Bühne frei für die nächste Bildungstragödie

Jetzt geht auch noch der Volksschul-Chef: Fast zeitgleich mit dem Abgang Urs Wüthrichs verlassen seine politischen Vordenker die Baselbieter Bildungsdirektion. Damit kann die Bürgerliche Monica Gschwind gleich zu Amtsbeginn eine neue Direktion aufbauen.

Neuer Star in der Bildungsdirektion: Mit der Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) beginnt kein nächster Akt, sondern ein ganz neues Stück. Mit dem Bisherigen Urs Wüthrich (SP) verlässt auch gleich sein Ensemble die Bühne. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Jetzt geht auch noch der Volksschul-Chef: Fast zeitgleich mit dem Abgang Urs Wüthrichs verlassen seine politischen Vordenker die Baselbieter Bildungsdirektion. Damit kann die Bürgerliche Monica Gschwind gleich zu Amtsbeginn eine neue Direktion aufbauen.

Das Ende einer klassischen Tragödie muss immer dasselbe sein: Der Chor stimmt den Schlussgesang an – denn der Chor hat das letzte Wort! – und die Schauspieler verlassen die Bühne. Das ist so, seit sie Aristoteles beschrieben hat, und das ist auch heute so.

Es ist der letzte Teil einer Tragödie, den die Baselbieter Bildungsdirektion aufführt: Der Abgesang läuft, die Darsteller verlassen die Bühne. Regierungsrat Urs Wüthrich sagte, was er zu sagen hatte, hat sein Schicksal erfüllt, tritt in zwei Monaten ab. Seinen Sitz hat die SP seit den Wahlen im Februar an die FDP verloren.

Ab Juli ist Monica Gschwind im Amt, 52 Jahre alt, Treuhänderin, rechtsbürgerlich. Es ist nicht nur das Ende Wüthrichs, es ist auch das Ende einer über die Jahrzehnte fast endlos wirkenden Dominanz der SP als regierende Baselbieter Bildungspartei.

Alle Hauptakteure verlassen die Bühne

Doch, denn so wollen es die Regeln der Tragödie, der Chor nimmt sich auch in diesem ausklingenden Schauspiel das letzte Wort. Er ist hier nicht das öffentliche Gewissen und auch nicht die Stimme des Volkes, die das Geschehen kommentiert. Der Chor, das sind die Akteure, die alten Kadermänner Wüthrichs.

Der Erste ist schon weg: Kulturchef Niggi Ullrich. Er verliess die Bühne Ende vergangenen Jahres, bereits vor den Wahlen und in Erwartung dessen, was sich abzeichnete. Der Zweite hat seine Demission kurz vor den Wahlen eingereicht: Generalsekretär Roland Plattner, der höchste Angestellte der Direktion, verlässt die Stelle Ende Juni – pünktlich zum Amtsantritt der neuen Regierungsrätin.

Der Dritte heisst Markus Stauffenegger und war seit 2012 Leiter des Amtes für Volksschulen. Sein Abgang wäre an sich nicht mehr als die personelle Randnotiz, die vergangene Woche kurz vermeldet worden war. Nur ein weiterer Kadermann, der zum Ende des Jahres eine neue berufliche Herausforderung sucht.

Amt für Volksschulen: Schlüsselstelle für Schulreformen

Doch mit Stauffenegger geht ein erfahrener Staatsangestellter. Vor dem Wechsel ins Baselbiet war er jahrelang Leiter des Schuldienstes Basel-Stadt und Teilprojektleiter Pädagogik im Rahmen der Bildungsreform HarmoS.

Bei seinem Stellenantritt 2012 teilte die Regierung mit: Stauffenegger sei «Garant für die Weiterführung der Arbeiten und der Kontinuität in der Zusammenarbeit im Bildungsraum Nordwestschweiz». Also jener Bildungsreform, der die neue Regierungsrätin ohnehin schon kritisch gegenübersteht. Damit verlässt eine weitere Schlüsselperson die Bildungsdirektion, deren Politik sie massgeblich mitbestimmt hatte.

