Basels Bausünden

«Rheinhattan» ist das neuste Grossprojekt der Stadtplaner. Fachleute sprechen von Fehlplanung und Grössenwahn.

«Rheinhattan» ist das neuste Grossprojekt der Stadtplaner. Fachleute sprechen von Fehlplanung und Grössenwahn.

Wer sündigt, geht in die Kirche. Wer eine Bausünde begeht, plant die nächste. Basels Stadtplaner haben, was Letzteres ­anbelangt, einiges auf dem Kerbholz. Hinter jedem Platz und jeder Kreuzung in der Stadt, die einem als ­Benutzer das Gefühl geben, dass da etwas bei der ­Planung gründlich schiefgegangen sein muss, steckt eine Geschichte. Nicht selten handelt sie von mutigen Ideen. Mitunter sogar von «Visio­nen», die sich ­Jahre oder Jahrzehnte nach der Verwirklichung als Hirngespinst entpuppen.

Heute ist in Basel wieder die Zeit reif für eine ­Vi­sion. Leidenschaftlich Lego gespielt wird dieses Mal in Kleinhüningen. «3Land-Projekt» heisst die grosse Kiste: Im Hafengebiet soll ein neues grenzüberschreitendes Stadt­quartier mit einer von Hochhäusern übersäten Klybeck­insel in der Mitte («Rheinhattan») und Satellitensiedlungen in Huningue und Weil am Rhein gebaut werden. Ein Projekt, das gemeinhin als grosser Wurf gesehen wird.

Basels letzter grosser Wurf vor «Rheinhattan» lässt sich in seiner Reinform auf Youtube bestaunen. «Der Gesamtplan» heisst das Werk von 1972, und es verrät nicht nur viel darüber, wie man sich als Stadtplaner das Gespräch mit der Bevölkerung vorstellt (von oben herab), es vermittelt vor allem auch: Wie man sich irren kann.

Eine Stadt wird umgepflügt

Der Streifen gibt eine Auf- und Abbruchstimmung wieder, wie man sie aus den propagandaschwangeren Filmen des revolutionären Russland kennt. Ein Altbau wird vom Bagger geschleift, hinten taucht ein neues Hochhaus im Breite-Quartier auf. Basel sollte umgebaut werden für eine Bevölkerung, die ein Vielfaches über jener lag, die die Stadt damals hatte. Die Planer wollten einen Autobahnring um die Stadt ziehen mit dicken Adern, welche in die Innenstadt führen. Die Tramlinien sollten in den Untergrund. Oben brauchte es Platz fürs Auto, dem alles untergeordnet wurde.

«Wir wollen Basel neu bauen!», heisst es im Film. Dieser Gesamtplan galt damals in der Schweiz als wegweisend. Über die Folgen dieser Ambitionen wird noch die Rede sein. So viel vorweg: Carl Fingerhuth, Basels Kantonsbaumeister von 1979 bis 1992, der den Plan in die Tat umsetzte, sagt heute: «Es ist unmöglich, eine Stadt 20 oder 30 Jahre im Voraus zu planen. Was man jetzt andenkt, bildet nur die heu­tigen Bedürfnisse und Energien ab.»

Der heutige Baudirektor, Hans-Peter Wessels, ist der Ansicht, dass die Stadt grosse Würfe braucht. «Es hat in jeder Stadt Phasen gegeben, in­ denen neue Quartiere zügig entstanden sind», sagt er. Seit zwei Jahren tüfteln seine Mitarbeiter an einem Plan, Basel an bester Lage am Rhein neu zu erfinden. Entstehen sollen mit dem «3Land-Projekt» Wohnungen für 10 000 Personen und ebensoviele Arbeitsplätze.

Kommende Woche rückt die grosse Vision der ­rot-grünen Regierung ein klein bisschen näher: Dann unterschreiben Basel-Stadt, Huningue und Weil am Rhein einen Masterplan, der das weitere Vorgehen für das «3Land-Projekt» bestimmt. Doch Widerstand ist programmiert. Grüne Kreise fordern statt «Rheinhattan» ein «Greenhattan». Ihre Idee: Der Hafen soll zu einem genossenschaftlichen Ökoquartier werden.

Überhaupt ist die Skepsis in den Quartieren Klybeck und Kleinhüningen gross. Von Grössenwahn ist die Rede, von Verdrängung. Das Vorhaben des Kantons, künftig 20 Anwohner bei «Rheinhattan» mitwirken zu lassen, vermag die Gemüter auch nicht zu beruhigen. Festgesetzt in den Köpfen haben sich die Betonvisionen der Stadtplaner.

