Die Sprüche von Jürgen Klopp bei seiner Vorstellung in Liverpool waren präziser als mancher Elfmeter in der Bundesliga. Die Fans haben schon mal die Anweisung erhalten sich anzuschnallen – für Vollgasfussball.
«Kein Idiot.» «Kein Genie.» «Kein Alleswisser.» «Kein Träumer.» Jürgen Klopp hatte seinem gebannten Publikum bereits 20 Minuten lang die schönsten Negationen aufgetischt, als es doch jemand konkreter vom neuen Liverpool-Trainer wissen wollte. José Mourinho, der überlaute Chelsea-Prahler, habe sich ja einst als «Special One» tituliert, wie würde sich denn nun Klopp selbst beschreiben?
Der 48-Jährige holte kurz Luft, lächelte so breit, dass die wie bei der zuständigen Stelle bestellt strahlende Herbst-Sonne vor dem Anfield-Stadion einen Moment lang auf wundersame Weise bis in den fensterlosen Konferenzsaal schien und landete dann bumm!zack! den k.o.-Treffer. «I am the Normal One.» Grosses Gelächter bei der Hundertschaft von Medienvertretern, der Witz war ausgezeichnet.
Klopps lustige Bescheidenheit, mit einem Verweis auf seine Herkunft «aus dem Schwarzwald» garniert, war der Höhepunkt einer meisterhaften Performance, in der sich der Schwabe perfekt als extrem ausgeruhter, zugleich aber erfolgsorientierter Vereins-Elektrisierer in Szene setzte. «Die Fans sollten sich anschnallen, sie werden mit ihm viel Spass haben», sagte Trainer- und Spielerlegende Kenny Dalglish nach Klopps triumphaler Medienkonferenz am Freitagmorgen.
«Die Situation ist nicht so schlimm», sagt Jürgen Klopp über seinen neuen Arbeitgeber.
Seit Übervater Bill Shankley, der die Reds in den Siebziger Jahren zur besten Mannschaft Europas machte, wird in Liverpool der britische Kult um Fussballtrainer besonders gefühlsintensiv gepflegt. Viele Übungsleiter kamen, die meisten gingen – unfähig, mit dem Überdruck der Erwartungen in der gern von der eigenen Andersartigkeit beseelten Stadt in Englands Nordwesten fertig zu werden. Es bedurfte also aussergewöhnlich grosser Selbstsicherheit von Klopp, sich ausgerechnet bei der Vorstellung im historienumwehten Anfield als ganz gewöhnlichen Coach zu bezeichnen. Aber man kennt das ja auf der Insel, nicht zuletzt aus der berühmten Monty-Python-Komödie «Das Leben des Brian»: Nur der echte Erlöser verleugnet sich selbst.
Klopp (Jeans, schwarzes Sakko) warnte in griffigem Englisch davor, dass seine Mannschaft nicht mit einem «20 Kilo schweren Rucksack der Geschichte» ins Rennen gehen könne, vielmehr sei die Zeit reif für einen «Neustart». Man müsse aus Zweiflern Gläubige machen, fügte er hinzu; wohlwissend, dass die rote Gemeinde zuletzt vom Glauben abgefallen war.
Die in der Liga unter Vorgänger Brendan Rodgers gegenüber den finanziell potenteren Rivalen von Manchester United, Manchester City, Arsenal und Chelsea ins Hintertreffen geratenen Reds (Platz zehn in der Tabelle, zuletzt Meister 1990) seien jedoch keineswegs so schlecht, wie es die negative Stimmung im Land suggeriere, meinte der ehemalige Borussia-Dortmund-Trainer: «Die Situation ist nicht so schlimm. Wir brauchen Zeit, aber der Moment für Veränderungen ist gut. Wir dürfen nicht ans Geld denken, nur an Fussball.»
Hatte die Medienschaffenden schnell im Sack: Jürgen Klopp setzte auch auf dem Rednerpult auf Vollgas. (Bild: Craig Brough)
Klopp versprach «Vollgasfussball», um Emotionen auf den Rängen zu wecken, und wiederholte ein Mantra aus Dortmunder Tagen: Die in den englischen Gazetten breit debattierte Frage um die Verantwortlichkeit für Transfers nannte er einen Atemzug weiter eine «crazy discussion». Er habe «das erste und das letzte Wort» bei der Kaderplanung, müsse aber ansonsten den Informationen der Scouts und Analysten vertrauen. «Ich weiss nicht alles, aber ich kann sehr gut zuhören», versicherte er.
Der neue Boss erlangte so schnell die Gunst seiner Zuhörer, dass er sich einen Scherz auf deren Kosten erlaubte. Er habe von den Eigenarten der britischen Medien gehört, sagte er, «jetzt müssen Sie mir zeigen, dass das alles Lügen waren.» Die gute Laune verschwand jedoch, als ein deutscher Berichterstatter nach dem gewaltigen Wirbel in der Stadt um seine Person fragte. «Wegen Ihnen kann ich leider nicht raus aus dem Hotel oder in den Pub, ich bekomme davon gar nichts mit», klagte Klopp und bat um ein wenig Ruhe vor den Fotografen.
Seinen Vertrag hatte er nach seiner Ankunft am Donnerstagabend auf Wunsch des Klubs im selben Hotelzimmer unterzeichnet, in dem 2004 der spätere Champions-League-Gewinner Rafael Benítez seine Signatur unter das Arbeitspapier gesetzt hatte; der Spanier war der letzte Coach, der bei den Roten langfristig überzeugen konnte. Das noble Etablissement ist in der Hope Street situiert, genau dort wohnt jetzt Klopp: in der Strasse der Hoffnung.