Und so leert sich die Baselbieter Bildungsbühne, bevor der Chor verstummt, der Held die letzte Amtshandlung tätigt und während die Technik schon am neuen Bühnenbild bastelt. Aus, vorbei, und die letzte Schuld des Helden wird mit dem Abschied aus dem Amt getilgt. Denn so geht das in der Tragödie und in der Politik und das Publikum vergisst schnell.

Reformstopp zementiert

Stillstand kehrt nicht ein, obwohl die neue Heldin dem Publikum als Erstes eine Pause verspricht: Eine Pause zwischen all den Reformen, die das nationale Bildungswesen auf die Probe stellen. Vor allem eine Pause vom Lehrplan 21, der aus der nationalen Bildungsharmonisierung hervorging, der im Baselbiet «Lehrplan Volksschulen» heisst und eines der letzten grossen Kraftstücke von Urs Wüthrich.

Also von jenem Lehrplan, dessen Entwicklung das Amt für Volksschulen bislang massgeblich mitgeprägt hatte. Jenes Amt, das Markus Stauffenegger, der «Garant für Kontinuität im Bildungsraum Nordwestschweiz», nun per Ende Jahr verlässt. Mit Monica Gschwind beginnt kein neuer Akt. Sie eröffnet ein komplett neues Stück. Das war ihre Ansage und dafür sorgt das Ensemble ihres Vorgängers gleich selbst.

Aus dieser Perspektive kann die Lage für die neue Heldin besser kaum sein. Keine dieser Schlüsselpersonen wird sich in eine neue Baselbieter Bildungspolitik schicken müssen, keinem wird die Regierungsrätin wegen unterschiedlicher Auffassungen kündigen müssen. Wenn Monica Gschwind am 1. Juli antritt, sind die prägendsten Vordenker der Bildungs- und Kulturpolitik Wüthrichs praktisch weg.

Neues Ensemble, neues Glück

Das heisst also: Bühne frei für ein neues Ensemble. In der Hauptrolle die neue FDP-Regierungsrätin, klar bürgerlich, Sparvorhaben keinesfalls abgeneigt, kritisch gegenüber den angelaufenen Reformen, vormals bildungspolitisch unbeschlagen und damit unbelastet, Treuhänderin, Gemeindepräsidentin von Hölstein im Waldenburgertal.

Und diese entscheidenden Nebenrollen kann sie jetzt schon nach eigenem Gutdünken neu besetzen:

  1. Das Generalsekretariat, die einflussreichste Position neben der Departementsvorsteherin, also ihr selbst.
  2. Die Leitung des Amts für Volksschulen, laut Selbstbeschrieb «die zentrale Verbindungsstelle zwischen Bildungspolitik und Volksschule». Eine Schlüsselstelle für die Umsetzung von Projekten und Reformen in der Primar- und Sekundarschule.
  3. Die Position des Leiters «kulturelles.bl». Das Einstellungsverfahren hat sie gemeinsam mit Wüthrich zwischenzeitlich sistiert: Die bereits vorgeschlagene Person würde zwar den bisherigen Anforderungen genügen, hiess es, aber nun wolle die neue Bildungsdirektorin die Anforderungen noch einmal überprüfen.
  4. Und bei all den Abgängen geht beinahe vergessen: Monica Gschwind will für die Bildungsdirektion erstmals eine professionelle Medienabteilung aufbauen, wie die «Basellandschaftliche Zeitung» Mitte April gemeldet hatte. Das ist nicht nur zeitgemäss, sondern im besten Fall auch ein praktisches Instrument, um Krisenkommunikation abzufedern.

Ein neues Stück des Baselbieter Freisinns

Das aufzubauen braucht Zeit. Doch die Ausgangslage ist perfekt, um das Drehbuch neu zu schreiben. Und auch dieses Stück wird den Regeln folgen: nach dem Aufstieg der Fall. Und – früher oder später – die Läuterung.

Das Stück entwickelt sich fast von alleine. Es wird etwas ganz Grosses, mit Jammern und Schaudern, wie Aristoteles es mochte. Die erste Episode beginnt am 1. Juli. Frei nach Sophokles, Aischylos oder Euripides, garantiert aber nach dem Willen Monica Gschwinds und damit des Baselbieter Freisinns.

Nächster Artikel