«Damit sich die Welt verändert, braucht es die Avantgarde»

Ob man für eine Marke wirbt oder einen Politiker, macht keinen Unterschied, sagt David Schärer. Der Basler PR-Mann steht hinter der Kampagne des Zürcher SP-Nationalrats Tim Guldimann, auch Operation Libero baute auf seine Dienste. Ein Gespräch über den Kampf um Aufmerksamkeit, über die Ermüdung der Menschen – und die Suche nach dem Weckruf.

Bewegt sich gerne dort, wo man ihn nicht sieht: Werber und PR-Berater David Schärer.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Ob man für eine Marke wirbt oder einen Politiker, macht keinen Unterschied, sagt David Schärer. Der Basler PR-Mann steht hinter der Kampagne des Zürcher SP-Nationalrats Tim Guldimann, auch Operation Libero baute auf seine Dienste. Ein Gespräch über den Kampf um Aufmerksamkeit, über die Ermüdung der Menschen – und die Suche nach dem Weckruf.



Bewegt sich gerne dort, wo man ihn nicht sieht: Werber und PR-Berater David Schärer.

Bewegt sich gerne dort, wo man ihn nicht sieht: Werber und PR-Berater David Schärer. (Bild: Hans-Jörg Walter)

David Schärer gibt nicht gerne Interviews. Er bedient den Scheinwerfer lieber, als dass er in dessen Licht steht. Der 41-jährige Basler gilt als einer der erfolgreichsten Werber der Schweiz, seine Agentur Rod spült das Image der SBB mit knuffigen Schafen weich und erregt christliche Kreise mit expliziten TV-Spots gegen die Weiterverbreitung von HIV.

Schärer bleibt auch deshalb lieber in Deckung, weil er Gefallen gefunden hat an einem neuen Betätigungsfeld: Er macht jetzt auch Politik. Und dort wird ein Berater schnell zum verruchten Spindoctor und Meinungsmanipulator. Der pensionierte Botschafter und Zürcher SP-Nationalrat Tim Guldimann baute ebenso auf seine Dienste wie die Anti-Durchsetzer von Operation Libero.

Fast wäre es anders kommen. Und wir könnten uns jetzt mit David Schärer über den Kredit für ein neues Rheinschiff unterhalten oder den Erhalt des Grüngürtels um die Wolfsschlucht. Fast wäre aus Schärer ein Grossrat für die SP geworden, doch er trat sein Amt nie an, setzte sich stattdessen nach Zürich ab und rüttelt seither die Werbebranche kräftig durch.

Also sprechen wir über politische Kampagnen, auch über die zum bedingungslosen Grundeinkommen – und darüber, wie Schärer die Stadt Basel und die TagesWoche positionieren würde.

Herr Schärer, überrascht es Sie, dass die Kampagne über das Grundeinkommen noch nicht längst vernichtet worden ist? Immerhin greift sie die schweizerische Staatsreligion Geld und Arbeit frontal an.

Ich bin sehr überrascht. Ich habe mich intensiv mit der Idee auseinandergesetzt und meine erste Reaktion war, dass mich der Begriff «bedingungslos» störte. Ich hielt das für grundsätzlich unliberal. Aber die Macher haben eine bemerkenswerte Kampagne hingelegt. Visualität und Symbolik sind hervorragend. Es gelang ihnen, über starke Bilder eine ernsthafte Debatte anzuschieben. 

War es clever von den Initianten, sich nicht in die Niederungen der Umsetzung zu begeben?

Ja, das war es. So ist daraus eine philosophische Frage geworden. Die Initiative bringt uns zum Nachdenken, was die Folgen der Digitalisierung sind. Erfolg an der Urne werden die Initianten damit nicht haben, denn kurzfristig erfolgreich ist, wer innerhalb des Mainstreams bleibt und dort ein paar Anpassungen reinfummeln will. Die Vorkämpfer für das Grundeinkommen sind die Avantgarde, sie denken eine komplett neue Ordnung des Zusammenlebens. Das ist im Moment wahrscheinlich noch zum Scheitern verurteilt. Aber damit sich die Welt langfristig verändert, braucht es querdenkende Avantgarden. 

Was fiel Ihnen als Werbeprofi noch auf?

Sie haben bildstark begonnen mit diesem grossen symbolischen Akt, als sie die Fünfräppler vor dem Bundeshaus ausschütteten. Auch die Verwendung der Farbe Gold, die sich wie ein Mantra durch die ganze Kampagne zieht, die auch einfach decodierbar ist. Diese Visualität stellt einen interessanten Kontrast zu den Klischees her, die man aus diesen Kreisen erwarten würde. Sie bringen es fertig, mit einem goldenen Tesla durch die Bahnhofsstrasse zu fahren. Das gefällt mir unglaublich gut. So schaffen es die Initianten, den Scheinwerfer auf sich zu ziehen. Und ihre Botschaften einem breiten Publikum zu präsentieren.

