wagnis scheut, den Velofahrern einfach mal Freiheiten zu geben. Sie nehmen den Konflikt lieber vorweg anstatt zu sagen: Hier, fahrt – aber ihr dürft niemanden gefährden.

«Das Problem ist aber, dass die Verwaltung das Wagnis scheut, den Velofahrern einfach mal Freiheiten zu geben.»

Sie würden sich das Prinzip «gesunder Menschenverstand» wünschen?

Genau, es ist doch so, dass 99 Prozent sich korrekt verhalten und dies auch weiterhin tun würden. Wenn jemand am frühen Morgen, wenn noch kein Mensch unterwegs ist, den Spalenberg herunterfährt, ist das doch kein Problem. Aber anstatt die wenigen Unvernünftigen zu büssen, straft man alle ab mit Einschränkungen. Es gäbe kreativere Ansätze, um den Nutzungskonflikt zu umgehen.

Beispielsweise?

Oh, da gibt es einige Ideen. Man könnte etwa zu Stosszeiten – sagen wir an Samstagen – das Velofahren einschränken. Der springende Punkt ist, wie gesagt: Es müsste normal sein, dass Leute mit dem Velo fahren. Wir müssten vom Velo als Normalfall ausgehen. Im Teilrichtplan Velo wollte man an den Innenstadt-Rändern grosse, geschützte Abstellmöglichkeiten anbieten. Aber wer mit dem Velo unterwegs ist, braucht nahe Parkplätze – also lieber mehr kleine als zu grosse Anlagen. Dieses Vom-Velo-aus-Denken müsste das Ziel sein, aber dieses mentale Umdenken können auch wir als Lobby-Vertreter – wie gesagt – nicht erzwingen. Es muss wachsen.

Der Pro-Velo-Vorstand hat Sie kaum zufällig ausgewählt: Als ehemaliger Grossrat kennen Sie ja den Politbetrieb gut genug, um in Zukunft vermehrt an den richtigen Stellen Einfluss zu nehmen und bessere Bedingungen zu schaffen.

Meine Erfahrungen aus dem Grossen Rat und mein Netzwerk sind ein Vorteil. Als undogmatischer Mittepolitiker habe ich gute Kontakte ins bürgerliche Lager und kann da auch einfacher das Gespräch suchen mit Politikern, die in Auto- oder Gewerbeverbänden sind. Und ich weiss auch, was politisch aktuell zur Debatte steht, welche Vorstösse es gibt. Das hilft natürlich – und das will ich auch nutzen.

Mit dem grossen Ziel, die Innenstadt für den Veloverkehr zu öffnen?

Das Velo kann nun mal überall hin- und durchfahren, das sollte man entsprechend auch nutzen. Mein grosser Wunsch ist deshalb tatsächlich, dass Velos uneingeschränkt in der Stadt unterwegs sein dürften und die Polizei nur bei Gefährdungen eingreift. Natürlich ist nicht einfach zu entscheiden, was gefährdendes Verhalten ist. Ich behaupte aber, wenn man die Innenstadt freigeben würde für Velofahrer, würde sich kaum etwas ändern. Die Rowdys fahren sowieso – auch wenn es verboten ist.

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