«Rheinhattan» – wirklich nur eine erste Idee?

Wessels kann die Vorbehalte nicht nachvollziehen: «Das ‹3Land-Projekt› ist eine riesige Chance für ­Basel, die wir unbedingt nutzen müssen. Wir sind auf zusätzlichen Wohnraum angewiesen, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass auf der Klybeckinsel ein tolles Quartier entstehen kann.» Zudem ziele die ­Kritik für ihn ins Leere, weil kein bestehender Wohnraum vernichtet würde.

Ganz spurlos scheint der Widerstand aber doch nicht an ihm vorbeigegangen zu sein. Nachdem der Sozialdemokrat bei der Vorstellung der Pläne im Jahr 2010 noch euphorisch davon geschwärmt hatte, ist nun ­offensichtlich die Zeit gekommen, einen Gang runterzufahren – und zu relativieren. «Das Vorhaben steht und fällt mit der Hafenentwicklung. Es ist noch gar nicht klar, ob dort eine städtebauliche Ent­wicklung möglich ist. Denn unser erstes Ziel ist ein zukunftsfähiger Hafen – dafür braucht es ein ­Hafenbecken 3.»

Falls tatsächlich auf der Klybeckinsel gebaut würde, dann sei das gezeigte Projekt nur ein Ansatz, eine erste Idee. Man könne «mit Sicherheit» davon aus­gehen, dass das neue Quartier nicht 1 zu 1 so umgesetzt würde. Und: «Mir ist wichtig, dass am Hafen keine Betonwüste entsteht, wir dort attraktiven Grünraum schaffen und eine gute soziale Durch­mischung haben.»

«Bruch der Traditionen»

Für Roland Zaugg ist es mehr als fraglich, ob Wessels Wunsch in Erfüllung geht. «Die Chance, dass ‹Rheinhattan› gelingt, ist sehr gering», sagt Zaugg, der von 1985 bis 2005 selber in der Basler Verwaltung Stadtplaner war und heute an der Universität Basel lehrt. Er sieht zwei Gründe, weshalb sich «Rhein­hattan» in die Liste der verfehlten Basler Grossplanungen einreihen wird.

Zunächst einen historischen, der deshalb aufschlussreich ist, weil er viel über die Stadt sagt und ihre eigentümliche Vorstellung von Entwicklung. «Rheinhattan» passe nicht zur Basler Bauphilosophie, sagt Zaugg. Es stelle einen Bruch mit den Tradi­tionen dar. Basel habe sich seit der Kantonstrennung 1833 auf sein Zentrum konzentriert.

Während sich die Macht in Städten wie Genf oder ­Zürich aufgeteilt hat zwischen den adelsartigen ­Herrschaftsstrukturen und neuen bürgerlichen, blieb sie in Basel unangetastet. Die Städte Zürich und Genf ­haben einen Grossteil ­ihrer baulichen Entwicklung in den neuen bürger­lichen Stadtteilen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vollzogen – in Zürich etwa im Gebiet der Bahnhofstrasse oder an weiten Teilen des Seeufers. Als in den 1970er-Jahren der Ruf nach einer ­«Autostadt» laut wurde, ging der Urbanisierungsprozess dort in den Neustädten los. In Basel dagegen fand ­alles auf dem engen Raum der Kernstadt statt.

Begonnen hatte die Entwicklung, noch vor der grossen ­Autowelle, in den Anfängen der Motori­sie­rung, als die teilweise verwirklichte Talentlastungsstrasse in den 1930er-Jahren grobe Schneisen in die Altstadt schlug. Die Folgen sind heute noch deutlich zu sehen: Der Blumenrain, der am Hotel Trois Rois vorbei zum Spital führt, ist eine breite Piste und für Fussgänger nur schwer zu überwinden. Auch der Fischmarkt wurde in dieser Zeit verunstaltet – mit der Garage Storchen als Tiefpunkt. «Das ist eine ­absolute Katastrophe», sagt Zaugg. «Am wichtigsten Ort der Stadt eine Tiefgarage zu bauen, das ist aus heutiger Sicht unbegreiflich.»