Ein Lastwagen kippt eine Ladung von 8 Millionen 5-Rappen-Stuecken im Wert von 400'000 Schweizer Franken und mit einem Gewicht von 15 Tonnen auf den Bundesplatz, am Freitag, 4. Oktober 2013, in Bern. Diese Aktion fand anlaesslich der Unterschriftenuebergabe der Initiative

Ist der Kampf um Aufmerksamkeit auch in der politischen Kommunikation schwieriger geworden?

Absolut. Dessen muss sich bewusst sein, wer eine Botschaft in der Öffentlichkeit positionieren will. Eine Botschaft so bekannt zu machen, dass sie wirkt, kostet richtig viel Geld. Wir leben in einer fragmentierten Welt, die Medien sind zersplittert, der Markt um Aufmerksamkeit stagniert, die emotionalen Ressourcen der Menschen sind stark begrenzt. Wer sich durchsetzen will, muss sich richtig ins Zeug legen.

Wissen Sie immer, wie Sie die Aufmerksamkeit der Menschen gewinnen?

Nicht a priori. Das fängt immer wieder auf einem weissen Blatt an. Es stellt sich immer die Frage, was die eigentliche Botschaft ist und wie man sie inszeniert. Die Schwierigkeit, gerade bei politischen Kampagnen, ist es, die Botschaft zu reduzieren und so zu inszenieren, dass sie genügend Aufmerksamkeit erhält, aber transportfähig bleibt. Gerade die SVP versteht das meisterhaft.

Ist das Rezept der SVP nicht eher banal als genial?

Das täuscht. Eine Botschaft so zu simplifizieren, dass sie ihre Aussage nicht verliert, ist sehr anspruchsvoll. Dazu braucht es Mut, auf Seitenaspekte zu verzichten und aufs richtige Pferd zu setzen, also aufs richtige Argument. Man hält sich in der Politik gerne mit Stilfragen auf. Aber letztlich ist es so, dass das, was man «Information» nennt, erst aus Alternativen von Botschaften entsteht. Das entspricht dem dritten Newtonschen Gesetz: Kräfte treten immer polarisiert auf. Bei der Durchsetzungsinitiative etwa hätte man auch schlaumeierisch mit dem Rechtsstaat und der Verfassung argumentieren können, mit all den staubtrockenen Begriffen. Die Kraft lag aber in der Dramatisierung einer Grundsatzfrage, die mobilisieren konnte.

Worin bestand Ihre Rolle bei Operation Libero?

Ich bin seit der Gründung von Operation Libero – als Liberaler, aber politisch Heimatloser – sowas wie ein aktives Passivmitglied. Flavia Kleiner rief mich letzten November an, sie war frustriert, weil kein einziger Kampagnenleiter einer Partei in die Schlacht steigen wollte. Ich stand ihr zur Seite, um die Komplexität der Aussage in der Kampagne zu reduzieren und den richtigen Ton zu setzen. Unser Plan war es, aus der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative eine Grundsatzfrage zu machen: Wie wollen wir in der Schweiz zusammenleben?

War der sogenannte «Aufstand der Zivilgesellschaft» eine Kreation von Ihnen?

Nein, ich kann mit dem Begriff nichts anfangen. Wer gehört denn zur Zivilgesellschaft und wer nicht? Das klingt nach rhetorischem Völkerball von weltentrückten Theoretikern.

Flavia Kleiner

Was war dann Ihr Input?

Ich war vor allem Diskussionspartner. Zwischen November und dem 18. Februar haben wir mehrmals täglich telefoniert. Es ging vor allem um die Vorgehensweise, etwa darum, jede Aussage der SVP konsequent zu widerlegen. Auf jedem Kanal. In chirurgischer Kleinstarbeit.

War die Überhöhung Flavia Kleiners zu einer Art Jeanne D’Arc Teil des Plans?

Flavia bringt alle Attribute mit, die es braucht, um das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken. Sie ist charismatisch, ist führungsstark, ist eine Art Antithese zur Generation Y. Sie ist die ideale Medienfigur. 

Und das haben Sie realisiert und bewusst ausgespielt?

Das ist quasi gottgegeben. Es ist so, dass Operation Libero eine blitzgescheite und sehr charismatische Co-Präsidentin hat – und mit Dominik Elser einen kreativ und intellektuell virtuosen Co-Präsidenten, der zusammen mit dem ganzen Team sehr viel inhaltliche Arbeit leistet. Libero ist eine sehr gut geführte Operation, die genau weiss, wie sie ihre Karten ausspielen muss und dies furchtlos tut.

