Böse, böse Burka

Unsere Kleiderzwänge nehmen wir klaglos hin, andere wollen wir verbieten.

Zwang und Zwang. (Bild: Anthony Bertschi)

Unsere Kleiderzwänge nehmen wir klaglos hin, die der anderen wollen wir in der Verfassung verbieten.

Und erneut wird die Schweiz von einer ihrer hässlichsten Gemeinden in Geiselhaft genommen. Hingeklatscht an den Jurasüdfuss, im ­Nirgendwo des Mittellands, definiert durch die wichtigste Autobahnkreuzung der Nordschweiz, liegt Egerkingen. Egerkingen. Das Dorf mit dem Steuerpranger. Das Dorf, in dem die Baukommission sämtliche 130 Einsprachen gegen ein geplantes Asylzentrum gutheisst. Und das Dorf, das in den vergangenen Jahren zum Symbol des rechtsbürgerlichen Kampfes gegen den Islam in der Schweiz geworden ist.

Im Hotel Mövenpick oberhalb der Autobahn formierte sich um das Jahr 2007 herum das Egerkinger Komitee und machte sich auf, einen heiligen Kreuzzug zu führen. Plötzlich redeten alle nur noch von Minaretten, Muezzins, der Scharia. Einsamer Höhepunkt in der Geschichte des Komitees: die Annahme des Minarett-Verbotes im Jahre 2009.

In der Tracht gegen die Burka

Danach wurde es etwas ruhiger um das Komitee und seine Exponenten. Bis das Tessiner Stimmvolk am vergangenen Sonntag überaus deutlich ein Burka-Verbot in der Verfassung festschrieb. Am Tag nach der Abstimmung gab es in der Wandelhalle des Bundeshauses nur ein Thema: die Burka. Sinnigerweise war der Tag nach der Abstimmung auch der Tag der Tracht. Vorab Parlamentarier aus dem rechten Lager erschienen mit lustigen Hüten, Röcken und Gilets. Und erklärten derart gekleidet, warum die Schweiz jetzt unbedingt ein nationales Burka-Verbot brauche.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht wie schon beim Minarett-Verbot der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann. Er war es, der nach der erfolgreichen Minarett-Initiative der Weltöffentlichkeit erklärte, warum der Islam und seine ­Gebetshäuser eine Gefahr für die Schweiz darstellen. Und er ist es nun, der auf sämtlichen Kanälen den nächsten Schritt in seinem Kampf gegen den Islamismus ankündigt: Die Volksinitiative für ein ­nationales Burka-Verbot liegt in der Schublade des Egerkinger Komitees; die Unterschriftensammlung wird im Frühling 2014 beginnen.

Die Debatte über ein mögliches Burka-Verbot wird in ähnlichen Linien wie schon beim Minarett-Verbot ablaufen. Im Zentrum stehen dabei zwei Fragen: Ist die Burka ein tatsächliches Problem in der Schweiz? Und ist ein entsprechendes Verbot überhaupt verfassungskonform?

Symbol der Unterwerfung? Ein tatsächliches Problem? Die Burka-Debatte läuft immer gleich.

Im Gegensatz zur Minarett-Initiative startet die Debatte um die Burka aber nicht bei null. Eine Standesinitiative des Kantons Aargau für ein nationales Burka-Verbot wurde im März 2012 vom Ständerat abgelehnt. Die kleine Kammer hielt ein nationales Verbot für die rund 100 bis 150 burkatragenden Frauen in der Schweiz (davon die meisten Touristinnen) für überflüssig. Und sollten Burkas in den Kantonen tatsächlich als Problem wahrgenommen werden, so sei es an ihnen, ein Verbot ­auszusprechen.

Genau das war die Absicht der Jungen Basler SVP, die im vergangenen Jahr eine Initiative für ein kantonales Vermummungsverbot einreichte. Zur Abstimmung kam die Initiative nie: Der Grosse Rat erklärte die Initiative für ungültig und stützte sich dabei auf ein Gutachten der Basler Regierung. Dieses hielt fest, wie die NZZ diese Woche schön darlegte, dass es ein persönliches Recht darauf gebe, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Und es eben auch nicht zu zeigen.

Die Junge SVP lässt den Entscheid des Grossen Rates gerichtlich anfechten; gleichzeitig befasst sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Thema: Dort ist eine Klage ­gegen das bereits existierende Burka-Verbot in Frankreich hängig.

Eine nationale Debatte

Die Aargauer Standesinitiative und der Vorstoss der Jungen SVP brachten es auf eine jeweils relativ kurze Empörungshalbwertszeit. Mit dem Ja der Tessiner zum Verbot und der angekündigten Volksinitiative des Egerkinger Komitees dürfte sich das ändern: Nach der nationalen Debatte über ein Minarett-­Verbot wird sich die Schweiz in den kommenden Jahren wohl in aller Ausführlichkeit über die feinen Unterschiede zwischen Burka, Tschador und Nikab unterhalten.

