Die Pharma- und Chemie Industrie richtet ihren Fokus auf die wachsenden Märkte in Amerika und Asien. Was in der Region davon zurückbleibt, zeigt ein verlassenes Stück Land, das sich vom Novartis Campus bis nach Hüningen erstreckt. Wir unternahmen einen Spaziergang durch die Trostlosigkeit.
Einen Stellenabbau begründen Pharma- und Chemieunternehmen gerne mit Restrukturierungen. Die Ankündigungen über den Abbau von Stellen kommen meist schön verpackt mit leuchtenden Zukunftsplänen: mehr Forschung, mehr Entwicklung, mehr Innovation, mehr Rendite.
Leuchten tut es dann meistens irgendwo anders. Bei BASF zum Beispiel in China und Korea. Im Oktober hatte der international tätige Chemiekonzern mehr Innovation bei der Produktion von Pigmenten angekündigt. Für das französische Werk in Hüningen bedeutet das den Abbau von 140 der 242 Stellen.
«BASF tötet 140 Familien»
In Hüningen hat es sich ausgeleuchtet. Die betroffenen französischen Arbeitnehmer wussten sich kurzzeitig gegen die Dunkelheit zu helfen: Sie zündeten am 15. Januar während eines Streiks vor ihrem Werk Autoreifen an. Die Reifen brannten einen Tag lang, die schwarze Wolke war auch von Basel aus deutlich zu sehen. So brachten sie die BASF dazu, in die Verhandlungen über einen besseren Sozialplan einzusteigen.
Die Arbeitnehmer waren auch sonst nicht zimperlich, als es darum ging, auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. «BASF tötet 140 Familien», steht in Französisch und Deutsch auf weissen Transparenten am Fabrikgebäude – in Anlehnung daran, dass hinter jeder Entlassung eine leidende Familie steckt. Neben den Transparenten baumelt ein lebloser Körper im Wind. Er hängt am Strick. Es ist eine Puppe.
Der Gestank brennender Autoreifen ist schon längst abgezogen
Es war dies zu sehen auf den Fotos, welche mir TagesWoche Fotograf Hans-Jörg Walter vom BASF-Areal zeigte. Als er zur Arbeit fuhr, machte er den Umweg über die Grenze, um die Überbleibsel der vergangenen Proteste zu fotografieren. Ich sollte den Artikel darüber schreiben. Doch wir waren zu spät. Im Werk wurde die Arbeit wieder aufgenommen – der Gestank brennender Reifen war schon längst abgezogen. Irgendwie verpasste auch das restliche Basel die Geschehnisse. Vielleicht deshalb, weil unter den Betroffenen keine Schweizer sind.
Nicht zu spät ist es aber, über einen Besuch des Landes zwischen dem St. Johann und dem französischen Hüningen zu berichten, worauf sich auch das französische Werk der BASF befindet. Über ein Stück Land, das die meisten Basler kaum wahrnehmen, obwohl es so nahe liegt und die Aufmerksamkeit hässlichster Gräueltaten verdienen würde. Über ein Stück Land, dessen Erde mit Insektiziden verseucht ist. Über ein Stück Land, das zeigt, wie sich Restrukturierung und Innovation auf das Bisherige auswirken. Über ein Stück Land, das überrascht. Mit seiner Trostlosigkeit.
Die Impressionen einer kurzen Auslandsreise
Das Areal beginnt mit dem Zollhäuschen an der Rue de l’Industrie unweit von der Tramhaltestelle St. Louis. Zur Rechten zeigt sich diejenige Seite des Novartis Campus, die auf keiner Werbebroschüre zu sehen ist. Weisse Tanks und dampfende Kamine verstecken sich hinter Hochhäusern. Es ist wie bei einer Westernkulisse: vorne hübsch für die Kamera, hinten zweckmässig und hässlich. Über die Schultern zieht ein fauliger Geruch. Es ist der Dampf, der unweit von hier den Kaminen der Würstchenfabrik Bell entweicht.
Die Grenze zu Frankreich ist nur spärlich bewacht. Zwei Schweizer Grenzwächter zeigen kurz vor Mittag fünf Minuten Präsenz, danach ziehen sie weiter. Der Wind ist ungünstig, wahrscheinlich hatten auch sie mit dem Geruch zu kämpfen.
Das Areal dahinter ist dafür umso besser bewacht. Das einzig öffentliche an dem Gebiet ist die Rue de l’Industrie. Alles was an sie grenzt, ist eingezäunt. Überwachungskameras bekommen mit, was sich den Zäunen nähert.
Der Charme einer Wasserleiche
Rechts stand einmal eine Fabrikhalle, deren Trümmer nun ein Bagger in Lastwagen verlädt. Nach 200 Metern folgt auf der gegenüberliegenden Seite die Sportanlage für Novartis-Angestellte. Männer allen Alters spielen während der Mittagspause Fussball auf einem modernen Kunstrasenfeld. Sie rufen sich in einem Mix aus Englisch und Hochdeutsch zu. Die grauhaarigen unter ihnen sprechen Baseldytsch.
Was danach kommt hat den Charme einer frisch gefischten Wasserleiche. Grau, feucht, kalt und tot. Der Verputz löst sich von den Fabrikwänden, wie durchweichte Haut toten Fingern. Auf den Dächern der Fabriken winden sich unzählige Leitungen. Manchmal zischt es aus den Ventilen. Die Strasse säumt vergilbtes Unkraut, das die Betonfundamte der Sicherheitszäune befällt. Kaum jemand zeigt sich auf der Strasse. Die Trostlosigkeit gewinnt die Oberhand. Ein bedrückendes Gefühl schleicht sich ein.
Trau der Luft nicht!
Zwischen den Gebäuden wuchert auf Geröllfeldern noch mehr Unkraut. Die Felder verschaffen zwar ein wenig Luft, aber die will man gar nicht so recht geniessen, wenn es wieder aus den Ventilen zischt.
Die Arbeiter trauen der Luft anscheinend auch nicht und filtern sie durch Zigaretten. Sie müssen die Firmenareale durch Sicherheitsschleusen verlassen, um zu rauchen. Auf der anderen Seite der Zäune herrscht ein striktes Rauchverbot – rostige Leitungen sind davon ausgenommen.
Ich trete zu einem der Raucher hin und frage ihn, ob das BASF-Gebäude mit den Transparenten noch weit sei. Ein Handschwenk nach links und ein kaum verständliches «la-bàs» reichen als Antwort. Er geht durch die Schleuse.
Ein gelungenes Stilleben
Und dann kommt es, das BASF-Gebäude, welches ich zuvor auf den Fotos sah. Es ist das heruntergekommendste von allen. Und so vermag nicht einmal mehr die baumelnde Puppe zu schockieren. Mit der Tristesse von Verderben und Tod hat man sich schon vorher angefreundet. Vielleicht schenkte den Protesten darum kaum jemand Aufmerksamkeit. Tote Familien und aufgehängte Arbeiter machen das Memento Mori erst stimmig.
Im BASF-Areal eingezäunt ist auch ein altes und verlassenes Haus. Es sah bestimmt einmal eindrücklich aus, mit dem grossen Garten, den alten Bäumen und dem nun mit Laub gefüllten Teich. Aber der Sicherheitszaun rundherum bedeutet: auch dieses Haus ist zum vermodern verdammt. Die Wasserleiche kommt mir in den Sinn und ich kehre um. Beim Überqueren des Zolls heisst mich der faulige Fleischduft willkommen zurück in die Schweiz. Doch er stört nicht mehr, denn dahinter wartet das gelbe 11er Tram. Farbe, Wärme und Leben – ahoi!