Gut ist, was sich instrumentalisieren lässt: Christoph Blocher predigte vor Getreuen über Basler Persönlichkeiten und deutete die Geschichte dabei nach eigenem Gusto.
Blocher war in Basel – nein, nicht zu den Schnitzelbängg, das kommt erst später. Jetzt kam er nach Basel, um seinen eigenen Bangg loszuwerden – während anderthalb Stunden vor seinem Fan-Club. Als Special Guest aufgeboten war Rockmusiker Chris von Rohr, der als Oberfan vom Oberpolitiker (als der noch Nationalrat war) einen Besucherbadge fürs Bundeshaus erhalten hatte.
Da wäscht eine Hand die andere, und die Medienlogik macht freiwillig oder unfreiwillig mit. Christoph bekommt von Chris den gesuchten Applaus, und Chris bekommt dank Christoph zusätzliche Medienpräsenz, die er nutzt, um zu erklären, dass die (im Grunde eher langweilige) Neujahrsrede (nachzulesen hier) unbedingt vom Schweizer Fernsehen übernommen werden sollte.
Apropos Medienlogik: Auch hier wird über das gross sein wollende Ereignis geschrieben und damit das kleine Ereignis leicht grösser gemacht. Müssen wir uns wirklich damit auseinandersetzen? Ja leider, wir müssen. Blochers Hausblatt, die «Basler Zeitung», hat es natürlich auch getan, die «bz» hat es – mutig – nicht getan. Medienexperten haben herausgefunden, dass negative Berichterstattung zur SVP für diese stets nur positiv wirke, das heisst sie fördert. Die Hauptsache sei nämlich Aufmerksamkeit. Man stelle sich vor: Blocher will eine Rede halten, und niemand geht hin, trotz des ebenfalls angekündigten Imbisses – und niemand würde anschliessend darüber schreiben…
Grosse Basler aus Bayern und Zürich
Blochers Auftritt dürfte einiges gekostet haben. Da war der oder die Ghostwriter zu bezahlen, die ihm grosse Teile seiner mit Powerpoint-Illustrationen angereicherten Rede vorbereiteten. Da musste der Gratis-Wurstsalat inklusive Tranksame bezahlt werden, die Musik, die Saalmiete und die teuren Inserate in allen Zeitungen und so weiter.
Und worum ging es da? Es ging um drei Dinge: zunächst um Aufmerksamkeit an sich, dann um Aufmerksamkeit für den grossen Mann und schliesslich um Aufmerksamkeit für dessen Botschaft. Die Botschaft war allerdings überhaupt nicht neu, sie kann und muss dies auch gar nicht sein, ganz im Gegenteil, sie muss mit sanften oder harten Wiederholungen das sagen, was seit Jahren von dieser Seite zu hören ist.
Blocher würdigte nach dem nun bereits seit Jahren im Halbjahresrhythmus praktizierten Strickmuster «grosse Schweizer», diesmal waren «Basler» an der Reihe: der mit 17 Jahren aus Bayern eingewanderte Maler Holbein, der Zürcher Secondo Wettstein und der in Bern aufgewachsene und vorübergehend in Genf und im Aargau und an verschiedenen Orten in Deutschland (zuletzt in Bonn) tätige Binnenmigrant Theologe Karl Barth. In einer früheren Runde, beispielsweise zum Jahreswechsel 09/10, wurden der Militär-Bundesrat Ulrich Ochsenbein, der Maler Albert Anker und der Bauern-Bundesrat Rudolf Minger gewürdigt, dies im Seeländer SVP-Stammland.
Auf Heidenmission in der Diaspora
Jetzt war eben Basel an der Reihe, sinnvollerweise und mit Triumphgefühl im ehemals roten Volkshaus, das heute einem Zürcher Unternehmen gehört. Jetzt war der SVP-Missionar im Stadtkanton, von dem Regierungsrat Christoph Eymann einmal sagen konnte, dass er «SVP-frei» sei, also in der Diaspora sozusagen auf Heidenmission, allerdings vor bereits mehr als Bekehrten. Schon bald wird der Prediger nach Plan weiterziehen. Er wird noch lange munter bleiben müssen, wenn er die ganze Schweiz mit solchen Besuchen beehren will.
Was von diesem Auftritt zu halten ist, zeigte Blochers mit einem hämischen Lachen unterlegte Beteuerung, dass es sich überhaupt nicht um eine politische Veranstaltung handle – und die schlecht koordinierte Aussage von SVP-Nationalrat Sebastian Frehner, dass damit für die Basler SVP das Wahljahr begonnen habe.
Blocher (be)nutzt die Geschichte, um sein Publikum mit einer Mischung aus braver Erzählung und eingestreuten Politbotschaften zu unterhalten – und für sich zu gewinnen. Bereits im zweiten Satz äusserte er sich, ganz nebenbei, negativ über den angeblich lausigen Parlamentsbetrieb, den er schon als Primarschüler beim Besuch einer Sitzung des Basler Grossen Rats erlebt hatte.
Billige Lacher für hämische Kalauer
Blochers hochpolitischer Auftritt war jedoch über weite Strecken tatsächlich «unpolitisch», bestand aus banalem Wikipedia-Wissen, zu dem Chris von Rohr auch ohne Badge direkten Zugang hätte, wenn es ihn wirklich interessieren würde. Diese Stoffvermittlung war mit den üblichen zuweilen jovialen, zuweilen hämischen Zwischenbemerkungen durchsetzt. Auf die Zürcher Herkunft des Basler Bürgermeisters Wettstein anspielend, kalauerte er: «Alles Gute kommt von Zürich.» Damit holte er billige Lacher.