Der ehemalige Bundesrat Moritz Leuenberger hat das kommen sehen. Während einer Rede vor der Delegiertenversammlung der SP im Mai 2010 in Frauenfeld (also kurz nach der Annahme der Minarett-Initiative) setzte sich der damals noch amtierende Bundesrat intensiv mit der Burka und der von ihr geförderten Empörungsbewirtschaftung aus­einander. Wenn er sich die Talkshows der privaten Sender anschaue, dann nehme dort in letzter Zeit immer mindestens eine Frau in der Burka teil, sagte Leuenberger damals. «Das beweist: Die Burka ist im Kommen. Immer mehr Frauen konvertieren und tragen eine Burka. Sie ist eines der allergrössten Probleme, das es in der Schweiz überhaupt gibt.» Sagte er. Und meinte es natürlich ironisch. Schuld an dieser Wahrnehmung der Burka seien die Medien. «Im gegenseitigen Ringen um Einschaltquoten wird öffentliche Empörung geschürt. (…) Die Medien vermitteln einen Eindruck, der mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat. Und je häufiger dieses Schein-Problem auf allen Fernsehkanälen diskutiert wird, desto kürzer ist mitunter der Weg zur Überzeugung, die Burka sei tatsächlich omni­präsent und müsse also in der Verfassung verboten werden.»

Zwei Argumentationsstränge

Was Leuenberger bei seiner Rede ausblendete: Es sind nicht nur die Medien, die das Problem grös-ser machen, als es ist. Es sind auch die Politiker, die sich in grosser Ernsthaftigkeit mit dem Burka-Problem beschäftigen. Für die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) etwa ist die Burka ein Symbol für die Unterwerfung der Frau unter den Mann und gehört darum verboten. «Die Burka gehört nicht in unseren Kulturkreis. Bei uns verhüllt man sich nicht.» Sie sei kürzlich in Katar in ein Flugzeug gestiegen und sei umzingelt gewesen von Frauen in Burkas. «Das habe ich als bedrohlich empfunden.» Ausserdem hätten die Frauen bei der Ankunft in Zürich ihre Burkas allesamt abgelegt. «Da soll mir noch einer sagen, da herrsche kein Zwang.»

Schneider-Schneiter steht sinnbildlich für den einen Argumentations-Strang in der Burka-Debatte: Das Verhüllen der Frau als Zeichen der Ungleichheit; unser Kulturkreis und die in ihm herrschenden Sitten; unsere Tradition, sich in der Öffentlichkeit nicht zu verhüllen.

Die Vertreter des entgegengesetzten Argumentations-Stranges berufen sich auf die gleichen Grundwerte wie Schneider-Schneiter – kommen aber zu einem gänzlich anderen Resultat. Politiker wie Gregor Rutz etwa, ein SVP-Nationalrat aus Zürich, der nicht unbedingt als Softie verschrien ist, ­argumentiert mit den liberalen Prinzipen der Schweiz. Rutz sagte diese Woche der «Basler Zeitung»: «Ich finde ein Burka-Verbot nicht ziel­führend. Kleidervorschriften hatten wir zuletzt im Mittelalter.»
Die liberale Argumentation ist spannend. Die Schweiz, seit ihren mythischen Anfängen tief im Mittelalter unberührt von jeglichen Zwängen. Frei, sich so zu gewanden, wie es jedem gefällt. In der Tracht. Oder neuerdings eben auch in der Burka.
Nein.

Sind wir wirklich frei?

Weil Kleider schon immer Menschen machten, machte die Obrigkeit auch schon seit ewigen Zeiten Kleidervorschriften. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit war der Prunk den oberen Schichten vorbehalten. Dem einfachen Volk war das ­Tragen von «sammtener Kleidung, ebenso das ­Tragen aller Ohren-Behencken» streng verboten, wie es in einem Zürcher Kleidermandat von 1735 heisst. Des Weiteren gab die Regierung den ­«Befehl» aus, dass «die Manns-Personen auf dem Land der Peruque und des Poudrirens der Haare gänzlich müssigen».

Die Kleidung zeigte den Unterschied, zwischen den Ständen, zwischen oben und unten und sozialen Gruppen. Den Juden wurde nach dem Konzil von 1215 ein spitzer Hut aufgesetzt, die Prostituierten mussten – etwa in Zürich – «ein rot keppelin» tragen, die Zuhälter in Basel gelbe Kugelhüte.

Gerechtfertigt wurden die Vorschriften vor ­allem in der Reformation auch mit dem Hinweis auf die Moral. Und Gott. Wer dagegen verstiess, beging eine Todsünde – Hochmut. Darauf standen ewige Qualen in der Hölle. Eine happige Drohung. Dennoch wurden die Kleidervorschriften zu keiner Zeit konsequent eingehalten. Und manchmal wurden sie sogar ganz bewusst gebrochen – vom aufstrebenden Bürgertum und dem Adel, die ihre Machtansprüche möglichst effektvoll zur Schau trugen. Mit spitzen Schnabelschuhen und langen Schleppen zum Beispiel, was wie 1470 in Bern eine Staatskrise auslösen konnte.

