Crash-Kurs in Staatskunde von drei Juristen

Die Durchsetzungsinitiative beschädigt den demokratischen Rechtsstaat. Um das zu begreifen, braucht es keine fremden Richter. Schweizer Juristen kommen zum selben Schluss, wie eine Podiumsveranstaltung in der «Mitte» deutlich machte.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Durchsetzungsinitiative beschädigt den demokratischen Rechtsstaat. Um das zu begreifen, braucht es keine fremden Richter. Schweizer Juristen kommen zum selben Schluss, wie eine Podiumsveranstaltung in der «Mitte» deutlich machte.

Die Durchsetzungsinitiative ist nicht nur politisch, sondern auch rechtlich ein unverdaulicher Brocken. Das ist auch der Grund, weshalb zahlreiche Schweizer Juristen und Rechtsprofessoren dazu aufrufen, die Initiative am 28. Februar zu verwerfen.

Deutlich Nein zur SVP-Vorlage sagten auch Heinrich Koller, vormaliger Direktor des Bundesamtes für Justiz, Peter Albrecht, alt Strafgerichtspräsident Basel-Stadt, und alt Bundesrichter Niccolò Raselli, an einem von der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz und den Demokratischen Juristen organisierten Podiumsgespräch in Basel.

Albrecht, Koller und Raselli nutzten den gut besuchten Anlass im «Unternehmen Mitte», um unaufgeregt, aber dezidiert auf die Gefahren, die von der Initiative ausgehen, hinzuweisen.

Rechtlich problematisch

Die Initiative ist rechtlich auf mehreren Ebenen fragwürdig.

  • Zum einen schränkt sie das Recht des Parlaments ein. Üblicherweise berät das Parlament nämlich die Ausführungsgesetzgebung zu einem angenommenen Verfassungsartikel. Dies wollen die Initianten bei der Durchsetzungsinitiative explizit ausschliessen, indem sie vorgeben, sie sei direkt umsetzbar.
  • Zum andern schafft sie eine Zwei-Klassen-Justiz und will den Angeklagten – und damit auch den Richtern – das Recht auf Einzelfallprüfung nehmen. Damit hebelt sie das in der Bundesverfassung verankerte Verhältnismässigkeitsprinzip staatlichen Handelns aus.

Letzteres war schon bei der Ausschaffungsinitiative der Fall. Dem hat das Parlament bei der Beratung des Ausführungsgesetzes mit der Härtefall-Klausel Rechnung getragen. Diese erlaubt eine Prüfung des Einzelfalls und besonderer Umstände – was die Initianten nicht wollen.

Ausschaffungsinitiative und Durchsetzungsinitiative

Die Ausschaffungsinitiative wurde am 28. November 2010 von Volk und Ständen angenommen. Der Initiativtext verlangt, dass der Gesetzgeber «innert 5 Jahren» die Tatbestände zu definieren und die Strafbestimmungen bezüglich illegaler Einreise zu erlassen habe.

Heinrich Koller erinnerte daran, dass diese Frist vom Parlament eingehalten wurde. Zudem verstrich die Referendumsfrist ungenutzt und der Bundesrat hat die entsprechenden Bestimmungen lediglich noch in Kraft zu setzen.

Gleichwohl hat die SVP bereits im Jahr 2012 die Durchsetzungsinitiative lanciert und eingereicht, und damit ihre eigene Vorgabe nicht mehr ernst genommen.

Auf Kollisionskurs mit der EU

Was geschieht nun, falls die Durchsetzungsinitiative am 28. Februar angenommen werden sollte? «Dann haben wir ein weiteres Problem mit der EU», sagte Heinrich Koller. Denn die Durchsetzungsinitiative stehe im Widerspruch zur Artikel 5, Anhang 1 des Freizügigkeitsabkommens.

In diesem Artikel wird festgehalten, dass die «auf Grund dieses Abkommens eingeräumten Rechte» «nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt» werden dürfen. Die EU würde das nicht einfach stillschweigend akzeptieren, und die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vertragspartner würde Schaden erleiden.

Alt Bundesrichter Niccolò Raselli betonte, dass man Bestimmungen internationaler Verträge und Abkommen nicht einfach mittels Volksinitiative ausser Kraft setzen könne. Verträge oder Abkommen müsse man einhalten. Sie können allenfalls gekündet werden.

«Auch das Volk ist an die Verfassung gebunden» – Der frühere Basler Strafgerichtspräsident Peter Albrecht (rechts) stellt sich gegen die Annahme, das Stimmvolk könne alles, selbst den Rechtsstaat aushebeln. (Bild: Martin Stohler)

Bei einer allfälligen Annahme der Durchsetzungsinitiative stellen sich auch noch ganz andere Fragen. Ist der Verfassungsartikel tatsächlich ohne entsprechende Ausführungsbestimmungen anwendbar, wie dies die Initianten behaupten? Müssten nicht allenfalls die Umsetzungsbestimmungen der Ausschaffungsinitiative an den neuen Deliktkatalog angepasst werden – womit wohl auch wieder ein Referendum möglich würde? Verstösst der Text der Durchsetzungsinitiative nicht noch krasser gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip, womit Richter sie nicht einfach telquel anwenden könnten?

Für Raselli käme im Falle einer Annahme der Initiative nur eines in Frage: «Der Bundesrat müsste dann sofort am 29. Februar die Härtefall-Klausel in Kraft setzen. Andernfalls hat das Bundesgericht den Schwarzen Peter.»

Und die Sicherheit?

Nimmt man einmal unhinterfragt an, die Abschiebung von Delinquenten ohne Schweizer Pass sei das Mittel, um in unserem Land Sicherheit zu schaffen: Auch hier sind die drei Juristen skeptisch. Bei den vom Bundesamt für Statistik ins Spiel gebrachten 10’000 möglichen Abschiebungen müsse man genau hinsehen.

6000  von ihnen seien sowieso Personen, die kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz hätten. Beim Rest handle es sich oft um Menschen, die nicht ausgeschafft werden können, sei es, dass sie aus unsicheren Ländern wie Afghanistan kommen oder auch aus Ländern, mit denen keine Rücknahmeabkommen bestünden. Daher wäre die Wirkung der Initiative auf dieser Ebene minim.

Der Basler Strafrechtler Peter Albrecht seinerseits wies daraufhin, dass leider auch viel zu wenig darüber nachgedacht werde, ob eine Ausschaffung, namentlich wenn es sich um Menschen handelt, die schon lange in der Schweiz leben, überhaupt eine sinnvolle Massnahme sei.

Darf das Volk alles?

Die drei Juristen waren sich einig, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bei der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative sich mit komplexen rechtlichen Fragen auseinanderzusetzen haben. Dabei steht vieles auf dem Spiel.

Albrecht, Koller und Raselli hoffen denn auch, dass der Souverän sich mit den Inhalten befasst und nicht einfach «ein Zeichen setzt». Denn, so Peter Albrecht: «Auch das Volk ist an die Verfassung gebunden.»

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