In den Siebzigern folgten weitere einschneidende Planungen, die heute als missglückt bewertet werden. Der Cityring in erster Linie – eine breite Ver­kehrs­achse, die ein einst als Erholungsraum funk­tio­nie­rendes Gebiet nachhaltig schädigte. Der Cityring ist eine Sperre, totes Gebiet. Er trennt die Innenstadt von den umliegenden Quartieren. Noch schlimmer für Basel ist in Zauggs Augen die Autobahn-Osttangente, die 1980 fertiggestellt wurde und seither die Stadt entzweiteilt. Nun soll sie für ein bis zwei Milliarden Franken unter dem Boden verschwinden.

Riehen existiert beim Planen nicht

Aber nicht nur die grossen Verkehrsprojekte stehen sinnbildlich für das enge Basler Denken. Schon ­Riehen findet in der Wahrnehmung der Planer kaum statt. In keiner anderen Schweizer Stadt spielt sich das ganze Leben auf einem so kleinen Raum ab. Weil ein kantonales Regulativ fehlt, eine Gegenmacht zum Zentrum, baute Basel sämtliche kulturellen und politischen Institutionen mitten in die Stadt. Das Schauspielhaus sollte 1997 nach den Wünschen der Financiers dort gebaut werden, wo der Tin­guely-Brunnen steht. Der heutige Standort am Klosterberg ist immer noch zentral.

Zürich eröffnete sein neues Theater, den Schiffbau, mitten im Entwicklungsgebiet Zürich West. Oder das Kunstmuseum: Das Volk wollte es 1913 und 1916 in zwei Abstimmungen an den Schützenmattpark setzen, der Daig wollte es auf dem Münsterplatz haben. Der Kompromiss ist der heutige Standort am St. Alban-Graben – wofür einer der schönsten Hofgärten Europas weichen musste.

Für Zaugg typisch ist auch der gescheiterte Neubau des Stadtcasinos. «Jede andere Stadt hätte es an einem Ort ausserhalb des Zentrums versucht, am Bahnhof etwa, dann hätte das Volk auch Ja gesagt.» Doch in Basel muss alles mitten rein. Auch ein totaler Bruch mit Basels Stadtverständnis ist dem übergrossen Einfluss des Daig in Basel geschuldet: der Wettsteinplatz. Weil sich das Grossbürgertum und seine poli­tischen Vertreter gegen den Bau der abfallenden Wettsteinbrücke sträubten, wurden grosse euro­päische Architekten beigezogen. Diese empfahlen als Abschluss einen Sternplatz, wie man ihn aus Brüssel oder Berlin kennt. Vorgesehen war ursprünglich eine Lösung ähnlich dem Erasmusplatz an der Johan­niterbrücke. Funktionell, aber unauffällig. Der Wettsteinplatz ist das Gegenteil: grossstädtisch unbescheiden, dafür unbrauchbar.

Die Basler eifern den Zürchern nach

Zaugg vermisst das historische Verständnis in der heutigen Planung. Hätten die Stadtentwickler das, dann wüssten sie, dass sich die Baslerinnen und Basler schwer damit tun, bedeutsame Institutionen an die Ränder zu verschieben. Und das sei für das ­Gelingen von «Rheinhattan» zentral. «Manhattan hat seine Bedeutung ja nicht wegen der Hochhäuser. Sondern wegen der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Macht, die sich dort konzentriert», sagt Zaugg.

Um das in Basel zu erreichen, müssten am Anfang der Planung anstelle eines Architekturwett­bewerbs lange und gründliche Überlegungen stehen, wie man ein Gemeindewesen ins Hafenareal bringt. Die Frage darf nicht sein: Wie viele Gutverdiener bringen wir dort unter? Sondern: Was können wir dorthin ausgliedern? Geht ein Teil der Uni dorthin? Eine wichtige Behörde? Ein wichtiges Museum? Und auch: Wie vermittelt man dies den Bürgerinnen und Bürgern?

Basel aber hat Angst, den Anschluss an Städte wie Zürich zu verpassen. Also eifert es der Mode nach. Mit übersetzter Geschwindigkeit. Und das ist für Zaugg der zweite Geburtsfehler von «Rheinhattan»: Basel beschleunigt eine Entwicklung, die viel Zeit benötigen würde. «Die Stadt muss bescheidener vorgehen. Sie muss viele verschiedene Ideen entwickeln und damit langsam eine Diskussion in Gang bringen. Erst zum Schluss der Debatte muss sie mit einer konkreten Vorstellung an die Architekten herantreten.»

