Bei unseren Nachbarn, den Frontisten

Nur wenige Autominuten hinter der Schweizer Grenze rückt die politische Landschaft scharf nach rechts. Ein Besuch in Werentzhouse, der Elsässer Hochburg von Marine Le Pens Front National.

Frontenkampf im Elsass – ja, im ganzen Land: Am 7. Mai heisst es Marie Le Pen, Front National, gegen Emmanuel Macron, En Marche.

(Bild: Gabriel Brönnimann)

Nur wenige Autominuten hinter der Schweizer Grenze rückt die politische Landschaft scharf nach rechts. Ein Besuch in Werentzhouse, der Elsässer Hochburg von Marine Le Pens Front National.

Sundgau – Pays de la carpe frite. Steht so geschrieben unter vielen Wegweisern in diesem lieblich gewellten Landstrich, der dort anfängt, wo Basel aufhört. Häuser aus altem Fachwerk treiben im tiefgrünen Wellenmeer, und wo immer mehr als drei zusammengefunden haben, steht auch eine Ortstafel davor.

Sundgau – Land des frittierten Karpfens. Dabei könnte es genauso gut heissen: Sundgau – Land von Marine Le Pen. In vielen Gemeinden rund um das Städtchen Altkirch liegt die rechtsextreme Frontfrau nach der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen vorne. Die Region wählt seit Jahren und Jahrzehnten stramm rechts, für gewöhnlich konservativ, nun aber revolutionär: Marine.



Das einzige verbliebene Restaurant, das Burahus, bietet viel Fleisch – und natürlich frittierten Karpfen.

Das einzige verbliebene Restaurant, das Burahus, bietet viel Fleisch – und natürlich frittierten Karpfen. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Die Suche im Sundgau nach jenen Menschen, die Madame Le Pen zärtlich beim Vornamen rufen, nach der Erklärung für den Erfolg des Front National, führt zum Besuch in 68363 Werentzhouse, wo über 48 Prozent am vergangenen Wochenende für Le Pen gestimmt haben. Das sind über 20 Prozent mehr Stimmen, als Le Pen hier in der ersten Runde im Jahr 2012 gemacht hat.

...handelt es sich um das Musée d'Amoureux, das vielleicht kleinste Museum Frankreichs. Es geht, unschwer zu sehen, um die Liebe.

Le Pen will Frankreich abschotten, aber die meisten Leute hier profitieren von der offenen Grenze. Sie arbeiten in der Schweiz für gutes Geld. Wie geht das zusammen, Herr Gutzwiller?

«Den Leuten gefällt nicht, was sie in den Städten sehen, in Mulhouse oder Basel, die multikulturelle Gesellschaft, die Symbole des Islams auf den Strassen. Sie sehen, dass die Regeln nicht eingehalten werden, das gefällt ihnen nicht. Aber letztlich bleibt es auch für mich rätselhaft.»

Aber sie profitieren vom System, das sie über den Haufen werfen wollen.

«Es gibt hier viele Frontaliers, Grenzgänger. Klar verdienen sie mehr als ihre Nachbarn, die in Frankreich arbeiten. Aber sie arbeiten auch mehr dafür, 42 Stunden statt 35. Unlängst hat der Staat die Abgaben der Grenzgänger erhöht, das hat die Leute wütend gemacht. Sie glauben, mit ihrem Fleiss die Sozialhilfeempfänger im ganzen Land durchzubringen.»

Also ist es ein Protestvotum?

«Ja, klar. Viele Einwohner sind enttäuscht von den grossen Parteien. Der Vertrauensverlust in die Politik, in die Institutionen des Staates ist gewaltig. Und das wird sich nach der Wahl vermutlich auch nicht ändern. Aufgrund der Bipolarität des französischen Systems werden jene Bürger, die auf der Seite des Verlierers stehen, nach der Wahl nicht repräsentiert werden.»

Haben die Sundgauer das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden?

«Was hier in den letzten Jahren passiert ist, hat für viel Verdruss gesorgt. Als das Elsass mit den Regionen Lorraine und Champagne-Ardenne zusammengeschlossen wurde, gingen die Leute auf die Strasse. Die Menschen wollten das nicht, aber man hat nicht auf sie gehört. Deshalb haben auch sezessionistische Regionalparteien grossen Zulauf. Als Nächstes sollen Dutzende Gemeinden fusioniert werden im Sundgau, das wird den Eindruck noch bestärken, dass die Politik immer für die anderen da ist.»

Die Mühle von Werentzhouse.

Und vielleicht gibt es dann doch einen gemeinsamen Nenner, der banal klingt, aber von Werentzhouse bis Calais Gültigkeit hat: Das Bedürfnis, von den Politikern gehört, also ernst genommen zu werden, ob man nun ums nackte Überleben, seine Existenz kämpft – oder einen Anschluss ans Glasfasernetz.



Am Dorfeingang von Werentzhouse.

Am Dorfeingang von Werentzhouse. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Auf der Heimfahrt durch die bukolische Landschaft unter düsterem Himmel bleiben Fragen. Der Karpfen, selbst ohne Feinde, frisst kleinste Lebewesen, bis er gross und stark wird. Erklärt der Politikverdruss aufgrund mangelnder Mitbestimmung die Stimmen für eine Partei mit Hass- und Ausschluss-Rezepten?  

Ein Satz des Bürgermeisters liess daran starke Zweifel aufkommen. «Bei Ihnen in der Schweiz ist die extreme Rechte ausserhalb der Städte seit den Neunzigerjahren ja auch teilweise sehr stark», sagte er einmal in der Hitze des Gesprächs. Das hat gesessen. Die Besucher aus dem Land der maximalen Mitbestimmung werden kurz stumm, wie Karpfen.



...sind in diesem Dorf...

Dorf-Idylle. (Bild: Gabriel Brönnimann)

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