Ein Jahr nach Amtsantritt erhält Bundesrat Alain Berset (SP) beinahe beängstigend gute Noten. Selbst von jenen Genossen, die vor einem Jahr lieber Pierre-Yves Maillard in den Bundesrat gewählt hätten.
Wenige Tage nachdem der Freiburger Ständerat und ewige Bundesratskandidat Alain Berset (SP) endlich am Ziel seiner Karriere angelangt und im Dezember 2011 von der Vereinigten Bundesversammlung in die Regierung gehievt worden war, erschien in «Le Temps» eine Karikatur von Chappatte. «Burkhalter prend le Département de Calmy-Rey», war dort in einer Sprechblase zum überraschenden Wechsel des damaligen Innenministers ins Aussendepartement zu lesen, «… et Berset celui de Maillard.»
Die Pointe sass und verriet viel über den Gemütszustand der Sozialdemokraten in der Romandie. Wieder verloren. Statt des eingemitteten Freiburgers hätte man in der Westschweiz lieber den Waadtländer Pierre-Yves Maillard im Bundesrat gesehen.
Maillard, der ehemalige Gewerkschafter und echte Linke, gegen Berset, den konzilianten Staatsmann und Konsenspolitiker. Das war damals die etwas vereinfachte Geschichte der Bundesratswahl.
Schlimmste Befürchtungen
Als Berset nach seinem Amtsantritt die Managed-Care-Vorlage entschlossen verteidigte, sahen sich die Kritiker des neuen Bundesrats zum ersten Mal bestätigt: Als Ständerat hatte er noch eine andere Meinung vertreten. «Bei Pierre-Yves wäre das anders gewesen», sagt eine prominente Sozialdemokratin heute, die aus Rücksicht auf die eigene Partei nicht beim Namen genannt werden will. «Er hätte sich nicht für eine Vorlage eingesetzt, die nicht seine wäre.»
Es sollte – aus Sicht der Sozialdemokraten – der einzige Fehltritt des neuen Innenministers bleiben. So entschlossen wie Berset gegen aussen die Managed-Care-Vorlage vertreten hatte, so entschlossen wirkte er auch gegen innen. Er verbrachte nach seinem Amtsantritt je einen halben Tag auf seinen verschiedenen Amtsstellen und verschaffte sich mit dieser kleinen Geste viel Goodwill und ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Angestellten, als es seine beiden freisinnigen Vorgänger gehabt hatten. Pascal Couchepin machte nie einen Hehl daraus, dass ihn die Verwaltung nicht gross interessiere, und bei Didier Burkhalter reichten auch zwei Jahre nicht, um einen prägenden Eindruck zu hinterlassen.
Das hat Berset innert kürzerer Frist bereits geschafft. Man spüre ihn, heisst es in der Verwaltung, «er führt, engagiert und interessiert sich». Noch wichtiger für seinen Start als Innenminister waren aber die Hearings, die er zu Beginn seiner Amtszeit mit den verschiedenen Akteuren im Gesundheitsbereich durchführte. Dabei debattierten die Teilnehmer in «erstaunlicher Offenheit» über die grössten Herausforderungen im Gesundheitswesen der nächsten 15 bis 20 Jahre.
Entkrampftes Verhältnis
Der Wille, alle Beteiligten im komplexen und ziemlich unübersichtlichen Gesundheitswesen an einen Tisch zu holen, wird von genau diesen Akteuren sehr geschätzt. «Er hatte einen richtig guten Start», sagt der Gesundheitsökonom Willy Oggier. Berset habe beispielsweise das Verhältnis zur Ärzteschaft wieder entkrampfen können. «Pascal Couchepin hat in diesem Bereich einiges verkachelt.»
Rein inhaltlich hätte sich ein Bundesrat Maillard von einem Bundesrat Berset wohl nur in Details unterschieden, sagt Oggier und nennt als Beispiel den Gegenvorschlag von Berset zur Einheitskrankenkassen-Initiative der SP. «Ein Maillard hätte den besseren Risikoausgleich wohl bekämpft, um der Einheitskrankenkasse zum Durchbruch zu verhelfen.» Berset hingegen sei es gelungen, einen Gegenvorschlag zur Initiative zu präsentieren, der die Argumente beider Seiten aufnehme.
Unterschiede formaler Art
Die Unterschiede zwischen den beiden Politikern sind eher auf einer formalen Ebene zu suchen. Je länger Berset im Amt ist, desto klarer wird, dass seine kleinen Schritte im sozialen Bereich «linker» sind, als man das noch vor seiner Wahl angenommen hatte. Er verkauft diese Schritte aber in einer Art und Weise, die auch von der Gegenseite angenommen werden kann. «Um Fortschritte im Gesundheitswesen zu erreichen, ist eine nüchterne Art gefragt. Eine Art wie jene von Alain Berset», sagt der Präsident der schweizerischen Konferenz der Gesundheitsdirektoren (GDK) und Basler Regierungsrat Carlo Conti (CVP). Conti kennt Maillard von seiner Arbeit in der GDK und hätte dem Waadtländer diese «nüchterne Art» nicht unbedingt zugetraut.
Umso mehr lobt Conti die Fähigkeiten des neuen Gesundheitsministers; es ist ein Lob, das aus Basel sonst selten zu hören ist. Berset wird seit seinem Beharren auf tieferen Pharma-Preisen auch von städtischen Regierungsräten der eigenen Partei harsch kritisiert.
Nicht aber von Conti. «Was Berset beispielsweise mit dem Masterplan Hausarztmedizin vorgelegt hat, ist einmalig in meiner Karriere im Gesundheitswesen.» So strukturiert, so genau, so durchdacht – «das habe ich noch selten gesehen. Absolut mustergültig», sagt Conti. Und so seien die meisten Papiere aus Bersets Departement. «Er ist sehr strukturiert, sehr fundiert und schiesst nicht aus der Hüfte.» Ausserdem lege der neue Gesundheitsminister grossen Wert auf die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen, dort wo im Wesentlichen über die Gesundheitspolitik entschieden wird. «Eine erfolgreiche Reform im Gesundheitswesen ist nur möglich, wenn es auf dieser Achse zwischen Kanton und Bund stimmt.»
Die Gegner beharren
Ob Pierre-Yves Maillard nach einem Jahr im Innendepartement ebenfalls so viel Lob erhalten hätte? Heute sind es jedenfalls nur noch die politischen Gegner, die lieber Pierre-Yves Maillard im Bundesrat sehen würden. Leute wie der SVP-Nationalrat und Gesundheitsspezialist Toni Bortoluzzi. «Berset ist wie ein Fisch», sagt Bortoluzzi, schwer fassbar, schwer einzuschätzen. «Bei Maillard hätten wir wenigstens von Beginn weg gewusst, was wir haben; hätten harte Auseinandersetzungen führen können.» Inhaltlich seien die beiden SPler nicht so weit auseinander. Bortoluzzi: «Heute erkennt man langsam, aber deutlich den Linkskurs von Berset. Er will es zwar allen recht machen. Aber am liebsten den eigenen.»
Das gelingt Berset bisher erstaunlich gut. Aber er wäre auch nicht der erste Innenminister, der nach einem guten Start an der Unübersichtlichkeit des Schweizer Gesundheitswesens verzweifelt. Und eben doch scheitert.
Quellen
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12