Die Stadtbehörden sollten auch nicht bloss einen Wettbewerb veranstalten, sondern das Gebiet auf­teilen. «Zehn Wettbewerbe wären gut», sagt Zaugg. «Wenn ein einziges Büro alles plant, entsteht ein Disneyland.» Im Fall von «Rheinhattan» ist das holländische Architekturbüro MVRDV für die ganze Testplanung beauftragt worden. Zaugg hat keine gute Meinung vom Ergebnis. Er erkennt noch immer das «Studentenprojekt», das diese Idee auslöste.
Doch das schnelle Festlegen auf ein Modell hat aus Sicht der Regierung Vorteile. Steht ein Projekt erstmals, wird es schwer, auf Grundsätzliches zurück­zukommen. So ist auch schon klar: «Rheinhattan» ist ein Schulbeispiel für Top-down-Planung in der Stadtentwicklung.

«Man plant an der Bevölkerung vorbei»

Dass es auch anders geht, wenn es denn willkommen wäre, zeigt die Geschichte des «Central Park». Der Landschaftsarchitekt Donald Jacob glaubte in seiner Naivität, als normaler Bürger bei der Verwaltung etwas bewegen zu können. Es dauerte nicht lange, bis er hart auf dem Boden der Realität landete.

Seit sieben Jahren kämpft er hartnäckig für seinen Plan, über dem Gleisfeld des Bahnhofs SBB neben der Passerelle einen Park zu realisieren und das Gundeli, Basels bisher einziges Retortenquartier, wieder an die Stadt anzuschliessen. Doch der Kanton zeigt sich stur und will nichts vom breit abgestützten Projekt wissen. Volksinitia­tive hin oder her. «Ich bin manchmal sprachlos, wie eine Instanz jahrelang etwas verhindern kann, ohne das Projekt einmal seriös angeschaut zu haben», sagt Jacob.

Ernst nehmen will man einen «No Name» offensichtlich nicht. Wäre das Projekt von ­Herzog & de Meuron, sagen Kritiker, wäre es mit gros­ser Wahrscheinlichkeit schon weit fortgeschritten. «Die Stadt sollte sich verpflichtet fühlen, die Idee ernsthaft zu prüfen und nicht mit rhetorischen Argumenten zu ­töten», meint Jacob.

Frustrierend ist die Situation für den Initianten des «Central Park» umso mehr, wenn er sein Projekt mit «Rheinhattan» vergleicht. Diese zweijährige ­Vision sei «gepusht und finanziert» worden, obwohl das Bedürfnis danach unklar sei. Auf­geben will Jacob den «Central Park» noch nicht, obwohl ihn der Kampf gegen Regierung und Verwaltung ermüdet hat und man ihn als Spinner bezeichnet. «Ich habe einige Fragen bezüglich der Basler Stadtenwicklung – es werden falsche Akzente gesetzt. Ich wünsche mir, dass man mehr darauf schaut, was die Bevölkerung will. Man plant teilweise an ihr vorbei.»

Die Liste der Bausünden ist lang

Vielleicht ist es auch ein Zeichen von Überheblichkeit, dass Basel unbedingt den grossen Wurf will, statt im Kleinen zu verbessern. Die Liste der Bausünden, die angegangen werden müsste, ist lang: Der Aeschenplatz mit seiner gefährlichen Unübersichtlichkeit muss entschärft werden. Verlangt wird das schon lange. Nun wagt man wieder einen Versuch.

Oder der chaotische Centralbahnplatz, der überdies dank der Planung aus der Autozeit für Fussgänger von der Innenstadt abgetrennt ist. Für die TagesWoche-Community ist der Bahnhofsvorplatz neben dem Messeneu­bau das meistgenannte Ärgernis. Oder: der Marktplatz, wenn gerade kein Markt ist, eine tote Zone. Oder: die gesichtslose St. Jakobs-Strasse Richtung Muttenz. Aber für die Übergänge zu den Landgemeinden hat man sich in Basel noch nie interessiert.

Stattdessen begeht Basel bereits die nächsten ­Sünden. Den Messeneubau sowie den Roche-Turm, ­beides Projekte von Herzog & de Meuron. «Zwei Kata­strophen für das Stadtbild», sagt alt Kantonsbaumeister Fingerhuth. Sie stehen wie «Rhein­hattan» für das neue Selbstbewusstsein in Basel – das man bei näherer Betrachtung auch für etwas anderes halten kann: für Grössenwahn.

 

Die Wochendebatte zum Thema: Braucht Basel Rheinhatten? Hier können Sie mitdiskutieren und abstimmen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12

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