Funktionieren politische Kampagnen genau gleich wie die Positionierung irgendeiner Marke?

Rein handwerklich schon. Aber politische Kampagnen sind strategisch fordernder, weil man einen Gegner hat, den man antizipieren muss und mit dessen Reaktionen man spielen kann. Der Instrumentenkasten reicht vom Skalpell bis zum Zweihänder. Vor allem arbeitet man auf einen Tag X hin. Auf das Ergebnis am Wahltag, das in der ganzen Brutalität zeigt, ob man genügend getan hast. Das finde ich interessant.

Sind Operationen Libero und Tim Guldimann Ersatzhandlungen für Ihre eigene verpasste politische Karriere? Sie haben 2004 auf der SP-Liste für den Grossen Rat kandidiert.

Ich war zu den Gründungszeiten bei «Kulturstadt Jetzt» engagiert. Tobit Schäfer, Daniel Jansen, Tino Krattiger, ich und andere haben uns aus einem kulturpolitischen Säbelrasseln heraus aufstellen lassen. Wir hatten den Slogan «Schlafstadt Basel» geprägt und ich habe mich eine Nacht lang im Pyjama vor das Rathaus gelegt. Wir hatten nicht die Erwartung irgendeines Erfolges, aber Tino und Tobit wurden glänzend gewählt. Ich wäre zwei Monate nach der Wahl nachgerückt, trat das Amt jedoch nicht an, weil es mit meinem sonstigen Leben nicht vereinbar gewesen wäre. Ausserdem fehlen mir die Fähigkeiten dazu, Politiker zu sein. Aber ich habe gewisse Talente, die ich einbringen kann. Werde ich gefragt, stelle ich diese manchmal zur Verfügung.

Wie würden Sie Basel bewerben, wenn Sie den Auftrag erhalten?

Zunächst würde ich einen Kostenvoranschlag stellen (lacht). Den Akzent auf Basel als Kulturstadt finde ich richtig, weil Basel hier einzigartig und in der Schweiz konkurrenzlos ist. Aber ich weiss nicht, ob die Botschaft über Basel hinaus Resonanz gefunden hat. An der Botschaft würde ich nichts ändern, aber an ihrer Inszenierung, die nachvollziehbarer, relevanter sein könnte.

Jetzt gibt es einen neuen Werbespot. Was halten Sie davon?

Naja, mir fehlt die im Spot behauptete Einzigartigkeit. Weniger wäre hier mehr gewesen, etwa die Schlussformel, aus der sich das Wort Basel zusammensetzt, das wäre merkfähiger gewesen als die Trillionen von Superlativen, von denen nichts haften bleibt. Die Bilder sind mir zu unspektakulär, der Schnitt zu ungenau, die Musik zu altmodisch. Welthaltigkeit zu behaupten, ist halt nicht dasselbe, wie dieses Gefühl auch mit allen Mitteln zu erzeugen.

Wie würden Sie die TagesWoche positionieren?

Als natürlichen Feind der «Basler Zeitung». Das würde ich prononciert herausstellen. Von Gegnerkonstruktionen profitieren in der Regel beide.

Wann steigen Sie aus und widmen sich einem Weinberg oder einer Szenebeiz?

Ich denke nicht an den Ausstieg, aber ich habe grossen Respekt vor der Zukunft. Ich durchlief eine erstklassige Schule, habe dort meine Partner kennengelernt, wir haben die Agentur gegründet, haben schnell Erfolg gehabt. Um oben zu bleiben, musst du immer mehr und härter arbeiten. Die Sorge, die geistige Wachheit und die Kreativität zu verlieren, ist immer präsent. Ich habe sehr grosse Selbstzweifel, aber meistens treiben mich diese an.

Ihr Produkt, das Ergebnis Ihres Schaffens ist eine Kunstwelt. Haben Sie keine Sehnsucht nach der echten Welt?

Was ist denn die echte Welt? Gibt es nicht immer nur Blickwinkel auf die echte Welt? Diese kann per definitionem nicht die echte Welt sein. Natürlich versuchen wir, die Dinge möglichst attraktiv darzustellen, damit es den Menschen auch Freude macht, sich damit zu beschäftigen.

Seit 2007 betreibt David Schärer mit zwei Mitgründern die Zürcher PR-Agentur Rod Kommunikation. Er studierte an der Schule für Gestaltung Basel, arbeitete dann in der Pressestelle des Theater Basel. 2004 kandidierte er mit «Kulturstadt Jetzt» für den Grossen Rat. 2012 wurde Schärer für die Branchenauszeichung «Werber des Jahres» nominiert

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