Eine relative Freiheit

Mit der Ständegesellschaft und dem Ancien Régime fielen schliesslich auch die Kleiderordnungen. Weil es in einer «republique nicht nothwendig sey», dass der Staat die Kleider seiner Bürger reglementiere, wie ein Intellektuellenzirkel im Zürcher «Collegium der Wohlgesinnten» feststellte. Gleichheit lautete die Losung jetzt. Und vor allem Freiheit – auch was die Kleiderwahl anbelangt.

Wobei: Die neue Freiheit ist häufig auch eine ­relative. Damals wie heute. Und nicht nur im Kleinen, sondern auch im Grossen. «Bei gesellschaft­lichen Umbrüchen kommt die wirtschaftliche ­Freiheit meistens zuerst. Die politische Freiheit setzt sich erst danach durch – wenn sie der wirtschaftlichen dient», sagt die Basler Geschichtsprofessorin Claudia Opitz. Auch das zeigt sich an den Kleidern. Mit dem Kolonialismus kamen die Europäer an viel mehr Rohstoffe heran, Baumwolle ­unter anderem, die nach dem Beginn der Industrialisierung auch massenhaft verarbeitet werden konnte. Nun brauchten die Unternehmer nur noch Abnehmer. Konsumenten, aus denen dann freie Bürger wurden, die sich nun auch alles kaufen durften. Und bald auch das meiste leisten konnten, weil die Wirtschaft mehr und mehr brummte. Irgendwann konnte man auch die niederen Arbeiten auslagern, nach Bangladesch zum ­Beispiel, wo die Näherinnen sich für ein paar Euro im Monat abplagen.

Doch wer denkt schon daran, wenn er beim Shopping wieder mal ein Schnäppchen entdeckt? Viel wichtiger sind die neuen, ungeschriebenen ­Gesetze und Zwänge. Die Dresscodes, wer was wo tragen soll – und was besser nicht. Und vor allem gibt es in dem milliardenschweren Kleidergeschäft viele schlaue Marketingabteilungen, die sagen, was hip ist.

«Der Verkauf funktioniert heute über das Marketing, die Kommunikation und das Image, das mit einem bestimmten Kleidungsstück transportiert wird», sagt die Basler Modeschöpferin Claudia ­Güdel. Manchmal machen das die Unternehmen so gut, dass man ihre Kleider unbedingt haben will. Haben muss. Vor allem Jugendliche sind anfällig für diesen Labelzwang. Weil sie sich in ihrer Gruppe behaupten müssen. Mit ihrem Auftreten und – ganz wichtig – ihren Kleidern.

Frei werden die Bürger erst, wenn sie der Wirtschaft als ­Konsumenten nützen.

Wie sich das ausnutzen lässt, führt das amerikanische Modeimperium Abercrombie & Fitch fast schon perfekt vor, das es trotz eines kurzfristigen Gewinneinbruchs auf vier Milliarden Franken Umsatz pro Jahr bringt. Die Läden wirken eher wie ein Club, mit dem gedämpften Licht, der lauten Musik und den Angestellten mit ihren gestählten Bodys. Und dann dieses Parfum, das, eigens komponiert für Abercrombie & Fitch, in der Luft hängt.

Es ist der Duft der Schönen und Reichen. «Wir möchten, dass die coolen, attraktiven Leute, die eine tolle Ausstrahlung und viele Freunde haben, unsere Sachen tragen», sagte Abercrombie-&-Fitch-Chef Mike Jeffries einmal in einem Interview: «Viele Leute können unsere Klamotten nicht tragen und das sollten sie auch nicht. Schliessen wir Leute aus? Absolut!»
So viel Arroganz stösst selbstverständlich auf Widerstand, aber wahrscheinlich ist auch das noch gut fürs Image. Die Aktion des amerikanischen ­Filmemachers Greg Karber zum Beispiel, der ­Abercrombie-&-Fitch-Klamotten an Obdachlose verteilte. Danach war das Label wieder einmal gross im Gerede.

Gebüsst

Schon schmerzlicher ist da die Mitte Woche erlittene Niederlage vor Gericht. Auf Geheiss des US-Bundesgerichts musste das Unternehmen einen unangenehmen Vergleich akzeptieren: 48’000 Franken Entschädigung für eine entlassene Mit­arbeiterin, die sich geweigert hatte, ohne Hijab-Schal auf dem Kopf zu arbeiten. 23’000 Franken Entschädigung für eine weitere Muslimin, die aus dem gleichen Grund gar nicht erst angestellt ­worden war. In beiden Fällen sprach das Bundesgericht von einer Diskriminierung. Nun muss das Kopftuch­verbot fallen, auch in dem Laden, wo der Körper derart Kult ist.
Es ist ein moderner Entscheid, den das Bundesgericht in den USA gefällt hat. Ein aufgeklärter. Für die persönliche Freiheit, gegen Kleiderverbote.

Die Schweiz ist auf einem anderen Weg. Zurück ins Mittelalter, zumindest wenn es um die Burka geht. Die eigenen Zwänge werden dabei elegant ­ausgeblendet.

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 27.09.13

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