Einmal erzählt der grosse Redner vom Basler Bundesbeitritt, ohne den peinlichen Fehler zu bemerken, dass Basel 1521 (also nicht 1501) Mitglied der Eidgenossenschaft geworden ist. Das war aber nur ein Patzer, wirklich fehlerhaften Umgang mit der Geschichte leistete sich der Amateurhistoriker nicht im Datenbereich, sondern in der ungenierten Vermischung der Zeitverhältnisse.
Gestützt auf die von Wettstein 1648 im Westfälischen Frieden erwirkte Anerkennung der Reichsunabhängigkeit Basels und der Eidgenossenschaft, lobte Blocher die Basler des 17. Jahrhunderts wegen ihres Unabhängigkeitswillens. Zugleich tadelte er das Basler «Volk», weil es am 6. Dezember 1992 als einziger Kanton der deutschen Schweiz für den EWR und ganz anders als die vorbildlichen Ahnen des 17. Jahrhunderts gegen die Unabhängigkeit gestimmt hat. Dazu die weitere Zwischenbemerkung, dass man inzwischen wohl auch in Basel gemerkt habe, dass dies eine Dummheit gewesen sei.
Wettstein habe «ohne Auftrag» gehandelt, sagte Blocher – also fast wie er das heute macht.
Dass der Grossteil der Basler 1648 über das diplomatische Geschäft weder informiert und schon gar nicht befragt worden waren, war für Blocher ein vernachlässigbares Detail. Dazu passte allerdings, dass er Wettsteins Solo- und Führerleistung würdigte. Er habe «ohne Auftrag» gehandelt, also fast wie Blocher und, wie man beifügen kann, ohne basisdemokratische Legitimation.
Hier kommt etwas zum Vorschein, worum es bei den Würdigungen grosser Persönlichkeiten ebenfalls geht: Blocher bewegt sich gerne auf Augenhöhe mit den von ihm ausgewählten Grossen. Besonders deutlich war dies 2004. Als noch nicht abgewählter Bundesrat würdigte er in Zürich Churchills Auftritt von 1946. Die NZZ titelte damals zutreffend: «Blocher sprach über Churchill und meinte sich selbst». So etwas könnte man in der heutigen NZZ nicht mehr lesen, wäre der Transfer des BaZ-Chefs nach Zürich zustande gekommen.
Alles Dienliche wird angeeignet
Ansätze zur Selbstbespiegelung gab es auch in der Würdigung von Karl Barths Widerborstigkeit und einsamer Einzigartigkeit. Dass der Theologe ein Linker war, spielte für den nationalkonservativen Rechten keine Rolle: Das sei zu vernachlässigen, wichtig sei Barths zeitbeständige Gotteslehre. Dass Barth über sozial Schwache und angebliche Gutmenschen nie so hergezogen wäre, wie der schwerreiche Milliardär der Zürcher Goldküste dies gerne tut, ist offenbar ebenfalls eine vernachlässigbare Nebensache.
Hier zeigt sich die Tendenz des rechtsnationalen Populismus, sich alles Dienliche anzueignen und für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Das können Elemente der Geschichte sein, das kann ein «urschweizerischer» Geissbock namens «Zottel» sein oder ein inzwischen eingewechselter chinesischer Plüschhund «Willy». Auch die Musik wird nach Belieben ausgebeutet. Mal ist es Alphorn, mal sorgt, wie in Basel, die Brassband Feldmusik Baselland für Stimmung, mal singt der SVP-Fraktionschor von Blocher mitdirigiert nach der Melodie von «Yellow Submarine» – eigentlich einen subversiven Hippie-Song.
Die Blochersche Nutzung der Geschichte besteht darin, dass der Vordenker von seiner Gemeinde als Inhaber und Vermittler von Wahrheit wahrgenommen wird.
Jetzt musste – wie oft – die Geschichte herhalten. Die Geschichte steht gewiss allen zur Verfügung. Was Gebrauch, was Missbrauch ist, kann und soll nicht hoheitlich (weder von Magistraten noch von Geschichtsexperten) definiert werden. Erlaubt und vielleicht auch nötig ist dagegen, Geschichtsnutzungen zu charakterisieren.
Die Blochersche Nutzung der Geschichte besteht darin, dass der Vordenker von seiner Gemeinde als Inhaber und Vermittler von Wahrheit wahrgenommen wird. Dabei stellen neben der angeblichen Wahrheit auch die Einfachheit und leichte Verständlichkeit einen eigenen Wert dar. Zudem ist die Meinung wichtig, dass mit dieser Nahrung etwas geboten wird, was die professionellen und universitären Historiker und Historikerinnen nicht erbringen können und nicht leisten wollen. Bezeichnend die von der «Basler Zeitung» zum Titel erhobene Einschätzung eines begeisterten Zuhörers: «Der hat schon was auf der Büchse.»
Dem Redner wie seinen Zuhörern geht es vor allem um Bestätigungen von bereits Gedachtem und Gefühltem. Ernsthafte Geschichtsbetrachtung lässt sich dagegen vor allem von Neugierde auf etwas vielleicht noch Unbekanntes leiten, das unsere bereits vorhandenen Kenntnisse bereichert und zusätzliche Orientierung schafft.