Berlinale im internationalen Festival-Gerangel

Auf lange Sicht steht und fällt die Kultur der Festivals mit der Kultur der Filmindustrie. Die trifft sich in Berlin immer noch am liebsten – auch wenn die Berlinale nicht mit Weltpremieren glänzen kann.

Schauspieler Hugh Jackman stellt an der 63. Berlinale den Film «Les Misérables» vor. (Bild: Joel Ryan/AP)

Auf lange Sicht steht und fällt die Kultur der Festivals mit der Kultur der Filmindustrie. Die trifft sich in Berlin immer noch am liebsten – auch wenn die Berlinale nicht mit Weltpremieren glänzen kann.

Die Auguren der Berlinale Festival-Gemeinde sind verschnupft. Viele Filme, so die Unkenrufe, seien gar keine Weltpremieren. Die Crème de la Crème der Presse ist etwas säuerlich. Dem Fussvolk, das sich durch das Schneegestöber in das unwirtliche Neubaugebiet um den Postdamer Platz kämpft, um dort Stunden in Warteschlangen zu verbringen, ist das wurscht: Die sehen einen Film ohnehin zum ersten Mal, egal, ob jemand anders auf der Welt ihn schon einmal durch Betrachtung entweiht hat.

In der Tat läuft der Eröffnungsfilm der Berlinale von Wong Kar Wai «The Grandmaster» schon seit Wochen als «YI DAI ZONG SHI» in China. Auch Steven Soderberghs «Side Effects» (Première in Berlin am 12.2.) ist in den USA schon angelaufen. Selbst der Schweizer Beitrag im Panorama «Paul Bowles, the Cagedoor is always open», der am Sonntag den 10. seine Berliner Première feiert, hat das Ius Primae Noctis schon bei einem Seitensprung an Soloturn verwirkt.

Oft wissen nicht einmal die Filmproduktionen genau, wann den nun so ein Werk vollendet ist. Am längsten zierte sich Richard Linklater mit «Before Midnight», die Jungernschaft zu verlieren. Erst bestritten Julie Delphy und Ethan Hawke jahrelang, dass es überhaupt zu einer  Fortsetzung der «Before..»-Trilogie kommen werde. Dann wurde inder Gerüchteküche herumgeboten, der Film werde heimlich, möglicherweise mitten unter uns eingespielt. Bis er schliesslich plötzlich da war, und auch schon – vor der Fertigstellung? – am Festival in Toronto verkauft wurde, bevor er in Sundance gezeigt wurde. Lange vor Berlin. Ätsch!

Zuschauerzahlen sinken

Die internationalen Festivals sind längst Teil der Marketingstrategien für die Filmproduktionen geworden. Die Berlinale liegt da schon jahreszeitlich ungünstig, weil sich anfangs Februar schlecht auf die internationale Prämierungssaison ausrichten lässt –  kurz nach der Berlinale werden die Oscars verliehen. Verkommt deshalb Berlin zu einem Reprisenfestival, während Cannes in Europa unbestritten das Fenster zur Welt offen hält?

Die Berlinale ist Teil eines Festival-Gerangels, das von einem lebendigen Marktgeschehen geprägt wird. Im Filmgeschäft werden Sensationen verkauft, und erst inzweiter Linie Kunstwerke. Bei einem Film entscheiden oft die Verkaufszahlen am ersten Wochenende über Gedeih oder Verderb – und seine Einstufung. Aber eben: die Verkaufszahlen sind rückläufig, das sagen uns die eben in Strassburg veröffentlichten Zahlen. Insgesamt gingen die europäischen Kinobesucherzahlen um 0,9 % zurück. Die Zuschauerzahlen der vier führenden EU-Filmnationen (Frankreich, Vereinigtes Königreich, Deutschland und Italien) sanken 2012 um 2, 8%. Den deutlichsten Rückgang des Bruttoeinspielergebnisses meldeten Slowenien (-8,3 %), Italien (-8 %), Portugal (-7,6 %), Spanien (-6,5 %) und Zypern (-5,7 %). Wer die Arbeitslosenzahlen kennt, wird das nicht überraschend finden. China meldete übrigens einen Anstieg um 33 %, und avancierte damit zum zweitgrößten Kinomarkt nach den USA.

Schweizer Film läuft ausser Konkurrenz

Auf lange Sicht steht und fällt die Kultur der Festivals mit der Kultur der Filmindustrie. Die trifft sich in Berlin immer noch am liebsten. Immerhin ist hier die Filmbörse Europa am lebendigsten sichtbar. Da kann es schon sein, dass man in einem Festival-Shuttle-Bus auch solche Handy-Halb-Dialoge mithören muss: «Also ich hab jetz noch keinen echten Bringer gesehen … ja, das ist aber voll der Thriller, ich hab zu Bernd gesagt, ich biete 600 000, aber da winkt der bloss ab. Was ja nicht heissen muss, dass er nicht morgen auch nur mit 300 000 zufrieden ist.»

Der Schweizer Beitrag im Wettbewerb muss sich nicht beweisen: Er läuft am 13. Februar, seltsamerweise ausser Konkurrenz. Böse Zungen behaupten, weil er nicht gut genug sei. Konzeptionell denkende Menschen vermuten, dass er den Berlinern nicht in den Kram passte. Insider haben schon beim Buch «Nachtzug nach Lissabon» bemerkt, dass es über eine Reise nach Innen berichtet. Hier in Berlin sollen aber die Probleme der Welt da draussen verhandelt werden. Ob der dänische Regisseur Bille August in Bern Bilder eingefangen hat, die hier in Berlin auf ein Problem in der Welt draussen hinweisen, das werden wir am Dienstag sehen. Da fährt der Nachtzug nach Lissabon zu seiner Weltpremiere.

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