Der Konflikt um Gaza lässt sich nicht mit einseitigen Schuldzuweisungen lösen. Sondern nur mit dem beharrlichen Einsatz für Strukturen, die den Ausgleich begünstigen.
Dieser Gaza-Krieg ist nicht der erste, und er wird, wenn keine grundlegende Änderung eintritt, leider auch nicht der letzte sein. Wie sagte einst Einstein: Irrsinn tut immer wieder das Gleiche und erwartet dabei ein anderes Ergebnis.
Dieses Wort ist in diesen Tagen doppelt in Erinnerung gerufen worden. Einmal vom Palästinenser Izzeldin Abuelaish, der im letzten Krieg gegen Gaza 2009 drei Töchter verloren hat, zum anderen von der schweizerischen Sektion der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina JVJP.
Die letzte Grossaktion von Dezember 2008 bis Januar 2009 wurde von der israelischen Seite mit dem Namen «Gegossenes Blei» versehen. Die jetzige darf den schönen Titel «Fels in der Brandung» tragen. Was hat die letzte Aktion gebracht, was wird die jetzige bringen? – Ausser Hunderten von Toten und Zerstörung von Lebensgrundlagen, was den Hass und den Terrorismus nur nährt.
Netanjahu braucht die Hamas
Damals gab es – wir erinnern uns schwach – zu diesem Krieg den vom UNO-Menschenrechtsrat in Auftrag gegebenen Sonderbericht unter Leitung des ehemaligen südafrikanischen Richters Richard Goldstone. Dieser hat, so ist man versucht zu sagen, leider auch nichts gebracht. Um den Wiederholungscharakter und die Berechtigung des Einstein-Zitats zu erkennen, muss man nur den ausführlichen und keine Partei begünstigenden Bericht unseres Wiki-Gedächtnisses konsultieren.
Hört man dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu, gewinnt man den Eindruck, dass die IDF (Israels Verteidigungskräfte) das letzte Mal zu wenig zugeschlagen hätten. Darum soll die Sache jetzt besser gemacht und sozusagen zu Ende gebracht werden – zumal Netanjahu unter dem Druck seiner rechtsnationalen Koalitionspartner steht.
Ganz zerschlagen wird er die Hamas jedoch nicht wollen, denn er braucht sie, wie der mutige Historiker Moshe Zuckermann in Tel Aviv vor Wochenfrist dem «Tages-Anzeiger» sagte, um die innere Zerrissenheit der Palästinenser aufrechtzuerhalten.
Die Brutalität fällt auf Israel zurück
Es ist Krieg in Gaza, und alle schauen hin. Wir schauen ähnlich betroffen und empört wie vor fünfeinhalb Jahren. Erneut können wir erklären, dass rücksichtsloses Beschiessen von Zivilisten, dass Hamas-Stellungen in Wohngebieten, dass Raketen auf Israels Zivilbevölkerung verwerflich seien und dass man damit doch sogleich aufhören soll.
Man kann, sofern dies nötig ist, diese Auffassung sogar begründen, mit Hinweisen auf die hehren Menschenrechte und mit dem Argument, dass diese Brutalität auch für Israel selbst nicht gut ist, weil sie auf das Land zurückfallen wird.
Die USA spielen eine Schlüsselrolle
Die Verantwortlichen Israels versuchen unschuldiger zu erscheinen, als sie sein können. Etwa wenn sie sich auf das auch vom US-Präsidenten zugestandene Recht auf Selbstverteidigung berufen. Oder wenn sie erklären, die Bevölkerung, die sie im Gaza-Käfig eingesperrt hält, vorher ja gewarnt zu haben, damit sie fliehen könne.
Ein erster Lösungsschritt könnte sein, dass Ägypten Hand bietet zur Öffnung der Südgrenze des Territoriums von der Grösse etwa des Kantons Schaffhausen, in dem derzeit rund 1,8 Millionen Menschen unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt sind.
Die USA spielen die Schlüsselrolle in diesem Konflikt. Da nicht mit einer schnellen Mentalitätsänderung auf beiden Seiten gerechnet werden kann, könnten sie für den Gaza-Streifen ein ähnliches Abfangsystem einrichten, wie sie es mit dem grösstenteils von ihnen finanzierten «Iron Dome» auf israelischer Seite getan haben.
Ein anscheinend unaufhaltsames Programm
Vor allem sollte man, wie es UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon in seiner Pressekonferenz in Katars Hauptstadt Doha getan hat, die tieferen Konfliktursachen («Wurzeln») betrachten und diese beseitigen, damit man nicht in einem Jahr wieder gleich weit ist.
Das kann man sicher nicht mit einseitigen Schuldzuweisungen erreichen. Man muss sich stattdessen beharrlich – also nicht nur in Zeiten der heissen Konfliktaustragung – für Strukturen einsetzen, die den Ausgleich begünstigen. Dazu braucht es in diesem Fall die Zwei-Staaten-Lösung, und zwar eine mit Rahmenbedingungen, die dieses Wort rechtfertigen.
Zurzeit ist unsere ganze Aufmerksamkeit auf die extrem blutige Auseinandersetzung gerichtet. Derweil läuft aber die systematische, weitgehend kalt verlaufende Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung aus ihren traditionellen Wohngebieten weiter, ein anscheinend unaufhaltsames Programm. Zugleich werden die Stimmen – auch in der Schweiz – immer lauter, die darin überhaupt kein Unrecht sehen.
Die Unverhältnismässigkeit der Übermächtigen
Jedes Leben sollte gleich viel wert sein. Nach der Ermordung von drei jungen Siedlern im Raum Hebron wurde Rache mit Berufung auf die Bibel (Exodus/2. Buch Mose) für legitim erklärt: «Auge um Auge, Zahn um Zahn» – also «Bombe gegen Bombe».
Wie alle Übermächtigen handeln aber auch die aktuellen Machthaber in Israel völlig unverhältnismässig mit einer x-fachen Repression. Das an sich grausame Wort aus dem Alten Testament will im Grunde genau dem entgegentreten, indem es verlangt, dass beim Verlust eines Zahns dem Täter nicht gleich alle ausgeschlagen werden.
Und damit in der ewig wiederkehrenden Debatte auch das gesagt sei: Die Art, wie die gegenwärtige israelische Regierung meint, die Interessen ihres Landes verteidigen zu müssen, darf kein Anlass und kann keine Rechtfertigung für Antisemitismus sein.
Andererseits ist Kritik dieser aggressiven Verteidigungsstrategie nicht per se antisemitisch.