Energieverbrauch senken und erneuerbare Energie fördern: An diesen Eckpunkten seiner Energiestrategie hält der Bundesrat fest, ebenso am Verbot von neuen Atomkraftwerken. Im Detail ist die gestern beschlossene Vorlage griffiger und ihr Zeithorizont kürzer geworden. Jetzt liegt der Ball beim Parlament.
«Energiestrategie 2050» heisst der Titel des Multipacks. Dahinter folgt eine Revision von nicht weniger als zehn Gesetzen – vom Energie- über das Kernenergie- bis zum CO2-Gesetz. Die Botschaft dazu, also die Erläuterungen ans Parlament, füllt rund 200 Seiten, die gestern niemand vollständig lesen konnte, der in den heutigen Medien darüber berichtet. Der folgende Text liefert einen groben Überblick über die Stossrichtung der umfangreichen Vorlage und die auffälligsten Änderungen, die der Bundesrat gegenüber seinem Vernehmlassungs-Vorschlag vor einem Jahr vorgenommen hat.
Die Eckpunkte der Vorlage
Den Ausgangspunkt bilden die Entscheide von Regierung und Parlament nach der Atomkatastrophe in Fukushima: Der Bau von neuen Atomkraftwerke (AKW) wird mittels Revision des Kernenergiegesetzes verboten. Die alten Atomkraftwerke hingegen dürfen weiter dampfen, solange die Aufsichtsbehörde Ensi sie als sicher beurteilt. Damit bildet die «Energiestrategie 2050» den Gegenvorschlag zur Initiative der Grünen, welche die Laufzeit der alten AKW auf 45 Jahre begrenzt; der Bundesrat beantragt dem Volk, diese Initiative abzulehnen.
Parallel zum langfristigen Atomausstieg soll die Schweiz den gesamten Energieverbrauch, den Ausstoss des klimawirksamen Treibhausgases CO2 sowie den Stromverbrauch senken. Die angestrebten Verbrauchsreduktionen werden im revidierten Energiegesetz festgeschrieben. Gleichzeitig soll der Bund die Nutzung von erneuerbarer Energie fördern, um fossile Energie und Atomstrom zu ersetzen.
Um die angestrebten Ziele zu erreichen, schreibt der Bundesrat in den zu revidierenden Gesetzen eine Vielzahl von Mitteln vor. Dazu gehören viele Vorschriften, die den Energieverbrauch von neuen Gebäuden, neuen Autos und Elektrogeräten begrenzen, aber auch Subventionen, welche die Sanierung von alten Gebäuden oder die Nutzung von erneuerbarer Energie fördern. Ein zentrales Mittel ist die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Strom aus erneuerbarer Energie.
Zeithorizont aufs Jahr 2035 verkürzt
Die genannten Eckpunkte hat der Bundesrat schon in seiner früheren Vorlage festgelegt, die er am 28. September 2012 allen interessierten Organisationen zur Stellungnahme unterbreitete. Im Detail aber bringt die jetzt beschlossene Vorlage ans Parlament einige Änderungen. Die Auffälligste: Die Regierung hat den Zeithorizont ihrer Strategie verkürzt. Statt fürs ferne Jahr 2050 werden die Verbrauchs- und Produktionsziele im Energiegesetz nur noch für die Jahre 2020 und 2035 festgeschrieben. Konkret:
- Der Energieverbrauch in der Schweiz soll bis zum Jahr 2035 um 43 Prozent vermindert werden, der Stromverbrauch allein um 13 Prozent; dies gegenüber dem Niveau im Jahr 2000.
- Die Produktion von Strom aus neuer erneuerbarer Energie (ausser Wasserkraft) soll bis 2035 auf 14,5 Milliarden kWh erhöht werden. Das entspricht annähernd einem Viertel des heutigen Schweizer Stromkonsums.
Im Vergleich zur Vernehmlassungs-Vorlage sind diese mittelfristigen Ziele anspruchsvoller. Die Energiestrategie wird damit griffiger. Allerdings lässt die Regierung im Artikel 4 eine Hintertüre offen: Falls sich die erwähnten Ziele mit beschlossenen und zusätzlichen Massnahmen nicht erreichen lassen, kann der Bundesrat eine «Anpassung der Ziele» beantragen.
Höhere CO2-Abgabe und KEV
Bei den Massnahmen stechen unter andern folgende Änderungen ins Auge:
- Die bestehende CO2-Abgabe auf Brennstoffen steigt von heute 36 auf 84 Franken pro Tonne CO2; das belastet einen Liter Heizöl mit rund 20 Rappen. Vom Ertrag kann der Bund maximal 450 Millionen Franken pro Jahr für die Subventionierung von energetischen Gebäudesanierungen abzweigen.
- Die Abgabe auf Strom zur Finanzierung der KEV wird auf maximal 2,3 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) erhöht. Trotz geplanter Rückerstattung der KEV an Industrie und Gewerbe steht damit pro Jahr mehr als eine Milliarde Franken zur Verfügung, um Strom aus erneuerbarer Energie quer zu subventionieren. Allerdings dürfte es noch eine Weile dauern, bis diese maximale Abgabe ausgeschöpft wird. Denn der Zubau von Wind-, Biomasse- und Solarkraftwerken harzt aus verschiedenen Gründen. Zudem sollen die heute überrissenen Subventionen pro Anlage gesenkt und die ganz kleinen Wasserkraftwerke von der Förderung ausgeschlossen werden, was den Subventionsbedarf ebenfalls bremst.
- Gasbetriebene Wärmekraft-Kopplungsanlagen (WKK), die vor allem im nachfragestarken Winter Strom produzieren, sollen von der CO2-Abgabe zumindest teilweise befreit werden. Auf die direkte Förderung von WKK-Anlagen, welche die Vernehmlassungs-Vorlage vorsah, will der Bundesrat aber verzichten.
- Investitionen in inländische Gaskraftwerke will der Bundesrat einerseits erleichtern. Andererseits verlangt er für deren Bau eine «Notwendigkeitsprüfung».
Die umfangreiche Vorlage dürfte National- und Ständerat mindestens zwei Jahre lang beschäftigen. Gegen alle Gesetzesänderungen, die das Parlament beschliesst, ist das fakultative Referendum möglich. Damit kann indirekt auch das Volk über die Energiestrategie entscheiden.